Washington/Halifax. . Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg meldet sich in Kanada auf der internationalen Bühne zurück. Ohne Nickelbrille, mit neuer Frisur. Aber dem bekannt hohen Schwadronierfaktor.
Die Rundbrille ist ausgemustert. Die Kai-Diekmann-mäßig nach hinten gegelten Haare sind nach vorn gestriegelt. Ohne Gel. Und ums Kinn herum wirkt der bekannteste Polit-Flüchtling der Republik nach acht Monaten im amerikanischen Teilzeit-Exil von Connecticut mindestens 200 Gramm runder. Das war’s aber auch schon mit den Unterschieden im öffentlichen Erscheinungsbild des Karl-Theodor zu Guttenberg. In Kopf und Temperament ist der wegen gravierenden akademischen Unregelmäßigkeiten erst des Doktor-, dann des Ministertitels verlustig gegangene Baron aus Kulmbach/Bayern an diesem Samstag in der kanadischen Einöde ganz der Alte: Levitenleser, Schwadroneur und Verfechter des vagen Wortes. Wie schon vor zwei Jahren ist der 39-Jährige einer von rund 30 geladenen Experten aus 40 Ländern, die auf dem “Halifax International Security Forum” in mitunter lustig übertitelten Foren die Weltlage debattieren. Darunter sind echte Schwergewichte wie US-Verteidigungsminister Leon Panetta oder der frührere Präsidentschaftskandidat John McCain.
KTs Runde, oder wie der Anglo-Amerikaner sagt: “Käi-Tiehs”, trägt den clintonesken Titel “It’s the economy, dumb egg”. Aha. Es geht also um Wirtschaft. Und um Dummköpfe. Nur diesmal ist Guttenberg kein frischgebackener Verteidigungsminister im Sturm und Drang. Sondern laut Programmheft “angesehener Staatsmann”, unterwegs im Geschirr einer noch angeseheneren Washingtoner Denkfabrik.
Bodycheck ohne Schutzhelm gegen Merkel, Sarkozy, Cameron etc
Wie redet, wie denkt so einer? Kleine Episode: In der zwischen Euro-, Griechenland-, EU- und Weltkrise oszillierenden Runde mit einem ausgeschlafenen Amerikaner und einem furchtbar schnell redenden Briten wird Guttenberg von der Moderatorin, die alle duzt, zu “Occupy Wall Street” gefragt. In Anspielung auf die hygienischen Umstände in dem jüngst geräumten Zeltlager der Demonstranten in Manahattan spricht der selbst vor Ort gewesene Staatsmann von einem “smelly place”, einem Ort also, an dem es (offenbar nicht angenehm) gerochen habe. Und davon, dass er sich so recht keinen Reim auf das Ganze machen könne. “Occupy Wall Street” könne Beleg dafür sein, dass “wir uns in einer Demokratie-Krise befinden”. Oder umgekehrt: “dass Demokratie funktioniert”.
Weil die Livestream-Kamera regelmäßig in die Zuschauerreihen hält, kann man sehen, dass auch die angereisten deutschen Journalisten einen Augenblick brauchen, um der Analyse Herr zu werden, deren intellektuelle Tiefe der Urheber früher “überschaubar” genannt hätte. KT ist da schon längst weiter. Der Mann vermisst Passion. Genauer: die Leidenschaft von Politikern dies- wie jenseits des Atlantiks, die Bande zwischen Amerika und Europa aufs neue zu kräftigen. Überhaupt Europa. Alles nur noch Panik-Entscheidungen, überstürztes von der Hand in den Mund, nirgends das große Ganze. Wörtlich sagt der ehemalige CSU-Hoffnungsträger, dass er in Europa derzeit keinen einzigen Politiker zu erkennen vermag, der den Menschen in wenigen Worten und mit Leidenschaft nahebringen könne, wie Europa in zehn oder 20 Jahren aussehen soll – und warum.
Ein Bodycheck ohne Schutzhelm gegen Merkel, Sarkozy, Cameron etc., bei dem beinahe untergeht, dass der bequem im Sessel sitzende Kritiker mit der blauen Krawatte und den Wildlederschuhen auf jeden Hauch eines Gegenentwurfs verzichtet. Guttenberg hält der Welt derzeit erst einmal nur den Puls. Therapien kommen später. Lediglich für ein paar boshafte Rückblenden, da muss einfach Zeit sein. Dass jemand die Nichteinmischungspolitik Deutschlands im Libyen-Konflikt für falsch und den amtierenden Außenminister W. für einen außenpolitischen Wicht hält, hat wohl noch niemand indirekt so pathetisch formuliert wie Guttenberg. Falls die staatsanwaltlichen Ermittlungen in der Plagiatsaffäre für ihn günstig ausgehen sollten, ist mehr von Guttenberg zu befürchten. Halifax war erst der Anfang.