Kiel. Die Grünen haben am Freitag ihren Parteitag in Kiel begonnen. Bestimmendes Thema des ersten Abends: die Euro-Krise. Als Gast sprach Griechenlands Ex-Premier Papandreou - und erntete Zustimmung. Wie er fordern auch die Grünen unter anderem Euro-Bonds und eine stärkere Kontrolle der Banken.
Nach seinem Vortrag applaudieren die Delegierten im Stehen. „Es ist mir eine sehr große Ehre, nach Ihnen reden zu dürfen“, säuselt eine Gesandte vom Kreisverband Göttingen. Mehrere Delegierte bitten um einen Schnappschuss mit den weltbekannten Gast, den mehrere Bodyguards flankieren. Sekunden später verschwindet er durch einen Seitenausgang und braust mit einer dunklen Luxuskarosse aus dem Schwabenland in die Nacht davon.
Der Star des Freitagabends in Kiel ist zwar ein Roter und kein Grüner. Dennoch hat Griechenlands Ex-Regierungschef Giorgos Papandreou den Grünen auf ihrem Bundesparteitag mit seinen Visionen zu Europa aus der Seele gesprochen. „Wir brauchen eine stärkere Union“, sagt der Chef der Sozialisten in Hellas und fordert eine „grüne Wachstumsrevolution“. Als Antwort auf die Klimaerwärmung und die Wirtschaftsflaute. So könne Europa seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, referiert Papandreou. Die 850 Delegierten sind begeistert.
Einigkeit mit Papandreou
Zumal sich der Mann aus Athen für die Finanztransaktionssteuer, eine Steuer auf Treibhausgase, Euro-Bonds und eine stärkere Kontrolle der Banken ausspricht. Obendrein beklagt er, dass die Entscheidungen in Europa von wenigen mächtigen Akteuren getroffen würden. Das sei eine Gefahr für die Demokratie.
Besser als Papandreou hätten die Grünen ihre Pläne zu Europa kaum formulieren können, die sie am Freitagabend mit zwei Anträgen verabschiedet haben. Im Kern läuft alles auf eine Stärkung der EU und ihrer Bürger hinaus. So wollen die Grünen den Rats- und Kommissionspräsidenten der EU in einem Amt verschmelzen und ihn von den Bürgern bei den Europawahlen wählen lassen. Das soll die Mitsprache des Einzelnen stärken. Die europäische Kommission wiederum soll zu einer Wirtschaftsregierung weiter entwickelt werden. Um die EU handlungsfähig zu halten, wollen die Grünen das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat abschaffen.
Kurswechsel im Kampf gegen die Finanzkrise
Zudem möchte die Partei eine Schuldenbremse für Banken, die Reichen mit europaweiten Vermögensabgaben schröpfen, sowie die Finanztransaktionssteuer und Euro-Bonds einführen. Dies wäre ein deutlicher Kurswechsel im Kampf gegen die Finanzkrise. Denn gegen die Euro-Bonds stemmt sich bislang Kanzlerin Angela Merkel (CDU), an der Grünen-Chef Cem Özdemir kein gutes Haar lässt. Bei Thema Europa wirft er ihr einen Zickzack-Kurs vor. „Wenn Europa ein Kreuzfahrtschiff wäre, dann würden wir Europäer schon alle längst kotzend an der Reling hängen, weil Frau Merkel jede Woche das Ruder rumreißt und in eine andere Richtung lenkt“, lästert Özdemir. Da muss sogar Papandreou lachen.
Das Europathema stellt sich als dankbarer Start für den Arbeitsparteitag, der noch bis Sonntag geht. Denn hier gibt es praktisch keinen innerparteilichen Zündstoff. Dies sieht heute anders aus, wenn die Delegierten die Finanz- und Wirtschaftspolitik festzurren wollen. Schließlich möchten sie für die nächste Bundestagswahl gerüstet sein. Dabei versuchen sie eine Umverteilung von oben nach unten, ohne sich die Wirtschaft und die Gutverdiener ganz zum Feind zu machen. So möchte die Ökopartei den Spitzensteuersatz linear erhöhen. Wer 60.000 Euro im Jahr verdient, soll künftig 45 Prozent Steuern zahlen, ab 80.000 Euro sind es 49 Prozent. Der Grünen Jugend gehen diese Pläne nicht weit genug. Sie fordert in einem Antrag einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent – doch dafür hat sie von der Parteispitze bereits eine deutliche Abfuhr kassiert.
Unmut gab es im Vorfeld auch von der Länderseite. Die NRW-Grünen forderten in einem Antrag die Wiedereinführung der Vermögenssteuer anstatt der Vermögensabgabe, die der Parteivorstand will. Denn die angepeilten 100 Milliarden Euro zur Bewältigung der Finanzkrise würden nur an den Bund fließen, während die Länder von der Vermögenssteuer ebenfalls profitieren würden. Mit einem weiteren Änderungsantrag wollte der NRW-Landesverband erreichen, dass der Bund künftig 50 anstatt 25,1 Prozent der Unterkunftskosten für ALG-II-Bezieher übernimmt.