Berlin. .
Bei der Reformierung von Bundeswehr und Verteidigungsministerium kennt Thomas de Maizière (CDU) keine Tabus: Über Jahrzehnte gewucherte Doppelstrukturen werden gekappt, Tausende Stellen gestrichen. Der Umbau soll noch in diesem Jahr beginnen.
In der Bundeswehr soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Mit seiner Reform setzt der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zum radikalsten Schnitt in der 56-jährigen Geschichte der Armee an. Die Streitkräfte werden an Haupt und Gliedern neu sortiert. Über Jahrzehnte gewucherte Doppelstrukturen werden gekappt, Tausende Stellen gestrichen. Der Umbauprozess soll noch in diesem Jahr beginnen und in höchstens acht Jahren abgeschlossen sein. In einer Rede vor Militärs, Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin legt der ehemalige Kanzleramts- und Innenminister in diesen Minuten die Eckpunkte für seine Mega-Reform vor. Hier die wichtigsten Details:
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Worauf fußt die Reform?
Auf den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien; quasi das neue Pflichtenheft der Bundeswehr. Thomas de Maizière lässt sich von zwei Fragen leiten: Was wollen wir können? - gemeint ist der sicherheitspolitische Auftrag. Und: Was können wir wollen? - gemeint ist die Frage der Fähigkeiten, die zur Umsetzung notwendig sind. An erster Stelle soll künftig die „Landesverteidigung als Bündnisverteidigung“ stehen, gefolgt von der Verhütung internationaler Konflikte und der Gewährung aktiver Krisenhilfe sowie der Beteiligung an bewaffneten Einsätzen unter dem Dach der Europäischen Union.
Wie sieht der Rahmen aus für künftige Auslandseinsätze?
Der Anspruch der Bundeswehr, in der Militärsprache „level of ambition“ genannt, wird neu fixiert. Derzeit sind rund 7000 Soldaten in Auslandseinsätzen, vorwiegend in Afghanistan. Künftig sollen gleichzeitig bis zu 10 000 deutsche Soldaten für maximal sechs kleinere internationale Einsätze (bis insgesamt 10 000 Soldaten) und zwei größere (bis maximal 50 000 Soldaten) im Jahr Gewehr bei Fuß stehen. Um diese Personalstärke gewährleisten zu können, benötigt die Bundeswehr rund 60 000 professionell ausgebildete Soldaten.
Wie sehen die Eckdaten der Reform aus?
Die Bundeswehr der Zukunft soll aus 185 000 Soldatinnen und Soldaten und 55 000 zivilen Kräften bestehen. Heute sind 220 000 militärische und 104 000 zivile Mitarbeiter bei der Bundeswehr beschäftigt.
Was passiert mit dem wegfallenden Personal?
Es wird für alle Bereiche ein passgenaues Personalabbaukonzept geben. Viele Mitarbeiter werden in anderen Ministerien und Behörden landen.
Wie setzt sich der militärische Bereich künftig zusammen?
Zu 170 000 Berufssoldaten und Zeitsoldaten, die 2, 4, 6, 8 oder 12 Jahre Dienst tun, sollen mindestes 5000, maximal 15 000 Männer und Frauen kommen, die jährlich freiwillig beim Arbeitgeber Bundeswehr ihre Zukunft sehen – für bis zu 23 Monate.
Warum wurde die Zahl der Freiwilligen von 15 000, wie sie Guttenberg anpeilte, auf 5000 reduziert?
Weil sie unrealistisch war. Um regelmäßig jährlich 15 000 neue Kräfte in die Bundeswehr zu lotsen, benötigt das Ministerium nach eigenen Angaben 45 000 Bewerber. Selbst unter Einbeziehung von Frauen sei dies vor dem absehbaren Bevölkerungsrückgang in den nächsten Jahren schlicht unmöglich. Man will auch nicht jeden nehmen. „Ein gewalttätiger junger Mann, der wegen Kokainhandels vorbestraft ist, soll nicht in die Bundeswehr“, heißt es im Umfeld des Ministers.
Die Bundeswehr konkurriert mit der Wirtschaft. Wie will man junge Menschen für den Dienst in der Truppe begeistern?
Ordentliche Bezahlung, echte Aufstiegschancen, gute Vereinbarkeit von Dienst und Familie, verlässliche Einsatz- und Standortplanung sollen dabei helfen, Vorurteile abzubauen. Davon abgesehen will der Minister herausarbeiten, dass es eine „noble und ehrenvolle Sache ist, diesen Dienst für unser Land zu tun“.
Wie hat Thomas de Maizière das gewaltige Finanzproblem gelöst? Schließlich sollte die Truppe unter seinem Vorgänger Guttenberg bis 2015 rund 8,3 Milliarden Euro einsparen.
Die Personalkosten, die durch den Abbau entstehen (Pensionierungen, goldener Handschlag etc.) werden nicht mehr dem Verteidigungsetat zugerechnet. Diese Zusage hat Finanzminister Schäuble (CDU) seinem Kabinettskollegen gegeben. Welches Finanzvolumen das ausmacht und wo es künftig im Bundeshaushalt abgedeckt wird, ist noch unklar.
Bleibt es bei der Grundstruktur der Bundeswehr?
Ja. Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis und der zentrale Sanitätsdienst, bilden die fünf Eckpfeiler, die enger aufeinander abgestimmt werden. Mit klaren Zuständigkeiten, die derzeit nicht gegeben sind.
Was ändert sich im Verteidigungsministerium selbst?
