Washington. .
Nur vier Wochen nach ihrer Geburtsstunde im Finanzdistrikt von New York hat es die amerikanische Protestbewegung „Occupy Wall Street” („Besetzt die Wall Street“) auf die nationale Tagesordnung geschafft.
Seit sich die Proteste, deren Forderungen von der Entmachtung der Wall Street über eine gerechtere Verteilung des Wohlstands bis hin zu einem schnelleren Truppenabzug aus Afghanistan reichen, in mittlerweile 300 Städte ausgebreitet haben, reagiert auch die offizielle Politik in Washington nervös.
Die Demokratische Partei von Präsident Barack Obama geht dabei auffällig anders in der Kommentierung vor als die Republikaner. Während sich der um seine Wiederwahl im November 2012 bangende Amtsinhaber wie auch andere Top-Demokraten verständnisvoll bis wohlwollend äußern, überwiegt bei den Konservativen Schelte und Spott.
„Anzeichen von Klassenkampf“
Eric Cantor, Einpeitscher der Republikaner im Repräsentantenhaus, spricht von einem „Mob”, der „Amerikaner gegen Amerikaner” in Stellung bringen wolle. Mitt Romney, aussichtsreichster Kandidat auf das republikanische Herausforderer-Ticket gegen Obama, sieht gar „Anzeichen von Klassenkampf”. Am weitesten ging Herman Cain, der einzige schwarze Republikaner im Rennen ums Weiße Haus. Die Demonstranten, polterte der für seinen unverblümten Ton bekannte Ex-Chef einer Pizzakette, suhlten sich in der „Opferrolle”, wollten aber eigentlich nur „den Cadillac anderer Leute haben“.
Sprüche, die im intern zerstrittenen Republikaner-Lager für Unruhe sorgen. Wahlkampf-Strategen der Konservativen bewegt die Sorge, dass sich Präsident Obama bei seinem in der Bevölkerung populären Plan für eine Millionärssteuer zur Finanzierung seines Konjunkturprogramms mit der ständig breiter werdenden Protest-Bewegung verbünden könnte. Obamas Projekt, von den Republikanern bisher kategorisch abgelehnt, würde auf zehn Jahre gesehen rund 450 Milliarden Dollar zusätzliche Steuereinnahmen generieren.
Republikanische Gassenhauer
Ein echter Schulterschluss zwischen Weißem Haus und der Graswurzel-Bewegung ist aus Sicht von einflussreichen Obama-Beratern wie dem Berkeley-Professor Robert Reich gleichwohl unwahrscheinlich. Obama, sagt Reich, sei „linker Populismus fremd”. Zudem bestehe die Gefahr, dass nennenswerte Wahlkampfspenden ausblieben, wenn „Corporate America”, die Speerspitze der Mega-Konzerne, nachhaltig verprellt werde.
Bei den Republikanern wächst unterdessen der Druck, endlich konkreter zu werden beim alles überlagernden Thema „Wirtschaft und Beschäftigung”. Bis dato haben alle Präsidentschaftskandidaten nur die republikanischen Gassenhauer angestimmt: Steuern senken, Staatsausgaben (heißt: Sozialausgaben) zurückfahren, Bürokratie stutzen, auf den Markt und den lieben Gott vertrauen.
14 Millionen US-Bürger
sind ohne Arbeit
„Das reicht nicht”, schreiben einflussreiche konservative Kommentatoren. Sie verweisen auf Zahlen staatlicher Stellen. Danach sind die Durchschnittslöhne der Amerikaner in den vergangenen zwei Jahrzehnten schrittweise deutlich gesunken.
Inzwischen sind 14 Millionen Amerikaner (inoffiziell 25 Millionen) arbeitslos gemeldet. Parallel dazu hat die Schicht der Reichen, die im Jahr mehr als eine Million Dollar zur Verfügung haben, ihren Wohlstand deutlich vergrößern können. Die fortschreitende Zwei-Teilung des Landes in Gewinner und Verlierer bietet sozialen Sprengstoff und spielt in zahlreichen Büchern und Analysen eine immer zentralere Rolle.