Washington. . Carol Rosenberg, Reporterin des „Miami Herald“, berichtet seit zehn Jahren über das umstrittenste Gefängnis der Welt. Kein Journalist weltweit weiß aus eigener Anschauung mehr über das Gefangenenlager Guantanamo, das die Regierung George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die Karibikinsel exportierte.

Als heute vor zehn Jahren die ersten 20 in orangefarbene Overalls gezwängten, mit Beruhigungsmitteln betäubten, in Ketten gelegten und mit Kapuzen „blind“ gemachten Häftlinge aus Afghanistan am Südende Kubas landeten, steht Carol Rosenberg in kurzen Hosen 300 Meter von der Rollbahn entfernt und glaubt an ein surreales Intermezzo der Geschichte.

Inzwischen hat die mit staubtrockenem Humor ausgestattete und preisgekrönte Militär-Reporterin des „Miami Herald“ über 100 Mal Guantanamo besucht. Dienstlich. Sie war es, die als erste erfuhr und aufschrieb, dass sich im Juni 2006 drei Häftlinge in den rund um die Uhr observierten Zellen-Trakten unter bis heute ungeklärten Umständen aufgehängt hatten. Sie war es, die das Pentagon mundtot machen wollte und nach an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen der sexuellen Belästigung eines Soldaten mit einem Berichterstattungsbann belegte, der bald wieder aufgehoben werden sollte. Sie ist es, davon konnte sich der Autor im vergangenen November aus Anlass eines Militärtribunals vor Ort überzeugen, die mit Hartnäckigkeit und Charme jeden schikanösen Versuch der Militärs torpediert, die extrem reglementierten Arbeitsbedingungen der jeweils eingeflogenen Medienvertreter weiter zu verschlechtern. Oft vergebens.

Bestand bis St. Nimmerleinstag

Die Regel, dass jeder Journalist täglich jedes in Guantanamo gemachte Foto per Chip-Kontrolle zensieren lassen muss, was zu stundenlangem Prozedere und Streit über die Löschung einzelner Motive führt, hat weiter Bestand. Kein Journalist weltweit weiß aus eigener Anschauung mehr als Rosenberg über das anfänglich „Camp X-Ray“ genannte, aus Freiluft-Käfigen bestehende Gefangenenlager, das die Regierung George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die Karibikinsel exportierte. Dorthin, wo Amerika seit über 100 Jahren eine gigantische Militär-Basis gepachtet hat. Viele Berichte, viele Einschätzungen europäischer Journalisten über „Gitmo“, wie der Standort im Militär-Jargon genannt wird, haben ihren Ausgangspunkt in seltenst beanstandeten Recherchen Rosenbergs, die sich über Jahre ein beachtliches Informanten-Netz aufgebaut hat.

Darum fand große Beachtung, als die resolute Frau dieser Tage Barack Obama indirekt in Schutz nahm. Der US-Präsident hatte schon bei Amtsantritt 2009 die Schließung des Lagers angekündigt. Er wollte ein Zeichen setzen gegen die „Hybris und Hysterie“, die sich mit dem weltweit als Schandfleck empfundenen Gefängnis verbindet, in dem Inhaftierten grundlegende Rechte verweigert werden. Das Gegenteil ist der Fall. Um den Jahreswechsel beschlossene Gesetze schreiben den Betrieb des teuersten Gefängnisses der Welt de facto bis zum St. Nimmerleinstag fort.

Häftling kostet 800.000 Dollar

Derzeit werden von ursprünglich 776 noch 171 islamistische Terrorverdächtige in eigens gebauten Hochsicherheitstrakten von einem Riesen-Stab von 1850 Soldaten und Zivilbediensteten bewacht. Kostenpunkt im Jahr: 800.000 Dollar pro Häftling. Vergleich: Ein Gefangener in einem Bundesgefängnis in Amerika schlägt mit rund 25.000 Dollar per anno zu Buche. Von den 171 könnten nach einer Regierungskommission rund 80 in Aufnahmeländer außerhalb der USA abgeschoben werden. Gegen sie liegt unter dem Strich nichts Belastbares vor. Kaum jemand aber will sie haben, also bleiben sie in Haft. Weitere 45, und hier wird es selbst nach Einschätzung der Vereinten Nationen zweifelhaft, gelten aus US-Sicht als so gefährlich, dass man sie niemals gehen lassen dürfe. Aber: die gegen diese Männer vorliegenden Indizien dürften aus Gründen der nationalen Sicherheit niemals in einem Gerichtsverfahren verwertet werden.

Rosenbergs Kommentar im November dazu: „Auf Guantanamo werden voraussichtlich Menschen nach lebenslanger Haft sterben, die niemals einen rechtsstaatlichen Prozess und einen Urteilsspruch erfahren haben.“ Den Grund dafür macht sie weniger bei Präsident Obama aus, dem Menschenrechtsorganisationen tief enttäuscht fehlendes Rückgrat attestieren, als bei den politischen Kräften im Kongress. Dort hatten die Obama tragenden Demokraten wie die ihn jagenden Republikaner den Präsidenten vor wenigen Tagen „fest eingemauert“, wie es in einem Blog der „Washington Post“ heißt. Eine Schließung von Guantanamo sei unmöglich, weil der Kongress neben anderen juristischen Spitzfindigkeiten schlicht das Geld verweigert, das nötig wäre, um die Gefangenen in ein normales Hochsicherheitsgefängnis auf dem amerikanischen Festland zu überstellen und ihnen vor einem Zivilgericht den Prozess zu machen.

Frieren auf Kuba

Carol Rosenberg wird darum nach eigenen Worten „wohl noch jahrelang nach Guantanamo reisen müssen“. Zu den spärlich stattfindenden Militärtribunalen, die juristisch doppelt vermintes Gebiet darstellen und sich ewig hinziehen können. Wenn Rosenberg vor Ort ist, schläft sie nach einem Absacker im beliebten Irish Pub wie die anderen Journalisten auch in einer mit Sperrmüll-Möbeln ausgestatteten Zeltstadt direkt neben dem 75 Millionen Dollar teuren Hochsicherheitsgericht, für das bisher nicht mehr als sechs Verfahren absehbar sind. Nachts kann man trotz Ohrstöpseln wegen des Generatorenlärms und der Eiseskälte der Klima-Anlagen kaum ein Auge zumachen. Carol Rosenbergs Schuld. 2006 bekam sie einen Tipp, dass Washington für 125 Millionen Dollar ein hotelähnliches Betreuungszentrum mit 1200 Betten für Militärs und Medien bauen will. Der damalige Verteidigungsminister Robert Gates soll ihr für die Story dankbar gewesen sein. Er legte den Plan zum Schutz des amerikanischen Steuerzahlers auf Eis.