Das Haus wird völlig umgekrempelt. Von derzeit 3500 Mitarbeitern sollen 2000 bleiben. Dabei gibt es bei der Standortfrage – das Ministerium ist derzeit noch in Bonn/Hardthöhe und Berlin untergebracht – keine Tabus. Intern wird alles drastisch verschlankt. Nur ein Detail: Das Modell der Inspekteure der Teilstreitkräfte (Heer, Luftwaffe, Marine), die jeweils einen Stab im Verteidigungsministerium und dazu noch einen eigenen Führungsstab besitzen, was zu enormer Doppelarbeit, Koordinierungsproblemen bis hin zur „Unführbarkeit des Apparats“ führt, wird aufgelöst. Statt derzeit 17 sollen nur noch neun Abteilungen im Ministerium die Arbeit erledigen. Der Personalabbau wird quer durch die Hierarchien gehen und „Häuptlinge wie Indianer“ gleichermaßen treffen. Der Verteidigungsminister wird von zwei beamteten und zwei parlamentarischen Staatssekretären flankiert. Der Generalinspekteur (GI) wird deutlich aufgewertet - als erster militärischer Repräsentant der Truppe, als Vorgesetzter aller Soldaten und als militärischer Chef-Berater der Bundesregierung. Volker Wieker, der derzeitige Amtsinhaber, erhält damit deutlich mehr Befugnisse. Er bleibt aber, weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, einem Staatssekretär unterstellt.
Bleibt es bei der bislang strikten Trennung von militärischen und zivilen Mitarbeitern?
Nein. Die Abteilungen sollen künftig gemischt besetzt werden. Aus Sicht des Ministers ein „Kulturwechsel“, ja eine „Revolution“. Aufstiegsmöglichkeiten haben zivile Mitarbeiter nur noch, wenn sie flexibel sind und mehrere Bereiche absolvieren.
Ist schon absehbar, welche Strukturen innerhalb der Bundeswehr deutlich Federn lassen müssen?
Generell gilt in Heer, Marine und Luftwaffe: Eine Führungsebene fällt komplett weg. Von rund 50 Kreiswehrersatzämtern wird nicht einmal die Hälfte überbleiben. Stattdessen soll es mehrere große Einrichtungen zur Nachwuchsgewinnung geben. Die Personalberater dort sollen mit Auto und mobilem Computer ausgerüstet werden und dorthin gehen, wo potenzielle Bewerber sind. Alle Wehrbereichskommandos werden aufgelöst, ebenso das Sanitätskommando.
Ist die Rüstungsindustrie von der Reform betroffen?
Ja. Vom Militär-Etat in Höhe von knapp 31 Milliarden Euro entfallen derzeit rund 5,5 Milliarden auf die Beschafffung von Rüstungsgütern. Diese Summe ist fast vollständig gebunden, weil damit vor langer Zeit bestelltes Gerät bezahlt werden muss: Hubschrauber, Panzer, Transportflugzeuge zum Beispiel. Minister Thomas de Maizière will erreichen, dass die Lieferzeiten kürzer werden und ein Teil des Geldes – 500 Milllionen Euro pro Jahr vielleicht – in die Entwicklung und Forschung neuer Technologien gesteckt werden kann. In den sicherheitspolitischen Richtlinien heißt es dazu, die wehrtechnische Industrie „hat gegenüber der Bundeswehr eine dienende Funktion“. Strukturell bedingte Reibungsverluste, die bei der Beschaffung wichtiger Rüstungsgüter zu unverantwortlich langen Wartezeiten führen, sollen durch Bündelung der zuständigen Abteilungen vermieden werden.
Hat sich der Nachfolger von Karl-Theodor zu Guttenberg beraten lassen?
Ja. Und zwar ausgiebig. Viele aktive und ehemalige Generäle, fast alle früheren Verteidigungsminister außer Helmut Schmidt, ehemalige Staatssekretäre und militärische Experten wie Theo Sommer und Wolfgang Ischinger hat Thomas de Maizière in den ersten zwei Monaten seiner Amtszeit konsultiert. Über sein Vorhaben sind die Kanzlerin, der Finanzminister, die Fraktionen der drei Regierungsparteien CDU, CSU und FDP sowie die Oppositionspolitiker Steinmeier (SPD), Künast und Trittin (beide Grüne) im Bilde. Ebenso der Nato-Generalsekretär und die wichtigsten Verbündeten. Noch am Vorabend seiner heutigen Rede informierte der Minister die US-Regierung.
Kritisiert Thomas de Maizière seinen Vorgänger Guttenberg, der die Reform angeschoben hatte?
Nein, nicht offiziell. Im Gegenteil. Ob er die Courage gehabt hätte, die Wehrpflicht in einem kurzfristigen Kraftakt auszusetzen und damit einen integralen Bestandteil der Bundeswehr abzuräumen, wisse er nicht, sagt de Maizière. Guttenberg habe große Verdienste.
Wann wird über die Schließung von Kasernen und anderen militärischen Standorten entschieden?
Das Stationierungskonzept für die rund 400 Standorte soll im Oktober verabschiedet werden. Noch sind keine Details bekannt.
Was hat jetzt oberste Priorität?
Die Gewinnung von Nachwuchskräften. Nach dem Wegfall der Wehrpflicht werden schon seit Monaten keine Rekruten mehr eingezogen. Gleichzeitig sind noch keine effektiven Strukturen zur Anwerbung Freiwilliger aufgebaut worden. Hier drängt die Zeit.