Berlin. SPD und Gewerkschaften machen Front gegen Steuersenkungen. Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier spricht von einem "Hütchenspiel", die Steuergewerkschaft vermisst Ehrlichkeit in der schwarz-gelben Steuerpolitik und will das System radikal vereinfachen. Der DGB fordert Steuererhöhungen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält eher Steuererhöhungen als Steuersenkungen für sinnvoll. Vorstandsmitglied Claus Matecki sagte der «Leipziger Volkszeitung», von der geplanten Steuerentlastung profitierten vor allem die Besserverdienenden. So landeten die Steuergeschenke entweder auf dem Sparbuch oder an der Börse. Nach Einschätzung des DGB-Wirtschaftsexperten «zündet selbst ein von vermeintlichen Fesseln befreiter Mittelstand kein Investitionsfeuerwerk». Den kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlten vielmehr die Aufträge. Zudem drehten die Banken ihnen den Kredithahn ab.
Stattdessen sei es notwendig, Lehren aus der Krise zu ziehen und die Spaltung der Volkswirtschaft in eine hoch wettbewerbsfähige Exportindustrie und eine billige binnenmarktorientierte Dienstleistungsökonomie zu beenden. Dazu müsse in Bildung, Gesundheit und ökologischen Umbau investiert werden. Ohne höhere Staatseinnahmen sei das jedoch nicht möglich. So seien nicht weniger, sondern höhere Steuern für hohe Einkommen, Vermögen und profitable Unternehmen das Gebot der Stunde, wird Matecki zitiert.
Steinmeier: Weniger Steuerpolitik als "Hütchenspiel"
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat die Steuerpläne der neuen schwarz-gelben Bundesregierung ebenfalls heftig kritisiert. In der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin» sagte Steinmeier am Sonntag, Steuersenkungen würden sich allenfalls zu einem Drittel aus sich selbst heraus finanzieren. Alle weiteren Steuersenkungen würden dann schuldenfinanziert sein. Die Pläne der Koalition aus Union und FDP hätten wenig mit Steuerpolitik zu tun und seien mehr «Hütchenspiel».
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erteilte einer grundlegenden Steuerreform bis 2013 eine Absage. Am Ende der Legislaturperiode werde es weder einen ausgeglichenen Haushalt noch ein grundlegend neues Einkommensteuersystem geben, sagte Schäuble dem «Handelsblatt» (Montagsausgabe). Bei allem, was die Bundesregierung zu bewältigen habe, sei nicht die Zeit dafür. Möglich seien lediglich begrenzte Korrekturen am Steuersystem.
Nicht zu Lasten der Länder
Der hessische FDP-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn warnte im Streit um Steuersenkungen vor Belastungen der Länder. Dem Berliner «Tagesspiegel» sagte Hahn, gebraucht werde zwar eine große Steuerreform; es könne aber nicht sein, dass alles zu Lasten der Länder gehe. Von der Bundesregierung forderte Hahn weitere Einsparungen. Wer eine Steuerreform wolle, müsse jetzt «mutig genug» sein, Einsparungen vorzunehmen.
Nach Informationen der «Süddeutschen Zeitung» erwarten die Steuerschätzer, dass es für die Steuersenkungspläne der Regierung nur geringe Spielräume geben wird. Trotz der wirtschaftlichen Erholung würden die Einnahmen des Bundes im kommenden Jahr voraussichtlich nur knapp 3,5 Milliarden Euro über den Schätzungen aus dem Mai liegen, berichtete das Blatt unter Berufung auf Steuerschätzerkreise. Im laufenden Jahr könne der Bund mit zusätzlichen Einnahmen von etwa zwei Milliarden Euro rechnen.
Insgesamt würden die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in den beiden Jahren etwa zehn Milliarden Euro über den bisherigen Annahmen liegen, berichtete das Blatt. Die Koalitionäre hatten demnach zuletzt darauf gehofft, die konjunkturelle Erholung würde ihnen mehr Möglichkeiten eröffnen, ihre Pläne für Steuersenkungen umzusetzen.
Steuergewerkschaft dringt auf radikale Vereinfachung
Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft dringt vor allem auf eine radikale Vereinfachung des Steuersystems. Ihr Vorsitzender Dieter Ondracek plädierte in der «Neuen Osnabrücker Zeitung» unter anderem für die komplette Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent aus.
Zum Ausgleich dafür nach seinem Vorschlag das steuerliche Existenzminimum, der Hartz-IV-Satz, die Sozialhilfe und die Grundsicherung im Alter entsprechend angehoben werden. Statt dieses einfachen Schrittes wolle die Koalition aber das Steuerrecht weiter komplizieren, indem Hotelübernachtungen nur noch mit dem ermäßigten Steuersatz belegt sowie Forschung und Entwicklung steuerlich subventioniert werden sollten, kritisierte Ondracek.
Gleichzeitig warnte er die Koalition eindringlich davor, die Erbschaftsteuer zu regionalisieren, wie in einem Prüfauftrag des Koalitionsvertrages vorgesehen. «Die Folge wäre der rasche Tod der Erbschaftsteuer», wird der Chef der Steuergewerkschaft zitiert. Wenn nur ein Bundesland niedrige oder gar keine Erbschaftsteuer erhebe, «würden alle mühsam beladenen Millionäre angesichts des nahen Todes ihren Wohnsitz in dieses Bundesland verlegen». Als Konsequenz müssten die anderen Länder ihre Erbschaftsteuersätze ebenfalls senken. Dann wäre die Erbschaftsteuer ganz schnell am Ende.
Künftige Generationen zum Sparen gezwungen
Insgesamt vermisse er Ehrlichkeit in der schwarz-gelben Steuerpolitik, sagte Ondracek. So sei es «ein Wunschtraum», dass Steuersenkungen automatisch zu Steuermehreinnahmen führten. Die Koalition flüchte sich in die Neuverschuldung und zwinge künftige Generationen über Schuldenbremse und Neuverschuldungsgebot zum Sparen.
Sinnvoller wäre nach seiner Auffassung, die Finanzverwaltungen der Länder um 3.000 Betriebsprüfer und je 1.000 Steuerfahnder und Umsatzsteuersonderprüfer aufzustocken. Das würde nach seiner Auffassung kein Geld kosten, sondern welches beschaffen. Das jährliche Steueraufkommen könnte so um etwa zehn Milliarden Euro steigen - die abschreckende Wirkung der Steuerprüfer schon eingerechnet, sagte Ondracek. (ap/afp)