Washington. . Herman Cain, Bewerber auf das republikanische Kandidaten-Ticket gegen US-Präsident Barack Obama, hat mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung zu kämpfen. Scheibchenweise kommen seltsame Details ans Licht, die weitere Fragen aufwerfen. Cains Art der Schadensbegrenzung irritiert die Medien und viele Republikaner.
Eine Sicherheitskontrolle am New Yorker Kennedy-Flughafen ist dagegen ein heiterer Spaziergang. Wer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden will und noch dazu in den Umfragen früh gut im Rennen liegt, wird von den Medien wie der Inhalt einer Petrischale unter dem Labor-Mikroskop behandelt: akribisch.
Herman Cain, afro-amerikanischer ehemaliger Boss der Pizza-Kette “Godfathers’s und erklärter politischer Seiteneinsteiger, bringt sich seit Wochen mit launigen Worten und scheinbar einfachsten Lösungen als volksnahe Alternative zum demokratischen Amtsinhaber in Stellung und liegt im republikanischen Herausforderer-Feld sogar mit der Nasenspitze vor dem favorisierten Mitt Romney. Das war, bevor sich in seiner Petrischale eine Ansammlung von Erregern fand, die in konservativen Kreisen in Amerika leicht jeden Kredit kosten kann.
Cain ist verheiratet und zweifacher Vater
Cain, seit 43 Jahre mit Gattin Gloria verheiratet, zweifacher Vater, soll in den 90er Jahren als Vorsitzender des amerikanischen Gaststättenverbandes zwei weibliche Angestellte mit Gesten und Worten sexuell belästigt haben.
Was das angesehene Magazin „Politico“ recherchiert hat, bringt seit Tagen den Blätterwald in Wallung. Kaum eine politische Sendung im Fernsehen, die nicht mit der Story aufmacht und Experten-Teams in Mannschaftsstärke auffährt. Danach ist Cain, dessen lose Zunge bekannt ist, seit er eine morgendliche Radioshow geführt hat, die Angestellten mehrfach verbal in eindeutig anzüglicher Weise angegangen. Zu körperlichen Übergriffen kam es dem Vernehmen nach nicht. Delikat: Die Betroffenen verließen laut “Politico” - nach Unterzeichnung fünfstellig dotierter Aufhebungsverträge - umgehend ihre Arbeitsstelle. Ihnen ist es untersagt, über Details zu sprechen.Als die Geschichte am Wochenende erstmals öffentlich wurde, tat Cain das, was üblich ist in solchen Fälle. Er tauchte ab. Reporter, die ihn auf Wahlkampfreise mit der Frage löcherten, ob er jemals in seinem Leben jemanden sexuell belästigt habe, konterte er ungeschickt so aus: Er gab die Frage gleichlautend zurück.
Cain versucht auszuweichen, dann dementiert er
Auch Sprecher aus seinem Kampagnentross, der zuletzt bei einem landesweit registrierten Raucher-Video patzte, machten anfangs eine bedenkliche Figur, als sie sich um ein klares Ja oder Nein herumdrückten und übelmeinende linksliberale Medien der Hexenjagd bezichtigten.
Am Montag dann musste Cain, der Erfinder des umstrittenen 9-9-9-Steuervereinfachungsplans (9 % Unternehmen-, Einkommen- und Umsatzsteuer), in Washington mit einer zweiten Welle von Nachfragen rechnen. Bei einer Diskussion in einer konservativen Denkfabrik wetterte noch der Moderator eilfertig alle Fragen zu den Sex-Vorwürfen ab. Beim einem Arbeitsmittagessen vor dem Nationalen Presseklub konnte Cain dann dem Druck nicht mehr ausweichen. Er ging in die Offensive: “Ich habe in über 40 Jahren meiner beruflichen Karriere niemals jemanden sexuell belästigt”, sagte Cain vor Dutzenden Live-Kameras, bestätigte gleichwohl, dass es seinerzeit Vorwürfe gegen ihn gab. Details nannte er nicht. Dafür dies: Eine “intensive Prüfung” habee ergeben: “Ich bin fälschlicherweise und grundlos beschuldigt worden.” Von einer Abfindung an die betroffenen Frauen wisse er nichts, da der Vorgang zum einen zwölf Jahre zurückliege und zum anderen von Vertretern des Gaststättenverbandes geregelt worden sei. “Hoffentlich war es nicht viel, ich habe ja nichts gemacht”, sagte Cain, der sich gern in Anlehnung an Arnold Schwarzenegger “Hermanator” nennt, zum Abschluss mit einem leichten Schmunzeln. Wer seine Unschuld bezeugt hat, sagte Cain nicht.
