Essen. . Für Liberalen-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki hat die FDP als Marke bei den Bürgern „generell verschissen“. Der Schleswig-Holsteiner sieht seine Partei in der Bedeutungslosigkeit versinken. Hat er recht? Wir machen den Faktencheck.
Wolfgang Kubicki ist ein Freund klarer Worte. Bei der Analyse des Wahldebakels der FDP in Mecklenburg-Vorpommern formulierte das Vorstandsmitglied der Liberalen allerdings besonders drastisch: Seine Partei habe bei den Bürgern als Marke „generell verschissen“. Hat Kubicki recht? Die WAZ macht zusammen mit den Politikwissenschaftlern Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen und Ulrich von Alemann, Uni Düsseldorf, den Faktencheck.
Das Spitzenpersonal
„Hier hat Kubicki mit seinem Urteil recht“, sagt Ulrich von Alemann. Außenminister Guido Westerwelle hätte nach seinen Äußerungen zum Libyen-Konflikt zurücktreten müssen. Trotz des Westerwelle-Problems ist für Karl-Rudolf Korte nicht erkennbar, dass die FDP-Minister reihenweise versagen. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat sogar mit der Fusion der Hilfsorganisationen ein Projekt durchgezogen, das seiner Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) in elf Jahren nicht gelungen ist. Allein: die Öffentlichkeit bekommt davon wenig mit.
Ein ähnliches Schicksal fristet Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Justizministerium. Bei der Diskussion um die Verlängerung der Anti-Terrorgesetze hielt sie lange tapfer die Fahne der Freiheit gegen zu viel staatliche Überwachung hoch. Die öffentliche Resonanz – überschaubar.
Philipp Rösler steht zu kurz an der Spitze des Wirtschaftsministeriums, um ihn bewerten zu können. Das Gleiche gelte für Gesundheitsminister Daniel Bahr. Doch Korte ist von dessen Kompetenz überzeugt. Bahr, Rösler und Generalsekretär Christian Lindner, alles junge Leute. Ihr Problem, so von Alemann: „Sie machen alte Politik.“ Wenn Lindner verkünde, mit „Brot-und-Butter-Themen“ wie Wirtschaft und Euro das Tief zu überwinden, heiße das, so weiterzumachen wie bisher – nur konsequenter dem Abgrund entgegen zu rasen.
Die Themen
„Es gibt derzeit kein Alleinstellungsmerkmal, kein Thema, bei dem der Wähler denkt, dafür brauche ich unbedingt die FDP“, sagt Karl-Rudolf Korte. Kubicki habe demnach recht, übertreibe jedoch in seiner Analyse. Die Blöcke Markt, Eigentum und Selbstständigkeit seien in keiner Weise in Gesetzen erkennbar, die von der schwarz-gelben Regierung seit 2009 beschlossen worden sind. Dieser Kern interessiere zwar nur zehn Prozent der Wähler, aber dort sei eben die Hauptklientel der Partei. Stattdessen versucht die FDP, mit populären Themen aus dem Loch zu kommen. Dazu zählt der jüngste Vorschlag von Daniel Bahr, die Wartezeiten für Kassenpatienten zu verkürzen, wie auch die Forderung an die CDU aus der zweiten Parteireihe, die Einführung des umstrittenen Biokraftstoffs E10 zu stoppen.
Für Ulrich von Alemann liegt genau da die Schwierigkeit: „Die FDP muss ihre Stammwähler pflegen, ohne als Klientelpartei wahrgenommen zu werden.“
Die Perspektiven
Die ehemalige Großstadtpartei FDP wird in zwei Wochen in Berlin wieder eine deftige Schlappe erleiden. Um langfristig aus der Krise zu kommen, muss sie die an die Grünen verlorene bürgerliche Klientel zurückgewinnen, ohne ihren harten Kern zu vernachlässigen: Mit Angeboten zu den Themen Bürgerrechten und Mitwirkung. Zudem muss der große Koalitionspartner CDU den Liberalen die Chance geben, sich zu profilieren. Bisher ist das ausgeblieben. Die Möglichkeit, die Koalition bei der Euroabstimmung platzen zu lassen, um dann bei Neuwahlen als Steuersenkungspartei zu punkten, wäre politischer Harakiri. „Dafür hat die Partei kein Vertrauen bei den Wählern“, so Karl-Rudolf Korte.