Berlin. . Nach der Verbrechens-Serie an Ausländern und einer Polizistin werden die Rufe nach einer härteren Gangart gegen Neonazis lauter. Inzwischen hat die Polizei einen vierten Verdächtigen festgenommen. CDU-Fraktionschef Kauder vergleicht die Rechten mit RAF-Terroristen.
Die Bundesanwaltschaft hat einen weiteren Verdächtigen in der sogenannten Döner-Mordserie festnehmen lassen. Wie die Behörde am Sonntag mitteilte, nahmen Beamte des Landeskriminalamts Niedersachsen den 37-jährigen Holger G. in der Nähe von Hannover fest. Zudem durchsuchten Beamte des Bundeskriminalamts die Wohnung des Beschuldigten. Er sei "dringend verdächtig", sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) beteiligt zu haben.
Am Montag will die Bundesanwaltschaft Holger G. dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorführen und Haftbefehl beantragen.
Zunächst war die Behörde davon ausgegangen, dass sich der "NSU" aus den am 4. November 2011 nahe Eisenach tot aufgefundenen Männern Uwe B. und Uwe M. sowie Beate Z. zusammensetzte. Die weiteren Ermittlungen hätten nun aber ergeben, dass auch der Beschuldigte Holger G. dringend verdächtig ist, sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben.
Holger G. soll der Gruppe Papiere und Fahrzeuge besorgt haben
Holger G. habe seit Ende der 1990er Jahre mit den übrigen Mitgliedern des "NSU" in Kontakt gestanden. Er soll deren fremdenfeindliche Einstellung geteilt haben und in dieselben rechtsextremistischen Kreise wie sie eingebunden gewesen sein. So soll er den drei übrigen, im Verborgenen agierenden Mitgliedern der Vereinigung 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Zudem soll er mehrfach Wohnmobile für die Gruppierung angemietet haben. Eines der Fahrzeuge soll bei dem Mordanschlag auf die Heilbronner Polizisten genutzt worden sein.
Der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke beobachtet in Deutschland ein gewisses Potenzial für weitere rechtsterroristische Aktionen. Es sei nachweisbar, dass das Neonazi-Trio aus Zwickau Kontakt zu Mitgliedern sogenannter freier Netze in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatte, sagte der Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin der Nachrichtenagantur dapd. Ein Teil der Szene sei identisch. Offen sei allerdings, ob sich diese Gruppierungen systematisch rechtsterroristisch organisieren würden. Das Gewaltpotenzial sei jedoch vorhanden.
Die weitere Entwicklung gewaltbereiter rechtsextremer Gruppen hänge auch davon ab, ob Gesellschaft und Politik entschlossen gegen Rechtsextremismus vorgingen. Funke forderte eine konsequente Aufklärung der Vorfälle.
Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), sieht in den sogenannten Döner-Morden eine neue Dimension der Gewalt. Die Verbrechen kämen "nahe an den Terrorismus der Rote-Armee-Fraktion" (RAF), sagte Kauder der "Bild"-Zeitung. Die Hintergründe der Taten müssten "restlos" aufgeklärt werden, und die Politik aus dem Ergebnis Konsequenzen ziehen. "Die Taten zeigen ein Maß an offenbar politisch motivierter Menschenverachtung, die tief erschütternd ist. "
Forderung nach NPD-Verbot
Forderungen nach einem schärferen Vorgehen gegen den Rechtsextremismus gab es auch von anderer Seite. Der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner und der Präsident des Zentralrats derJuden in Deutschland, Dieter Graumann, brachten dabei auch ein Verbot der NPD ins Spiel. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) forderte, „alles auf den Prüfstand zu stellen, was den Kampf gegen Neonazis betrifft“. Mit den jetzt bekannt gewordenen Fällen wird sich auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages befassen.
