Köln. . 210 000 Euro jährliche Förderung bis 2017 hatte Jürgen Rüttgers Alice Schwarzer für ihr Frauenarchiv versprochen. Die rot-grüne NRW-Regierung soll die Mittel jetzt auf 70 000 Euro zusammengestrichen haben. Archivgründerin Schwarzer spricht nun von Ignoranz und von Existenzgefährdung.
Ein Juwel an einem stolzen Ort. Ein Schatz. Ein Vermögen. Wenn Alice Schwarzer über den FrauenMediaTurm spricht, dann gerät sie schnell ins Schwärmen über die Einzigartigkeit dieses Archivs, das die Frauenbewegung in all ihren Facetten dokumentiert. Angela Merkel und Hannelore Kraft könnten selbst dort nachlesen, „wie das im 21. Jahrhundert möglich ist, dass wir eine Kanzlerin oder auch Ministerpräsidentin haben“, sagt sie.
Letztgenannte will just von diesem Kölner Archiv nichts mehr wissen. Die rot-grüne, frauendominierte NRW-Regierung hat den Rotstift angesetzt – ausgerechnet an diesem renommierten Frauenarchiv. Alice Schwarzer: „Damit habe ich natürlich gar nicht gerechnet. Man freut sich ja erst einmal als Feministin, wenn gestandene Frauen an die Macht kommen.“
Dabei konnte die streitbare Journalistin, die 1984 das Archiv gegründet hatte, erst im Jahr 2008 ein wenig aufatmen: Jürgen Rüttgers, der damalige Ministerpräsident, sicherte ihr zu, das Projekt bis 2017 mit jährlich 210 000 Euro zu unterstützen. Das Frauen-, Kultur – und Wissenschaftsministerium teilten sich die Summe zu je 70 000 Euro. Die Jahrzehnte zuvor finanzierte sich das Archiv aus Spenden, lange überlebte es durch die Anschubfinanzierung von Jan Philipp Reemtsma, mit Geld von der Krupp-Stiftung und mit Zuwendungen der Kölner Sparkasse. Die verbleibenden 70 000 Euro Förderung decken laut Schwarzer gerade mal die Betriebskosten.
Bayenturm als geschichtsträchtiges Wahrzeichen
Dass Alice Schwarzer so stolz ist auf das Archiv, hat nicht nur mit dem Bestand zu tun. Immerhin lehnen die Bücherregale an den meterdicken Mauern des Bayenturms, der bis zur offiziellen Fertigstellung des Kölner Doms im Jahr 1880 das Wahrzeichen der Stadt war. 1994 zog Alice Schwarzer mit dem Archiv dort ein, und das habe für sehr viel Aufsehen gesorgt. Denn eigentlich, sagt sie, wollten die Kölner Grünen damals in den Turm. Nun finde sie, dass vor allem Frauenministerin Barbara Steffens (Grüne) besonders „rabiat“ gegen sie und den Media-Turm vorgehe. „Zugespitzt formuliert muss ich mir die Frage stellen, ob das ganze eine Mischung aus Intrige und Ignoranz ist.“
Wieder Geld für Frauenhäuser
Beim Frauenministerium, dem die in Köln aufgewachsene Barbara Steffens als Ministerin vorsteht, sieht man die Angelegenheit nüchterner. Es sei schlicht die Haushaltssituation, die die Landesregierung zwinge, „mit scheinbar geringen Sparbeiträgen zur Konsolidierung beizutragen“, erklärt der Sprecher der Ministerin, Christoph Meinerz. Das Ministerium müsse obendrein „die erheblichen Kahlschläge der Vorgängerregierung rückgängig machen“. Gemeint ist die Mittelkürzung für die Frauenhäuser. Im Detail wirft das Ministerium den Betreibern des Archivs vor, zu selten geöffnet zu haben und für die Nutzung eine Gebühr von derzeit fünf Euro zu verlangen.
Öffnungszeiten erst nach Kürzung eingeschränkt
Bei diesen Argumenten schnappt Alice Schwarzer regelrecht nach Luft. „Erstaunlich“ nennt sie diese: Schließlich habe das Archiv erst die Öffnungszeiten eingeschränkt, nachdem aufgrund der rückwirkenden Kürzung von 70 000 Euro eine Fachkraft entlassen worden sei. Von Haushaltskonsolidierung könne auch keine Rede sein, denn die Mittel würden schlicht in andere Projekte fließen. Obendrein habe der damalige Ministerpräsident – „und ich finde, das Wort eines Ministerpräsidenten, das ist doch etwas“ – die Förderung für zehn Jahre zugesagt.
Clement und Steinbrück waren offen
Überhaupt die Ministerpräsidenten. Immer seien sie offen gewesen für ihr Anliegen. „Wolfgang Clement hat angeregt, dass die Krupp-Stiftung eine Übergangsspende gibt von 250 000 Euro“, sagt sie. Er wie Steinbrück wollten das Archiv fördern, „doch bevor es so weit war“, gingen sie nach Berlin. „Wir hatten echt Pech“, sagt Schwarzer. Unter Rüttgers habe es dann geklappt.
Nun will die Publizistin „die Landesregierung noch zur Besinnung bringen“. Doch die kürzt nun weitere 70 000 Euro. „Wissen die Entscheider überhaupt, was so ein Archiv wert ist“, fragt sie und antwortet selbst: ein Vermögen von acht Millionen.
Keine Antwort auf Briefe von Hannelore Kraft
Nun schreibt Alice Schwarzer Briefe und Einladungen, sie informiert und mahnt. Die Reaktion sei gleich null. „Also, für alle Ministerpräsidenten war es selbstverständlich, mir, wenn ich sie in relevanter Angelegenheit sprechen wollte, ihr Ohr zu leihen.“ Die Ministerpräsidentin aber antworte über Monate auf insgesamt sechs Briefe mit keinem einzigen Wort. Schwarzer: „Das ist schon nicht ganz ohne Komik.“
Umfassendstes Frauenarchiv im deutschsprachigen Raum
Der FrauenMediaTurm (FMT) gilt als umfassendstes Frauenarchiv im deutschsprachigen Raum. 15 000 Bücher, 26 000 Zeitschriften und 33 000 Aufsätze finden sich darin. Hinzu kommen Plakate, Presseordner und Flugblätter. Schwerpunkte sind die Frauen- und Geschlechterforschung sowie die historische und neue Frauenbewegung. Im Aufbau ist eine Bilddatenbank mit herausragenden weiblichen Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien.