Essen. . Alle lachen über Wulff-Gags. Doch wie viel Spott verträgt das Amt? Kann ein Politiker solch eine Situation durchhalten, über Jahre hinweg? Er kann - das zeigt das Beispiel Helmut Kohl.
Ein Staatsmann, der zur Witzfigur wird. Seine Pannen und Missgriffe inspirieren Karikaturisten und Kabarettisten, täglich gibt es neue Witze, Gags oder Kalauer über seine Bräsigkeit und Fehltritte. Häme und Spott kübelweise. Versucht sich der Betroffene einmal in Selbstironie, geht es prompt daneben. Stellt sich die Frage: Kann ein Politiker solch eine Situation durchhalten, über Jahre hinweg?
Er kann.
Helmut Kohl, der 16 Jahre lang als Bundeskanzler in Bonn und Berlin regierte, so lange wie kein anderer Kanzler vor oder nach ihm, war vom ersten Regierungstag an Zielscheibe von mitunter bösartigen Witzen wie ebenfalls kein anderer Bundeskanzler: Kohl als Birne, Kohl als tapsiger Tollpatsch, Kohl als beschränkter Hinterwäldler.
Aussitzen wie Kohl
Doch der dickhäutige Pfälzer hat über mehr als eineinhalb Jahrzehnte die Witzemacher und Spötter ebenso ausgesessen wie seine politischen Konkurrenten. Was mag der Altkanzler in diesen Tagen denken, wenn er sieht, wie es dem Bundespräsidenten ergeht?
Christian Wulff ist, was Spott und Häme betrifft, in den vergangenen Wochen gewissermaßen zum legitimen Nachfolger Kohls aufgestiegen. Wulffs spendierfreudige Freunde („Die mit dem Wulff tanzen“), der dubiose Hauskredit („Einer flog übers Eigenheim“), sein Wut-Anruf auf der Mailbox des Bild-Chefs („Wulff im Schafspelz“) liefern unablässig Stoff für Sprüche und Kalauer. Und Karneval steht erst noch ins Haus.
Auf der Internetseite des NDR findet sich der berühmte Loriot-Sketch vom tüddeligen Lottogewinner Erwin Lindemann neu vertont: „Ich heiße Christian Bundespräsident...“. Berufs-Lästerer wie Harald Schmidt („Wie kann man sich nur so viel Ärger einhandeln, ohne Doktorarbeit“) haben Wulff-Witze im Repertoire. Bei Facebook und Twitter ist Wulff-Spott Pflicht. Da nützt es nichts, dass ein Rechtsexperte mahnt, die „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ können im ärgsten Fall sogar ins Gefängnis führen.
Berlin läsert
Auch im politischen Berlin wird abseits von Kamera und Mikro kräftig abgelästert, etwa über Wulffs Mailbox-Affäre. Manche Unionspolitiker machten sich einen Spaß daraus, verdutzte Journalisten mit erboster Miene anzugehen: Man habe eben mit dem Chefredakteur telefoniert und sich ernsthaft beschwert über die miserable Berichterstattung – um dann, nach einer genüsslichen Kunstpause, feixend hinzuzufügen: „Aber zwei Minuten später habe ich noch mal angerufen und gesagt, dass Sie doch ganz in Ordnung sind.“
Auf der Grünen Woche in Berlin, wo sich kürzlich auch die Politiker die Klinke in die Hand gaben, bot ein niedersächsischer Bäcker an seinem Stand „Wulff-Brötchen“ an – „Mitnehmen ohne zu bezahlen“.
Auch die Auftritte von Christian Wulff selbst werden in Zeiten der Affäre zu Gratwanderungen. Als der Präsident kürzlich neue Briefmarken vorstellte, schrieben Journalisten über die neuen „Wulffahrtsmarken“. Bei einer Diskussion in Berlin vor mehreren hundert Zuschauern erlaubte sich der Moderator einige flapsig-launige Worte über den hohen Gast, der ja schließlich auch mal „Krawattenmann des Jahres“ gewesen sei. Wulff schaute leicht irritiert, eine Frau rief aus dem Publikum ein empörtes „Unerträglich!“ Richtung Bühne.
„Viel Spott, viel Ehr’“
Beschädigen Witze, Hohn, Spott die Würde des Amtes?
„Nein“, sagt Rainer Stollmann, Hochschuldozent für Kulturgeschichte an der Uni Bremen und Humorforscher. „Herrn Wulff schadet, was er selbst getan hat, nicht die Witzchen darüber. Die muss er ertragen.“
Stollmann, der einst über die „Natur und Kultur des Lachens“ habilitierte, glaubt im Übrigen nicht, dass Wulff unter den Witzen arg leidet. Durch dauernde Lästerei könnten sich Politiker auch geschmeichelt fühlen, mutmaßt der Experte. Ganz nach dem Motto: „Viel Spott, viel Ehr’.“ So gesehen, muss sich der Bundespräsident keine Sorgen machen.