Harlingen. Die Fahrt des Castor-Transport nach Gorleben verzögert sich weiter. Atomkraft-Gegnern haben an mehreren Standorten die Gleise blockiert. Bereits am Mittag war der Transport 92 Stunden unterwegs - und toppt damit schon jetzt das Rekordjahr 2010.

Der Lüneburger Polizeipräsident Friedrich Niehörster hat die zunehmende Gewaltbereitschaft bei den Protesten gegen den Castor-Transport mit hochradioaktivem Atommüll im Wendland beklagt. Laut "Welt am Sonntag" berichtete der für den Transport verantwortliche Niehörster einer Gruppe niedersächsischer Landtagsabgeordneter, dass Polizisten zum Beispiel mit Golfbällen beworfen worden seien, die zuvor mit Nägeln präpariert worden waren. In einem Waldstück nahe Metzingen an der Straßentransportstrecke sei eine Polizistin, die sich allein in einem Einsatzwagen befand, mit Molotowcocktails bedroht worden.

Niehörster berichtete laut "WamS" auch von Brandanschlägen auf Kabelschächte der Bahn und von angesägten Bäumen, die auf Polizeiautos gestürzt werden sollten. Insgesamt gebe es in Teilen der Protestszene eine "exzessive Gewaltbereitschaft", zitierte die Zeitung Niehörster weiter. Dafür ließen sich "offenbar immer mehr Menschen gewinnen".

Schüsse auf Polizisten und Journalisten

Mehrere militante Castor-Gegner haben am Sonntag in einem Waldstück bei Metzingen im Wendland sowohl Polizisten als auch Journalisten mit Zwillen beschossen. Das berichtete ein dapd-Fotograf vor Ort. Die Polizei bestätigte das und schickte am Nachmittag mehrere Hundertschaften los, um gegen die Angreifer vorzugehen.

In einem Camp in Metzingen kommen zu Castor-Zeiten traditionell Autonome unter. Sie gerieten in den drei Nächten von Donnerstag bis Sonntag wiederholt mit den Beamten aneinander und bewarfen diese unter anderem mit Holzpfählen und Böllern. Die Polizei setzte ihrerseits Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein.

Mit Betonpyramide an die Gleise gekettet

Der Castor-Transport hat am Sonntagmittag Lüneburg verlassen und war auf der "Wendlandbahn" genannten eingleisigen Strecke in Richtung Dannenberg unterwegs. Unterdessen versuchten Hunderte Aktivisten, die Strecke mit Sitzblockaden und durch Anketten an die Gleise weiter zu blockieren. Während der Zug Lüneburg verließ, war die Polizei noch damit beschäftigt, an mindestens zwei Orten entlang der Strecke Aktivisten von den Schienen zu lösen.

Ein Reporter der dapd berichtete zudem von deutlich mehr als 500 Gleisbesetzern. Die nächste Blockade erwartete den Sonderzug bereits bei Vastorf, bereits etwa 15 Kilometer hinter Lüneburg. Dort hatten sich am Vormittag vier Personen an das Gleis gekettet. Zwei von ihnen waren am Sonntagnachmittag allerdings bereits gelöst.

In Dannenberg müssen die elf Behälter mit hoch radioaktiver Ladung für die letzten Kilometer auf der Straße auf Tieflader umgeladen werden. Weil das in den Vorjahren stets deutlich mehr als zehn Stunden dauerte, wird der Atommüll voraussichtlich frühestens am Montag in den Morgenstunden das Zwischenlager Gorleben erreichen.

Sturmtief zieht ab

Zuletzt bedrohte ein Sturmtief die Verladung, die bei Winden über der Stärke sieben laut des Zwischenlager-Betreibers unmöglich wäre. Der Deutsche Wetterdienst sagte am Sonntag jedoch der dapd, am Montagvormittag seien keine Stürme mehr zu erwarten.

Die eingleisige Strecke bis zur Verladestation gilt als Hochburg der Castor-Gegner. Die Polizei hatte in der Nacht kurz vor Dannenberg eine Besetzung der Gleise beendet, an der sich nach jüngsten Angaben der Beamten etwa 3.500 Umweltschützer beteiligt hatten.

