Berlin. . Der umstrittene Luftangriff in Afghanistan, bei dem mehr als 100 Menschen starben, ist aufgeklärt. Er war ein Fehler mit fatalen Folgen. Nach Darstellung der SPD schickte die Bundeswehr quasi ein Killerkommando gegen die Taliban.
Es klingt wie ein Echo aus ferner Zeit: der Kundus-Bericht. Der Bundestag hat nun weithin aufgeklärt, was in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 nahe Kundus passiert ist. Es geht nach Darstellung der SPD um den ersten offensiven Waffeneinsatz der Bundeswehr „mit dem Ziel der Tötung“, quasi um ein Killerkommando gegen Taliban, das sich als „schwerer militärischer Fehler“ erwies.
Auf deutschen Befehl wurden Tanklaster bombardiert, die im Fluss Kundus festsaßen. Dabei starben 22 Kinder, die Fahrer und 60 Dorfbewohner. Das sind nur die zivilen Opfer. Insgesamt könnten bis zu 142 Menschen ums Leben gekommen sein.
Oberst Georg Klein, der den Befehl gab, kam weder vor Gericht noch wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren eröffnet. Der Generalinspekteur und ein Staatssekretär mussten in den Ruhestand gehen. Minister Franz Josef Jung stürzte über die Affäre. Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg trat – aus anderen Gründen – zurück.
Eineinhalb Jahre lang ermittelte ein Untersuchungsausschuss
„Keiner der handelnden Akteure hat so gehandelt, dass man ihn mit gutem Gewissen entlasten kann“, meint heute der Grünen-Politiker Omid Nouripour. 86 Familien bekamen im August 2010 als „humanitäre Geste“ je 5000 US-Dollar. Man hatte den Preis noch mal runtergehandelt. Gewöhnlich ist die Bundeswehr zu Zivilopfern großzügiger.
Es war der wohl folgenschwerste Einsatz ihrer Geschichte und Kanzlerin Angela Merkel hatte eine „lückenlose Aufklärung“ versprochen. Aber nicht die Regierung sorgte dafür, sondern die internationale Isaf-Truppe und in Berlin der Bundestag. Eineinhalb Jahre lang ermittelte ein Untersuchungsausschuss.
Politisch unbestritten ist, dass der Angriff „unangemessen“ war und „Verfahrensfehler“ (Union) gemacht wurden. Erst hieß es noch, die Lastwagen hätten zu „rollenden Bomben“ werden können. Schon bald stellte sich heraus, dass die Bundeswehr nicht gefährdet war, nicht aus Notwehr handelte. Das Ziel war, die Taliban zu schwächen. Klein ging davon aus, dass er nur sie treffen würde. Aber er verließ sich auf eine Quelle, die nicht vor Ort war. Sie war womöglich von afghanischen Stellen gesteuert worden, die von der Bundeswehr damals ein robustes Auftreten verlangten. Der Oberst weihte weder seinen Vorgesetzten Brigadegeneral Vollmer ein, noch beriet er sich mit dem Rechtsberater der Truppe. Obwohl die US-Piloten danach fragten, verzichtete er ausdrücklich auf ein „Show of Force“. Das ist ein Überflug vor dem eigentlichen Angriff, gerade um die Zivilisten zu warnen.
Anfang September 2009 neigte sich der Bundestagswahlkampf dem Ende zu. In Berlin achteten die Spitzenkandidaten sorgsam darauf, ja nicht selber in die Schusslinie zu geraten. SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier agierte „zu passiv“, wie die Grünen klagen. Und Merkel, mäkelt SPD-Politiker Rainer Arnold, „hat das Thema nicht an sich herangelassen“.
„Nicht einmischen“
Das Kanzleramt war über den Bundesnachrichtendienst früh im Bilde. Intern gab man die Devise aus, sich nicht einzumischen. Das sei eine Angelegenheit von Verteidigungsminister Jung. Der verteidigte den Einsatz, bis er nicht mehr zu rechtfertigen war. Der Mann redete sich um Kopf und Kragen. Merkel schwieg.