Muss man das Bundespräsidentenamt vor seinem Inhaber schützen? Nach den neuen Vorwürfen gegen Christian Wulff drängt sich dieser Eindruck auf. Ein Kommentar von WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz.

Es ist eine gute Tradition in Deutschland, das oberste Staatsamt und dessen Amtsinhaber mit Respekt zu behandeln. Im Fall Christian Wulffs muss man allerdings einen Unterschied machen zwischen Amt und Amtsinhaber. Inzwischen muss man sogar fragen, ob nicht der Amtsinhaber das ihm anvertraute Amt beschädigt. Dann wäre das Amt vor dessen Inhaber zu schützen.

Wulff hat versucht, den Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, und wohl auch den Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner unter Druck zu setzen. Der Präsident wollte verhindern, dass Bild Wulffs fragwürdiges Kreditgebaren enthüllt. Das allein ist skandalös. Unmittelbar vor seinem Anruf hat der Bundespräsident vor Journalisten in Kuwait über die Bedeutung der Pressefreiheit für die Demokratie referiert. Dann rief er in Berlin an, um die Pressefreiheit für sich persönlich außer Kraft zu setzen.

Wulff hat sich in eine peinliche Lage manövriert

Skandalös ist darüber hinaus, dass das Staatsoberhaupt sich in die peinliche Lage manövriert, sich bei einem Chefredakteur entschuldigen zu müssen. Ein Präsident, abhängig von der Gnade eines Journalisten – das passt selbst bei großer Fantasie nicht zum Staatsamt.

Es spricht im übrigen Bände, dass zwischen dem Anruf beim Bild-Chef und der Entschuldigung volle drei Tage liegen. Es sieht ganz so aus, als ob sich der Präsident nicht aus Einsicht entschuldigt hat, sondern unter Druck. Er musste befürchten, das Protokoll seines Anrufs könnte veröffentlicht werden. Es handelt sich übrigens um einen Wutausbruch, der mehrere Minuten lang dauerte.

Presse muss aufdecken, was schiefläuft

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Foto: dapd
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Foto: dapd

Was für eine Eselei außerdem, dem Bild-Chef auf dessen Mailbox zu sprechen. Ein Telefonat zwischen einem Journalisten und einem Politiker ist geschützt, man kann Vertraulichkeit vereinbaren. Das ist bei einer auf eine Mailbox gesprochenen Nachricht nicht der Fall. Bild hätte sie veröffentlichen dürfen, verzichtete aber klugerweise darauf. Der Springer-Chef machte dem Präsidenten klar, dass er sich in die journalistische Freiheit nicht einmischen werde. Dass ein solcher Vorgang nicht geheim bleiben würde, war klar. Bei Bild in Berlin arbeiten 180 Redakteure, und nicht jeder im Präsidialamt schätzt Wulff.

Die Union hat schon vor einigen Tagen ein Ende der Debatte um Wulff gefordert. Das war mindestens einmal verfrüht, wie sich jetzt heraus stellt. Einmal abgesehen davon, dass noch nicht klar ist, ob Wulff gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen hat, als er von einem Privatmann einen Kredit annahm. Es ist die Aufgabe der Presse in einem Rechtsstaat, aufzudecken, was schiefläuft. Auch wenn etwas beim Bundespräsidenten aus dem Ruder läuft.

Fazit: Es wurde gewarnt, der Rücktritt des zweiten Bundespräsidenten in Folge käme einer Staatskrise gleich. Das ist falsch. Unsere Demokratie hat sich bislang gerade dann bewährt, wenn sie ihre Institutionen schützen musste. Darauf kann man bauen.