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Ein neues, zentrales Zulassungssystem an Hochschulen soll das Zulassungschaos bei den Numerus-clausus-Studiengängen beenden. Doch die Software funktioniert nicht. Erneut wurde der Start des Systems vertagt. Und das geht nun schon seit Jahren so. Die Leidtragenden sind die Abiturienten, die sich ab April wieder an zahlreichen Unis parallel bewerben müssen – mit ungewissem Ausgang.

Es könnte so einfach sein: Abiturienten, die in einem NC-Studiengang studieren wollen, legen im Internet ein Konto beim Portal hochschulstart.de an, dem Nachfolger der altgedienten ZVS. So können sie sich an einem Dutzend Hochschulen zugleich bewerben und sich jederzeit online über den Stand der Dinge informieren. Kommen mehrere Zusagen, entscheidet sich der Bewerber per Mausklick für eine Hochschule. Alle anderen wissen sofort Bescheid und können den freien Platz erneut anbieten.

Freie NC-Studienplätze

Langwierige und mühevolle Nachrückverfahren wären nicht mehr nötig. Denn jährlich bleiben dadurch nach Angaben der Länder etwa 17.000 der begehrten NC-Studienplätze wegen Doppeleinschreibungen und Mehrfachbewerbungen zum Semesterstart unbesetzt.

Das neue „dialogorientierte Serviceverfahren“, so der umständliche Name für das zentrale Bewerbungsportal, soll diesen Missstand beheben. Doch die Sache läuft nicht. Das vom Bund mit 15 Millionen Euro finanzierte Programm der Firma T-Systems liegt zwar fix und fertig vor, kann aber nicht gestartet werden. Der Grund: Die Programme der meisten Unis in Deutschland sind nicht kompatibel mit dem System, sie „reden“ nicht miteinander.

Probleme größer als gedacht

Das war schon vor einem Jahr der Grund, den Start des Online-Verfahrens zu verschieben. In der Zwischenzeit sollten die Mängel behoben und sogenannte „Konnektoren“ eingebaut werden, erklärt Bernhard Scheer, Sprecher der Stiftung hochschulstart.de. Nach einem Probelauf an einigen Unis Ende 2011 stellte sich aber heraus, dass die Probleme wohl noch größer sind als bislang bekannt.

Nun sollen statt der anvisierten 150 Hochschulen allenfalls 40 in einem Pilotversuch an dem bundesweiten Online-Bewerbungsverfahren teilnehmen können – und dies auch nur bei Studiengängen mit nur einer Fachrichtung. So dürften alle Lehramtsstudiengänge, Zweifach-Bachelor und Studiengänge mit Nebenfächern rausfliegen.

Ruhrgebiets-Unis setzen auf eigene Verfahren

Ein Pilotbetrieb für eine so kleine Zahl an Hochschulen und Fächern sei „völlig zielfremd“, teilt die TU Dortmund mit. Das Vergabeverfahren könne nur wirksam sein, wenn sich fast alle Hochschulen daran beteiligten: „Wir sind sehr enttäuscht darüber, dass das dringend benötigte Vergabesystem nicht flächendeckend zum Einsatz kommen kann.“

Auch die Unis Duisburg-Essen und Bochum setzen aus diesem Grund weiter auf die eigenhändige Zulassung. Zeitgleich strömen immer mehr Studenten an die Unis. 2013 wird in NRW mit dem doppelten Abiturientenjahrgang ein Rekordansturm erwartet.

Politische Wellen

Alle zeigen nun mit dem Finger auf das HIS. Das Hochschul-Informationssystem, ein Dienstleister im Besitz von Bund und Ländern, sollte die zentrale Plattform mit den Hochschulrechnern verknüpfen. Nun räumen die Entwickler ein, den Aufwand unterschätzt zu haben, die Systeme aufeinander abzustimmen.

Die anhaltenden Probleme ausgerechnet in Zeiten des Studentenbooms schlagen politische Wellen. Grüne und SPD machen Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) verantwortlich. Schließlich habe sie 15 Millionen Euro in den Sand gesetzt. Die Opposition fordert die Ministerin auf, das Desaster zu beenden und die Zulassung in allen Bundesländern und Hochschulen per Gesetz einheitlich zu regeln. Doch ein Ende der Misere ist nicht in Sicht.

Forscher kritisiert Fixierung auf Abi-Schnitt und NC

Bis ein verlässliches Bewerbungssystem zur Verfügung steht, dürften noch Jahre vergehen. Doch selbst dann wäre wenig gewonnen, meint der Sozialwissenschaftler Prof. Wolf Wagner, ehemaliger Rektor der FH Erfurt und Autor des Buches „Tatort Universität. Vom Versagen deutscher Hochschulen und ihrer Rettung“.

Die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Berufswahl und der Ausbildungsstätte werde durch den heute fast flächendeckenden Numerus clausus ausgehebelt. Wagner: „Die Politik leistet es nicht – oder will es nicht –, der Nachfrage entsprechend Studienplätze bereitzustellen.“ Das neue Zulassungsverfahren sei daher nur ein Herumdoktern an Symptomen, „eine optische Täuschung“.

NC-optimiertes Lernen

Fatale Folge der fehlenden Studienplätze und des NC sei die Fixierung auf die Abiturnote, was schon Schülern eingeimpft werde. „Der alte Spruch: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir, ist völlig idiotisch geworden“, sagt Wagner. „Wer etwas werden will, muss sein Lernen NC-optimieren.“ Neigung und Neugier werde den jungen Menschen so ausgetrieben.

Ein guter Notendurchschnitt sage aber wenig aus über die Eignung zu einem bestimmten Beruf, so Wagner. Er plädiert daher dafür, die Abiturnote als Kriterium – und damit auch den NC – abzuschaffen. Die Hochschulen sollten allen Bewerbern ein Probestudium ermöglichen und die Studenten nach eigenen Kriterien auswählen dürfen. Wagner: „Dann hätte man die Motivierten, die Durchstarter.“