Istanbul. Sie sind in Deutschland aufgewachsen und sprechen perfekt deutsch. Trotzdem fühlen sie sich fremd hier und einige gehen deshalb sogar zurück in das Land ihrer Eltern: die Türkei. Doch auch dort sind sie nicht zuhause.

Zehra Türkoglu ist in Duisburg geboren. Die Türkei kannte die 28-jährige nur aus dem Urlaub. Seit einem Jahr lebt die junge Frau mit dem deutschen Pass als „Deutschländerin“ in Istanbul. „In Deutschland bleibt man immer die Türkin“, begründet die Diplom-Pädagogin den Wechsel in eine neue Heimat. „Ich will es versuchen.“ Der Antrag auf Anerkennung des Diploms läuft.

Beim monatlichen „Rückkehrer-Stammtisch im Restaurant Teraso treffen sich bis zu 100 Deutsche, die ins Land ihrer Eltern ausgewandert sind. Der Stammtisch ist 2006 als eine Art „Erste Hilfe“ für frisch Zugezogene gegründet worden. „Rückkehrer“ ist eigentlich der falsche Begriff. Denn zurückgekehrt sind die meisten nicht – es sind Auswanderer der 3.Generation, die sich in der früheren Heimat der Eltern eine bessere Zukunft versprechen.

Die Türkei will die gut ausgebildeten "Deutschländer" halten

Auf seinem viertägigen Türkei-Besuch wirbt NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) bei den türkisch-stämmigen Auswanderern für die Rückkehr nach NRW. Schneider setzt auf eine neue Willkommenskultur durch das Integrationsgesetz und die doppelte Staatsbürgerschaft. Im Gespräch mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten für Auslandstürken, Bekir Bozdag, wird aber auch klar, dass die Türkei die gut ausgebildeten „Deutschländer“ halten will. Die türkische Politik zeigt viel Selbstbewusstsein, weil heute fast 10 000 mehr Menschen jährlich aus Deutschland in die Türkei abwandern als umgekehrt.

NRW-Staatssekretärin Zülfiye Kaykin, selbst Deutsche mit Migrationshintergrund, weiß um die innere Zerrissenheit vieler Deutsch-Türken. „Es ist möglich, dass zwei Herzen in einer Brust schlagen.“ Der Kopf der Auswanderer ist deutsch, das Herz oft türkisch. Die Gründerin des Rückkehrer-Stammtischs, Cigdem Akkaya, bringt es auf den Punkt. „Wir haben von beiden Ländern etwas in uns.“

Vor 50 Jahre Abwerbeabkommen unterschrieben

Die meisten Auswanderer richten sich wie die zweisprachige Zehra darauf ein, für immer in der Türkei zu bleiben. Der 37-jährige Halib, der seit 2006 in Istanbul lebt, aber kennt den Konflikt: „Wo gehöre ich hin?“ Für Ahmed Gogruer, der als „Gastarbeiter“ von 1966 bis 1984 bei Hoesch in Hagen arbeitete, ist die Sache nach 27 Jahren in der Türkei lange entschieden. Zuerst zog es ihn noch wieder zurück nach NRW – er ist aber seitdem kein einziges Mal in Deutschland gewesen.

Beim Festakt zum 50.Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens im Bahnhof Sirkeci erinnert ein symbolischer Zug von Istanbul nach Köln an die ersten Gastarbeiter. Doch die Zeiten haben sich verändert. Yesim Düzakar, die in Dortmund geboren wurde, ist schon 1983 mit der Familie in die Türkei gegangen. Heute arbeitet Yesim als Managerin im Büro der Telc, einer Organisation, die deutsche Sprachtests für Auswanderer nach Deutschland abnimmt.

Auch Deutschland sucht Fachkräfte - aber nur mit Sprachkenntnissen

Deutschland sucht händeringend hochqualifizierte Fachkräfte, will aber verhindern, dass Türken ohne Deutschkenntnisse einwandern. Die Türkei sieht sich durch die Tests diskriminiert - der EU-Gerichtshof muss bald urteilen, ob das Grundrecht auf Familienzusammenführung durch die Tests verletzt ist.

Minister Schneider treibt jedoch vor allem die mangelnde Integration in NRW um. „In 20 Jahren sind die Migranten die Stütze unserer Gesellschaft. In Großstädten haben oft 50 Prozent der Jugendlichen einen Migrationshintergrund.“ Schneider sieht die Lösung im Aufstieg der 850 000 Türkischstämmigen durch Bildung und einen Klimawandel zwischen Deutschen und Türken. Derzeit verlassen 20 Prozent der Deutsch-Türken die Schule ohne Abschluss.

Die Auswanderungswelle gut ausgebildeter Türkischstämmiger hingegen hat viele Ursachen. Eine junge Architektin aus Frankfurt macht klar, dass Frauen in der Türkei weitaus bessere Chancen auf Top-Jobs haben als in Deutschland. Auch Zehra hat dies vor ihrer Abwanderung in Duisburg erfahren müssen. „Es gibt zu viele Vorurteile. Man muss immer ein Stück besser sein als die Anderen.“ Zehra sieht jetzt gute Chancen an einer privaten Schule oder Kita in Istanbul.