Unterdessen überschritt der Transport die bisherige Höchstdauer bei der Verladung des Atommülls aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague ins niedersächsische Gorleben. Am Sonntagmittag um 12 Uhr war er bereits 92 Stunden unterwegs und damit länger als im bisherigen "Rekordjahr" 2010. Der Einsatz wird in Deutschland von etwa 19.000 Polizisten und mehreren Zehntausend Atomkraftgegnern begleitet.

Die Bahnstrecke für den Castor-Transport wurde bereits zuvor mehrfach von Aktivisten blockiert. In Hitzacker ketteten sich nach Angaben der Polizei am Sonntagmorgen vier Menschen mit einer Betonpyramide an die Gleise. Es handle sich um drei Männer und eine Frau von der Protestgruppe Bäuerliche Notgemeinschaft, wie ein Polizeisprecher in Lüneburg sagte. Die Einsatzkräfte der Polizei waren unterdessen in Vastorf bei Lüneburg weiter damit beschäftigt, eine Blockade von vier Castor-Gegnern zu beenden, die sich ebenfalls an die Schienen gekettet hatten.

Tausende Atomkraftgegner von den Gleisen geholt

Eine Gleisblockade von tausenden Atomkraftgegnern beendete die Polizei am frühen Sonntagmorgen in Harlingen bei Hitzacker weitgehend friedlich. Nach Polizeiangaben befanden sich am Sonntagmorgen 1300 Menschen in Außengewahrsam neben der besetzten Bahnstrecke. Sie würden nach Lüchow gebracht, um in der dortigen Gefangenensammelstelle einem Richter vorgeführt zu werden. Dieser soll über die Dauer des Gewahrsams entscheiden. Aktivisten kritisierten das Fehlen von Decken in dem unter freiem Himmel eingerichteten Außengewahrsam. Sie bezeichneten das Festhalten in dem Polizeikessel als illegal und kündigten rechtliche Schritte an.

In Harlingen hatten nach Polizeiangaben etwa 3500 Menschen die Schienen blockiert oder sich an Protesten rund um die Blockade beteiligt. Die Atomkraftgegner sprachen von bis zu 5000 Menschen. Die Räumung durch die Polizei verlief schleppend. Hauke Nissen, ein Sprecher der Gruppe WiderSetzen, die zu der Schienenblockade aufgerufen hatte, sprach von einem ruhigen Ablauf der Räumung. Es habe vereinzelt Übergriffe gegen Blockierer gegeben, einige seien „gezerrt und gezogen“ worden. Jedoch sei die Räumung ruhiger verlaufen als erwartet.

Polizei kesselt Demonstranten ein

Nissen befand sich selbst am Sonntagmorgen in Polizeigewahrsam auf einem Feld nahe den zuvor besetzten Gleisen. Das durch Polizeiautos abgesperrte Areal lag unter freiem Himmel. Nissen übte scharfe Kritik daran, dass die von der Polizei weggetragenen Blockierer ihre Rucksäcke auf den Schienen lassen mussten. In dem Polizeikessel würden Decken knapp. Viele hätten in ihren Taschen Decken oder andere Dinge, die sie nun dringend bräuchten. Es herrschten starke Windböen und ein Nieselregen habe eingesetzt.

Ein Polizeisprecher vor Ort sagte, die Räumung sei sowohl von Seiten der Polizei als auch der Demonstranten „ruhig und geordnet“ verlaufen. Dem Sprecher zufolge wurden alle diejenigen, die der Aufforderung zum Räumen der Gleise nicht folgten, in die sogenannte Außengewahrsamstelle gebracht. Sie sollen einem Richter vorgeführt werden. Nissen schätzte die Zahl der in Gewahrsam genommenen Demonstranten auf etwa 2000. Die Gefangenensammelstelle auf freiem Feld bezeichnete er als „illegal“.

Der Zug mit den elf Castoren aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague war am Samstagabend im Güterbahnhof Maschen südlich von Hamburg umrangiert worden, um seine Fahrt nach Lüneburg in entgegengesetzter Richtung fortzusetzen. Nach Angaben der Blockierer stand er am Morgen weiter in Maschen. (afp/dapd)