Essen. . Entspanntes Heimspiel vor vollem Haus: Alice Schwarzer, die Streiterin für die Rechte der Frauen, redete im Essener Audimax über „Islam, Islamismus und Integration“ – ohne Scheu vor Kritik an der deutschen (Un-)Kultur.

Nein, Alice Schwarzer, die Streiterin gegen Zwangsverschleierung der Frauen in aller Welt, hat nichts gegen Musliminnen, die ein Kopftuch tragen. Mehrfach betonte die Kölner Feministin am Dienstag im Audimax Essen, sie rede „selbstverständlich gern“ mit jeder Frau, die offen sei für eine ehrliche Debatte.

„Islam, Islamismus und In­tegration“ waren Thema der zweiten Vorlesung, die die Kölner Journalistin und „Emma“- Gründerin im Rahmen ihrer Mercator-Professur an der Uni­versität Duisburg-Essen (UDE) hielt. Wie schon vor sechs Wochen in Duisburg hatte sie im vollen Saal ein Heimspiel. Muslimische und christliche Kritiker ihrer Berufung, die ihr anfangs unter anderem eine „Diskurstaktik wie Rechtspopulisten“ vorgeworfen hatten, ließen sich an diesem Nachmittag im Publikum nicht ausmachen. Dafür viele interessierte Männer und einige Frauen mit – teils sehr eleganten – Kopftuch-Kreationen.

Schwarzer trägt Kette aus Mekka

Ihre Kritiker hätten an diesem Nachmittag auch nichts gehört, das ihre Vorwürfe bestätigt hätte. Schwarzer plaudert entspannt bis unterhaltsam über ihre langjährigen engen Freundschaften zu muslimischen Frauen aus Algerien oder dem Iran. Dass die Kette, die sie trägt, das Geschenk einer älteren Dame aus Algerien ist. „Die hat sie mir aus Mekka mitgebracht – sie bringt mir Glück.“

Zugleich ruft Schwarzer auf zur Wachsamkeit vor „islamistischen Agi­tateuren“, die ihre Absichten ebenso verschleierten wie ihre Frauen. Die den Glauben und den Koran dazu benutzten, um ihre Frauen zu unterwerfen und ihre politischen Ziele – etwa die Einführung der Scharia – weltweit durchzusetzen.

Fundamentalisten auch im Vatikan

Sie sagt aber auch: „Fanatismus hat der Islam nicht ge­pachtet“ oder: „auch im Vatikan sitzen Fundamentalisten. Ich habe das sehr genau im Auge.“ So wie auch fatale Parallelen im männlichen Selbstverständnis. Zu Recht, so Schwarzer, sorgten „Ehrenmorde“ an muslimischen Frauen und Mädchen immer wieder für viele Schlagzeilen und große Empörung. Das deutsche Pendant sei das „Familiendrama“, das oft genug nur für wenig Aufsehen sorgt.

„Der einzige Unterschied ist doch: Der ‘Ehrenmord’ ist meist noch eine Sache des ganzen Clans. Oft wird der Täter gegen seinen Willen gezwungen, ihn auszuführen – da ist der Täter zugleich Opfer. Beim ‘Familiendrama’ bei uns ist es dagegen ein Einzeltäter, meist ein ausgeflippter Familienvater, der den Job verloren hat oder der nicht will, dass seine Frau ihn verlässt. Lieber bringt er sie und die Kinder um.“

Korrigieren will sie auch falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit über Muslime in Deutschland. Zitiert dazu Zahlen aus dem vergangenen Jahr: Dass von den vier Millionen Muslimen, die in Deutschland leben, sich nur ein Drittel als „sehr gläubig“ be­zeichne; dass „sieben von zehn Musliminnen noch nie ein Kopftuch getragen haben“, dass es selbst von den (sehr) gläubigen Frauen gerade jede zweite trage, oft auch nur „manchmal“.

Irreführende Bilder

Die ständigen Kopftuchfrauen-Bilder in allen Medien spiegelten diese Lebenswirklichkeit aber nicht wider. Schwarzers Analyse: „Das ist der Erfolg rühriger Islamverbände wie Ditib oder Milli Görüs. Es ist alarmierend: Eine kleine Minderheit gibt in dieser Debatte bei uns den Ton an.“

Notwendig sei deshalb heute eine neue Form der Auseinandersetzung. Statt einer „kritiklosen Fremdenliebe“ vergangener Jahrzehnte („die Kehrseite der Medaille ist Fremdenhass“) gelte es, Musliminnen und Muslimen „mit Respekt“ zu begegnen.

Zugleich müssten Politik und Glauben strikt getrennt werden. Es sei eben kein Zeichen von Rücksicht und Toleranz, zu erlauben, dass muslimische Mädchen nicht am Schwimmunterricht oder an der Klassenfahrt teilnehmen. „Die Koedukation ist der Grundstein für Gleichberechtigung – das müssen auch muslimische Mädchen und Jungen erleben können.“ Den erwachsenen Frauen billigt sie uneingeschränkt zu,aus eigener Entscheidung ein Kopftuch oder den Schleier zu tragen. „Die Motive der Frauen sind sehr unterschiedlich. Es könnte eine familiäre Tradition sein, der Ausdruck ihres persönlichen Glaubens oder auch die Reaktion auf eine hart pornografisierte Welt.“ Kleine Mädchen dagegen müssten geschützt werden vor der Verschleierung.

„Den Glauben kritisch reflektieren“

Die Muslime in Deutschland und Europa, so Schwarzer, müssten zugleich beginnen, ihren Glauben kritisch reflektieren. Müssten ohne Scheu auch diskutieren, ob der Koran eine Erzählung ist oder das Protokoll göttlicher Worte. Eine gute Chance dazu bieten aus ihrer Sicht die neuen Islam-Studiengänge an deutschen Universitäten.

Wichtig war der Vorkämpferin der Emanzipation von Frau und Mann auch diese Anmerkung: In einer Linie mit Thilo Sarrazzin, dem Ex-Finanzsenator, Ex-Bundesbanker und Kritiker einer gescheiterten Integrationspolitik in Deutschland, sieht Alice Schwarzer sich nicht. „Er hat die Folgen des Wegsehens über Jahrzehnte durchaus richtig beschrieben. Aber er zieht die falschen Schlüsse daraus.“

Sie plädierte dafür, klar zu unterscheiden zwischen Islamismus und Islam. Die ersten Opfer fanatischer Islamisten im Iran, in Afghanistan, Schwarzafrika oder Tschetschenien seien die Menschen, die dort unter ihrer Gewalt und Willkür leiden. Schwarzer: „Ihnen sind wir Solidarität schuldig.“