Am Freitag hatte die Bundesanwaltschaft bekannt gegeben, dass die Morde an einer Heilbronner Polizistin im April 2007 und die Döner-Morde an acht türkischstämmigen Männern und einen Griechen in den Jahren 2000 bis 2006 auf das Konto der rechtsextremistischen Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ gehen. Die für Terrorfälle zuständige Karlsruher Behörde zog die Ermittlungen deshalb an sich.
Stegner sagte „Handelsblatt Online“: „Dass über ein Jahrzehnt rechtsextreme Mörder skrupellose Mordtaten verüben können und eher per Zufall entdeckt werden, wirft viele Fragen auf“. Er fügte hinzu: „Die NPD als verfassungsfeindlicher politischer Arm der Naziszene bekommt Steuergelder und sollte endlich verboten werden.“ Dafür müssten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gemeinsam sorgen. „Gerade wir Deutschen haben allen Grund, den Kampf gegen rechts entschlossen zu führen“, sagte Stegner.
Graumann: „Wir brauchen einen resoluten Ruck gegen Rechts“
Graumann sprach von „absolut schockierenden“ Taten. „Sollten sich die Indizien nun erhärten, so haben wir es mit einem widerlichen Rechtsterrorismus zu tun, der offenbar viele Jahre lang fast ungehindert Menschen ermorden konnte, die ihm offenbar nicht lebenswert erschienen“, sagte der Zentralratspräsident „Handelsblatt Online“. Dann allerdings sei eine „neue Entschlossenheit“ im Kampf gegen rechts notwendig. „Wir brauchen einen resoluten Ruck gegen Rechts“, sagte Graumann. Das gelte vor allem für die NPD. An einem Verbot dieser Partei führe nun „absolut kein Weg mehr vorbei“.
Mit der rechtsextremen Terrorzelle in Deutschland wird sich möglichst bald das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages befassen. Der Vorsitzende Thomas Oppermann (SPD) sagte der Zeitung „Bild am Sonntag“: „Ich werde in der kommenden Sitzungswoche zu einer Sondersitzung des für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständigen Kontrollgremiums des Bundestages einladen. Ich will wissen, was die Behörden wussten und wie solche Straftaten in Zukunft besser verhindert werden können.“
Auch der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, verlangt Informationen über die Ermittlungen gegen die mutmaßliche Terrorgruppe. Der CDU-Politiker fordert im selben Blatt: „Es muss aufgeklärt werden, wie es möglich war, dass das Trio zehn Jahre unbehelligt im Untergrund leben konnte.“
Terrorverdächtige Beate Z. fordert offenbar Kronzeugenregelung
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann verlangte unterdessen weitreichende Konsequenzen aus der mutmaßlich rechtsextremistischen Mordserie in Deutschland. „Das ist eine besonders brutale Form von Rechtsterrorismus, wie wir ihn seit Jahrzehnten in Deutschland nicht hatten“, sagte der CDU-Politiker der in Berlin erscheinenden Zeitung „Welt am Sonntag“.
Der Zwickauer Fall sei Anlass genug, „alles auf den Prüfstand zu stellen, was den Kampf gegen Neonazis betrifft“. Der CDU-Politiker forderte: „Wir sollten darüber nachdenken , ob wir nicht so etwas wie das Terrorabwehrzentrum auch für den Bereich des Rechts- und Linksextremismus benötigen.“ Außerdem sollten Durchsuchungen in der rechtsextemistischen Szene verstärkt werden, um Waffen und Sprengstoff aufzuspüren.
Die Beschuldigte im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu dem Polizistinnenmord und den sogenannten Dönerbuden-Morden fordert einem Bericht zufolge eine Kronzeugenregelung in ihrem Fall. Beate Z. wolle nur aussagen, wenn ihr zuvor als Kronzeugin Strafmilderung zugesichert werde, berichtete die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Ermittlerkreise. Gegen die 36-jährige Thüringerin wird wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mord und versuchtem Mord ermittelt. (dapd/afp)