Warschau. Nach langem Zögern und einiger Hinhaltetaktik hat der polnische Präsident Lech Kaczynski am Samstag in Warschau den EU-Vertrag von Lissabon unterzeichnet. Nun fehlt nur noch die Unterschrift des tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus. Doch der fordert plötzlich eine Ausnahmeklausel.

Der polnische Präsident Lech Kaczynski hat am Samstag den EU-Vertrag von Lissabon unterzeichnet. Damit hat Polen als vorletzter der 27 EU-Staaten die Ratifizierung des Vertragswerkes abgeschlossen. Nun fehlt noch Tschechien. Der europaskeptische tschechische Präsident Vaclav Klaus lässt offen, ob er ein Inkrafttreten bis Jahresende ermöglichen will. Der Lissabon-Vertrag soll die EU handlungsfähiger und demokratischer machen.

Tschechischer Präsident fordert Ausnahmeklausel

Tschechiens Präsident Vaclav Klaus hat seinen Widerstand gegen den EU-Reformvertrag erstmals mit befürchteten Rückgabeforderungen enteigneter Sudetendeutscher begründet. Derzeit ermögliche die EU-Grundrechtecharta, die Bestandteil des Vertrages ist, tschechische Gerichte zu umgehen, sagte Klaus am Freitag in Prag. Deshalb fordere sein Land eine Ausnahmeklausel.

"Vor der Ratifizierung muss Tschechien über eine Ausnahme verhandeln», sagte der als Europaskeptiker bekannte Präsident. Ansonsten sei es möglich, Rückgabeforderungen nach Enteignungen infolge des Zweiten Weltkrieges durch den EU-Gerichtshof zu erzwingen. Er sei besorgt, dass die Charta den Dekreten aus den Jahren 1945 und 1946 widerspreche. Nach deren Unterzeichnung waren rund 2,5 Millionen Sudetendeutsche aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben worden, ihr Eigentum wurde beschlagnahmt.

Zankapfel Sudentendeutsche

Klaus bestätigte damit einen entsprechenden Bericht der polnischen Zeitung «Rzeczpospolita». Die Zeitung hatte Vertraute des Präsidenten mit den Worten zitiert, es sei nicht hinnehmbar, dass etwa EU-Richter aus Malta oder Spanien, welche «die Geschichte in unserer Region ignorieren», darüber entscheiden, ob Sudetendeutsche ihr Eigentum zurück erhalten. Klaus äußerte zudem generelle Kritik an dem Vertrag. Dieser werde «die Stellung unseres Landes verschlechtern und es weiteren Risiken aussetzen».

Der Europaparlamentarier Jo Leinen sagte in Brüssel, die EU-Staats- und Regierungschefs könnten eine «politische Absichtserklärung» für Tschechien beschließen. Darin könne festgehalten werden, dass die Grundrechtecharta in dem Land keine Anwendung findet. Eine solche Absichtserklärung des EU-Gipfels könnte theoretisch den Weg für ein Inkrafttreten des Vertrags zum Jahresende freimachen.

Jahrlanger Streit um EU-Grundrechte-Charta

Auch EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek, der Klaus zuvor getroffen hatte, zeigte sich optimistisch über die weitere Vertragsratifizierung. Er habe Klaus jedoch erklärt, dass etwaige Ausnahmeklauseln von allen anderen 26 EU-Staaten befürwortet werden müssten.

Der Lissabon-Vertrag soll die Grundrechtecharta aus dem Jahr 2000 erstmals rechtsverbindlich machen. Polen und Großbritannien haben Ausnahmen erwirkt: So hatte sich Polen im Prozess der Beschlussfassung garantieren lassen, dass seine Gesetzgebung zur Homosexualität nicht angetastet werden muss. Großbritannien erwirkte, dass die Beschlüsse europäischer Gerichte nicht automatisch britisches Recht brechen.

Nach dem irischen Ja zum EU-Reformvertrag und der am Samstag erfolgten Ratifizierung in Polen durch die Unterschrift von Präsident Lech Kaczynski ist Tschechien nun der einzige Staat, der den Vertrag noch nicht ratifiziert hat. (afp)