Washington. . Demokraten und Republikaner hadern auf unterschiedliche Weise mit einer Bewegung, die im nächsten Jahr die Präsidentschaftswahl beeinflussen könnte
Vier Wochen nach ihrer Geburtsstunde im Finanzdistrikt von New York hat es die “Occupy Wall Street”-Bewegung auf die nationale Tagesordnung geschafft. Seit sich die Multi-Funktions-Proteste - die Forderungen reichen von der Entmachtung der Wall Street über eine gerechtere Verteilung des Wohlstands bis hin zu einem schnelleren Truppenabzug aus Afghanistan - in mittlerweile 300 Städte ausgebreitet haben, reagiert auch die offizielle Politik in Washington nervös. Die demokratische Partei von Präsident Barack Obama geht dabei auffällig anders in der Kommentierung vor als die Republikaner. Während sich der um seine Wiederwahl im November 2012 bangende Amtsinhaber wie auch andere Top-Demokraten verständnisvoll bis wohlwollend äußern, überwiegt bei den Konservativen Schelte und Spott.
Republikaner sehen "Anzeichen von Klassenkampf"
Eric Cantor, Einpeitscher der “Grand Old Party” im Repräsentantenhaus, spricht von einem “Mob”, der “Amerikaner gegen Amerikaner” in Stellung bringen wolle. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg hält das um das Epizentrum am Zuccotti-Park in Manhattan spielende Treiben für schädlich, weil es Arbeitsplätze gefährde und die Touristen vergraule. Mitt Romney, aussichtsreichster Kandidat auf das republikanische Herausforderer-Ticket gegen Obama, sieht gar “Anzeichen von Klassenkampf”. Am weitesten ging Herman Cain, der einzige schwarze Republikaner im Rennen ums Weiße Haus. Die Demonstranten, polterte der für seinen unverblümten Ton bekannte Ex-Chef einer Pizzakette, suhlten sich in der “Opferrolle”, wollten aber eigentlich nur “den Cadillac anderer Leute haben".
Sprüche, die im intern heftig zerstrittenen Republikaner-Lager für Unruhe sorgen. “Herman spricht für sich selbst”, zog der einflussreiche Haushaltspolitiker Paul Ryan schnell eine Brandmauer hoch. Ryan, in Finanzdingen profiliertester Widersacher von Obama, weiß, dass das Kern-Anliegen der Wall Street-Protestler – rigorose Regulierung der Finanzmärkte, Heranziehung der Super-Reichen bei der Finanzierung des Gemeinwesens, mehr Chancen für die Mittelklasse – auch im eigenen Lager auf heimliche Sympathien stößt. Wahlkampf-Strategen der Konservativen bewegt die Sorge, dass sich Präsident Obama bei seinem in der Bevölkerung populären Plan, eine Millionärssteuer zur Finanzierung seines Konjunkturprogramms durchsetzen zu wollen, wirkungsvoll mit der ständig breiter werdenden Protest-Bewegung verbünden könnte. Obamas Projekt, von den Republikaner bisher kategorisch abgelehnt, würde auf zehn Jahre gesehen rund 450 Milliarden Dollar zusätzliche Steuereinnahmen generieren.
Obama will Konzerne und Wahlkampfspender nicht vor den Kopf stoßen
Ein echter Schulterschluss zwischen Weißem Haus und der Graswurzel-Bewegung ist aus Sicht von einflussreichen Obama-Beratern wie dem Berkeley-Professor Robert Reich gleichwohl unwahrscheinlich. Obama, sagt Reich, sei “linker Populismus fremd” und der Wall Street im Grunde noch immer verbunden. Zudem bestehe die Gefahr, dass nennenswerte Wahlkampfspenden ausblieben, wenn “Corporate America”, die Speerspitze der Mega-Konzerne, einmal nachhaltig verprellt sei. Bei den Republikanern wächst unterdessen der Druck, endlich konkreter zu werden beim alles überlagernden Thema “Wirtschaft und Beschäftigung”. Bis dato haben alle Präsidentschaftskandidaten nur die Gassenhauer der parteieigenen Orthodoxie angestimmt: Steuern senken, Staatsausgaben (heißt Sozialausgaben) zurückfahren, Bürokratie stutzen, auf den Markt und den lieben Gott vertrauen.
“Das reicht nicht”, schreiben einflussreiche konservative Kommentatoren. Sie verweisen auf statistisch zweifelsfrei belegte Zahlen staatlicher Stellen. Danach sind die Durchschnittslöhne der Amerikaner in den vergangenen zwei Jahrzehnten schrittweise deutlich gesunken. Inzwischen sind 14 Millionen Amerikaner (inoffiziell 25 Millionen) arbeitslos gemeldet. Parallel dazu hat die Schicht der Reichen, die im Jahr mehr als eine Million Dollar zur Verfügung haben, ihren Wohlstand deutlich vergrößern können. Die fortschreitende Zwei-Teilung des Landes in Gewinner und Verlierer, die sozialen Sprengstoff bietet und in zahlreichen Büchern und Analysen eine immer zentralere Rolle spielt, wird am Dienstag im Dartmouth College von New Hampshire die Diskussion beherrschen. Dann treten die republikanischen Präsidentschaftskandidaten zur großen Fernsehdebatte an. Schlüsselfrage: Wer rettet die Mittelschicht? Und wie?