Essen. . Eine deutsche Parteienlandschaft ohne FDP? Gänzlich unwahrscheinlich ist das nicht, sagt der Düsseldorfer Parteienforscher Thomas Poguntke. “Parteien können verschwinden und ein Schattendasein fristen.“

Beim Dreikönigstreffen der FDP am vergangenen Freitag erlaubten sich einige Jung-Grüne einen kleinen, bösen Spaß. Sie entrollten vom obersten Rang im Stuttgarter Schlosstheater ein Transparent. „Willkommen bei den Sonstigen. Auf Nimmerwiedersehen!“, stand darauf. Es ist bezeichnend für die Lage der Liberalen, dass dies nicht nur die übliche Häme eines politischen Gegners ist, sondern durchaus als ernstzunehmende Zukunftsperspektive für ihre Partei verstanden werden kann. Aber ist es wirklich vorstellbar, dass die FDP komplett in der Versenkung verschwindet? Eine Partei, die über drei Generationen die Politik in Deutschland entscheidend mitgeprägt hat, die immer im Bundestag vertreten und über 40 Jahre an Bundesregierungen beteiligt war?

Theoretisch schon. „Parteien können verschwinden und ein Schattendasein fristen“, sagt Thomas Poguntke, Leiter des Instituts für Parteienforschung an der Universität Düsseldorf. Unter den „Sonstigen“ firmiert beispielsweise die Zentrumspartei. Exakt 6087 Stimmen hat sie bei der Bundestagswahl im Jahr 2009 bekommen. Ein Anteil jenseits des Promillebereichs. Für eine Partei, die über sechs Jahrzehnte im Reichstag vertreten war, die in der Weimarer Republik fünf Regierungschefs und mit Rudolf Amelunxen den ersten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten stellte. Die bis 1957 im Bundestag saß und bis 1958 an allen Landesregierungen in NRW beteiligt war.

Tradition allein schützt vor dem Niedergang nicht

Sicher ein gewagter historischer Vergleich – die katholisch geprägte Zentrumspartei hatte sich schließlich 1933 selbst aufgelöst, erst nach dem Krieg neu formiert und war dann machtlos gegen die überkonfessionelle Konkurrenz der CDU. Gleichwohl zeigt das Beispiel: Tradition allein schützt vor dem Niedergang nicht, wenn eine Partei programmatisch ausgelaugt ist und andere, frischere Kräfte ihre Themen besetzen.

In einem solchen Zustand ist die FDP aktuell, meint Parteienforscher Poguntke. „Die Partei ist in der schwierigsten Situation seit 1949. Die Mehrheit der Deutschen glaubt nicht, dass die FDP noch gebraucht wird.“

Warum es so kommen musste, liegt auf der Hand: Frühere Kompetenzfelder der FDP wie die Bürgerrechtpolitik werden mittlerweile glaubhafter von anderen Parteien vertreten, etwa den Grünen oder, ganz neu, der Piratenpartei. Unter Guido Westerwelle hat sich die FDP zu einer marktradikalen Klientelpartei degradieren lassen, die zuletzt nur ein Thema kannte – Steuersenkungen. Philipp Rösler hat es nicht geschafft, neue Impulse zu geben, der intellektuelle Vordenker Christian Lindner hat das Handtuch geworfen.

Furchtbar traurig wäre es nicht

„In dem jetzigen Zustand wäre es nicht so furchtbar traurig, wenn die Partei in der Versenkung verschwände“, sagt Thomas Poguntke.

Gerhart Baum sieht das naturgemäß anders. Der frühere FDP-Bundesinnenminister und kämpferische Verteidiger von Bürgerrechten sagt, es wäre „eine Verarmung des deutschen Parteiensystems, wenn eine liberale Partei verschwinden würde“. Für gänzlich unwahrscheinlich hält er das aber nicht: „Das ist eine Gefahr, die von der FDP viel zu lange verdrängt wurde. 18 Monate unter 5 Prozent – das ist eine strukturelle Krise.“

Im Idealfall, sagt Baum, biete die FDP eine Kombination von Freiheitsthemen von der Wirtschafts- bis zur Rechtspolitik. Von diesem Idealzustand sei die Partei aber weit entfernt. „Notwendig ist ein lebhafter Diskurs über die neuen Herausforderungen, zum Beispiel durch die digitale Revolution oder die Finanzkrise“, fordert Baum. Eine inhaltliche Neuausrichtung als Frischekur für die angeschlagene Partei – das fordert auch Burkhard Hirsch, der zusammen mit seinem politischen Weggefährten Baum in den vergangenen Jahren so etwas wie das sozialliberale Gewissen der Partei war: „Es wird Zeit, Bilanz zu ziehen und zu klären, was für uns Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Solidarität bedeuten.“ Hirsch setzt seine Hoffnung auf ein neues Programm, dessen Grundzüge beim Parteitag im Mai präsentiert werden sollen.

Eine intelligente, kopflastige, liberale Partei

Eine FDP, die unter den Sonstigen firmiert, ist für Hirsch unvorstellbar: „Der Liberalismus ist aus der deutschen Verfassungsgeschichte nicht wegzudenken.“

Das, immerhin, räumt auch Parteienforscher Poguntke ein. „Es gibt in der Parteienlandschaft einen Platz für eine intelligente, kopflastige, liberale Partei.“ Und das politische System in Deutschland inklusive großzügiger Parteienfinanzierung biete gute Chancen, auch arge Schwächephasen durchzustehen. Selbst ein Scheitern bei den Bundestagswahlen muss nicht das Ende bedeuten – die westdeutschen Grünen flogen 1990 aus dem Bundestag. Heute können sie sich wieder Spott über die FDP erlauben.