Das war der Stand am Montagmittag Washingtoner Zeit. Schon am späten Abend sah die Welt anders aus. In mehreren Fernseh-Interviews lieferte Cain plötzlich erstaunliches Detailwissen, dass in der Kommentierung großer Zeitungen heute Argwohn und Skepsis auslöste. So beschrieb der in Atlanta/Gerorgia lebende Geschäftsmann den Vorgang, der ihm die damaligen Vorwürfe eingetragen habe. Er habe lediglich einmal eine Mitarbeiterin bei offen stehender Bürotür darauf angesprochen, dass sie die gleiche Körpergröße wie seine Frau habe – “sie ging mir bis zum Kinn”. Worin hier exakt die Anzüglichkeit oder gar sexuelle Belästigung bestanden haben soll, konnte Cain seinen sichtlich verdutzten weiblichen Interviewpartnern bei den Sendern PBS und Fox nicht erklären. Auf weiteres Nachfragen konnte Cain sich aber plötzlich daran erinnern, dass in einem Fall “zwei oder drei Monatsgehälter” an jene Frau als Abfindung gezahlt worden seien, die sich über ihn beschwert hatte. Warum? Fehlanzeige. Dass es – wie “Politico” behauptet – eine zweite Frau gab, die sich ebenfalls von Cain bedrängt gefühlt haben soll, sei ihm überhaupt nicht bekannt.
Warum die Aufhebungsverträge?
Die Neugier der Medien und nennenswerter Teile der republikanischen Funktionärsschicht konzentriert sich seit heute auf die Frage, was genau in den Aufhebungsverträgen steht. Cain sagt, er wisse es nicht und verweist auf den Gaststättenverband. Der Gaststättenverband sagt, über Interna werde keine Auskunft gegeben. Mehrere Zeitungen haben die betroffenen Frauen bereits aufgespürt. Sie verweigern eine Stellungnahme. Bislang.
Demoskopen wie republikanische Insider befürchten, dass die Taktik Cains, scheibchenweise Dinge einzuräumen, unklug ist und nicht ohne gravierende Folgen bleiben wird. Gerade bei den Anhängern der erzkonservativen und evangelikal grundierten Tea-Party-Bewegung innerhalb der republikanischen Partei, bislang Cains größter Fan-Block, könnte der Schaden “immens” werden, heißt es. Im Bundestaat Iowa, wo am 3. Januar 2012 der offizielle Ausleseprozess der republikanischen Präsidentschaftskandidaten beginnt, ist man jedenfalls irritiert. Nicht nur dort hatte Cain sich bisher als höflich, gottesfürchtig, unverstellt und vor allem charakterstark präsentiert; als Typ aus dem Volk, der es mit Klartext und Gradlinigkeit aus bitterster Armut zum erfolgreichen Geschäftsmann gebracht hat. Die Anschuldigungen und vor allem die Art des Umgangs damit lassen den Gedanken aufkommen, ob dieses Image vielleicht nur eine Fassade war. “Die Menschen in Iowa vergeben vieles”, sagte ein führender Republikaner der “New York Times”, “aber sie wollen beizeiten wissen, ob da, wo Rauch ist, auch wirklich ein Feuer brennt.”