Athen/Essen. . Unter den Hellenen macht sich Niedergeschlagenheit breit. Vor allem junge Akademiker in Griechenland denken darüber nach, auszuwandern. Ein Politologe rechnet damit, dass die griechische Parteienlandschaft in Zukunft eine “völlig veränderte“ sein wird.

Es schneit in diesen Tagen nicht in Athen, aber den Griechen scheint das Blut in den Adern gefroren zu sein. Sie müssen mit ansehen, wie all das, was sie sich an Wohlstand nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 1974 aufgebaut haben, Stück für Stück zerlegt, zerstäubt und zerstört wird.

Dies prophezeit der Politologe Thanasis Diamantopoulos im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe auch den Parteien bei den kommenden Wahlen. Wann sie genau stattfinden werden, ist immer noch ungewiss. Aber dass die Parteienlandschaft eine "völlig veränderte" sein wird, ist für Diamantopoulos schon jetzt eine Gewissheit: "Die Grenze verläuft nicht mehr zwischen Links und Rechts, sondern zwischen Realisten und Realitätsverweigerern."

Weniger Lohn

Zur Realität gehört auch, dass der Anteil der Griechen an der eigenen Misere immens ist. Was die Sache mit den ungedeckten Schecks für die Zukunft nicht besser macht, im Gegenteil: Eine matte Niedergeschlagenheit hat sich auf den Gesichtern der Menschen gelegt; wo die Aussichten düster sind, richtet sich der Blick nach innen.

Vielen scheint es egal zu sein, wie die dramatischen Verhandlungen am Regierungstisch des Premiers Loukas Papademos ausgehen werden. „So oder so, es wird schlimmer kommen“, sagt Giorgos Stathakopoulos. Der junge Lehrer aus Thessaloniki führt zwei Zahlen ins Feld seiner Hoffnungslosigkeit: Anfang 2010 hatte er noch einen Monatsverdienst von 1300 Euro, nun sind es 830 Euro. Dass die Lebenshaltungskosten durch etliche Steuererhöhungen im gleichen Zeitraum rapide gestiegen sind, sei hier nur am Rande erwähnt.

Giorgos zieht die Schultern hoch und fragt, ohne eine Antwort zu wollen: „Wo sollen wir noch sparen, wovon sollen die Menschen noch leben?“ Nein, in einem Land ohne Antworten, mag er nicht mehr leben. Er denkt ans Auswandern. Viele seiner Freunde, allesamt gut ausgebildete Akademiker, arbeiten schon in Kanzleien in den USA oder in deutschen Krankenhäusern.

Angela Merkel als Totengräberin der Nation

Die, die auf den Demonstrationen ihre Wut hinausschreien, wissen nicht genau, gegen wen sie ihre Empörung richten sollen. Selbst diejenigen, die Angela Merkel als Totengräberin der Nation ausgemacht haben wollen, wünschen sich nur eines: einen deutschen Sparkommissar. Wer das als Widerspruch empfindet, hat sich nicht eingängig genug mit dem Land beschäftigt.

Denn so sehr sich die Mehrheit gegen die Spardiktate der Troika aus Vertretern der EU, der Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank wehrt - die Griechen wünschen ihre eigene Elite zum Teufel. Ihre Volksvertreter würden sie nicht einmal für die Zeitansage engagieren, da sie ihnen nicht einmal die Uhrzeit glauben würden. Das nördliche Europa war immer Vorbild für Effizienz.

Ökonomische Strangulierung des Landes

Der Weg Griechenlands in die Europäische Union und in den Euro war steinig, aber die Griechen sind ihn gegangen, weil sie sich binden wollten – um nicht länger an ihre eigene Elite gekettet zu sein. Freiheit durch Selbstbindung hieß die Parole in den 1990er Jahren. Nun stehen der finanzielle Tod und moralische Ruin vor der Tür, weil sich der überwiegende Teil des Athener Establishments an nichts gebunden fühlte, weder an Gesetz noch an Statistiken und erst nicht an die, die auf Hilfe angewiesen wären.

Was die Griechen sich von Europa erhoffen? Hilfe zur Modernisierung, nicht die ökonomischen Strangulierung ihres Landes. So verwundert deshalb auch nicht, dass sich sogar die Arbeitgeber vehement gegen die Herabsetzung des Mindestlohnes aussprechen. Dies wäre der Todesstoß für den Binnenmarkt, heißt es. Denn: Am Abgrund könne man keine Wachstumspfade einschlagen.