Berlin. . Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat der Bundesregierung schwere Fehler bei der Integration von Türken in Deutschland vorgeworfen. Zudem beklagte er, die Türkei erhalte aus Deutschland zu wenig Hilfe beim geplanten EU-Beitritt. Die Grünen sprechen von „unerträglicher Stimmungsmache“.

Kurz vor seinem Deutschland-Besuch hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Bundesregierung scharf kritisiert. Die Regierung in Berlin mache Fehler bei der Integration und unterstütze die Türkei nicht ausreichend beim angestrebten EU-Beitritt, sagte er der „Bild“-Zeitung (Mittwochsausgabe). Die Grünen im Bundestag warfen dem Premier „unerträgliche Stimmungsmache“ gegen Deutschland vor.

„Die deutsche Politik würdigt die Verflechtung der drei Millionen Türken in Deutschland nicht genug“, sagte Erdogan. „Die erste Generation waren Gäste. Viele sind geblieben und denken jetzt nicht mehr daran zurückzukehren.“ Es gebe in Deutschland bereits 72. 000 türkische Arbeitgeber mit 350.000 Arbeitsplätzen. „Der Gastarbeiter von gestern wird langsam auch Arbeitgeber, Akademiker, Künstler“, sagte der Regierungschef.

„Deutsche Politik müsste viel mehr für EU-Beitritt der Türkei tun“

Das türkische Volk sehe das deutsche Volk „immer noch mit sehr positiven Gefühlen an“, sagte Erdogan weiter. Deshalb solle Deutschland mit der Türkei viel mehr Solidarität zeigen. „Die deutsche Politik müsste viel mehr für den EU-Beitritt der Türkei tun, weil er die Integration massiv vorantreiben würde“, sagte er. „Weil wir Türken so viel Positives für Deutschland empfinden, fühlen wir uns gerade hier im Stich gelassen.“

Scharf kritisierte Erdogan in dem „Bild“-Interview die deutsche Gesetzgebung, wonach türkische Angehörige vor dem Zuzug nach Deutschland die deutsche Sprache erlernen müssen. „Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte.“ Deutschland müsse zugezogene Türken „nicht als Gefahr sondern als Bereicherung sehen“.

Erdogan bekräftigte, Türken in Deutschland sollten ihren Kindern zuerst Türkisch und dann Deutsch beibringen. Dies sei „nur eine sprachwissenschaftliche Erkenntnis“: Wenn ein Kind eine neue Sprache erlernen solle, müsse es die eigene Sprache gut können. „Andernfalls kann man keine zweite Sprache erlernen“, sagte der Regierungschef.

Harsche Kritik von den Grünen

Der Grünen-Innenexperte Memet Kilic sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwochsausgabe), die Regierung Erdogan schüre „immer wieder bewusst Vorurteile gegen Deutschland, um damit bei den Hardlinern im eigenen Land zu punkten“. Zuletzt habe der Premier nicht einmal davor zurückgeschreckt, deutsche Stiftungen in der Türkei als Unterstützer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK hinzustellen. Diese „unerträgliche Stimmungsmache“ dürfe nicht so stehen bleiben.

„Erdogan sollte sich in Deutschland öffentlich für seine Ausfälle entschuldigen“, sagte Kilic, der auch integrationspolitischer Sprecher der Grünen ist. Sofern er das nicht tue, „muss die Bundeskanzlerin ihn öffentlich zurechtweisen“. Alles andere wäre falsch verstandene Diplomatie, die Erdogan nur zu weiteren Provokationen ermutigen würde.

Erdogan traf in Berlin ein, um am Mittwoch gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an den 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens zu erinnern. Mit dem Abkommen von 1961 hatte offiziell die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für Unternehmen in der jungen Bundesrepublik begonnen.

Bundesinnenminister Friedrich hält Integrationspolitik für teilweise verfehlt

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hält die deutsche Integrationspolitik für Türken für teilweise verfehlt. "Wir haben es leider zugelassen, dass sie in Bezirken zusammenwohnen, in denen sie den Kontakt zu Deutschen nicht haben oder haben wollen", sagte der CSU-Politiker am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin. Vor 50 Jahren hatte die BRD ein Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen.

Friedrich sprach sich zudem gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft aus. Wer in Deutschland bleiben wolle, müsse deutscher Staatsbürger werden. "Und dann sind sie eben keine Türken mehr", sagte er. Heute leben über 2,5 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland.(dapd/afp)