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Seit einem Jahr ist Hellmut Königshaus (FDP) Wehrbeauftragter des Bundestages. In einem Interview mit DerWesten zieht er Bilanz: Die Ausbildung soll verbessert werden, einige Rituale gehören verboten und die Bundeswehr-Reform wird erst Geld kosten, bevor sie etwas spart.

Er will Rituale, wie sie durch den Skandal auf dem Segelschulschiff Gorch Fock bekannt wurden, verbieten lassen. Er fordert punktuell massive Personalaufstockung und moderneres Gerät für die Bundeswehr. Er möchte die Hinterbliebenen von in Auslandseinsätzen gefallenen Soldaten besser versorgt sehen: Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), der den ersten Jahrestag nach Amtsantritt bei den Soldaten in Afghanistan verbringen wird, zieht im Interview mit DerWesten Bilanz.

Ein Jahr Wehrbeauftragter – was bleibt hängen?

Hellmut Königshaus:Dass man in diesem Amt viel bewirken kann, wenn man bereit ist, sich auch einmal Watschen abzuholen. Ein Wehrbeauftragter, der von allen Seiten nur Lob erhält, macht vermutlich etwas falsch.

Sie meinen Ihren Vorstoß vor einem Jahr, schwere Panzer nach Afghanistan zu bringen, damit sich die Bundeswehr besser gegen Angriffe der Taliban wehren kann?

Königshaus:Genau, da wurde ich ja förmlich abgekanzelt. Drei Wochen später wurden dann Panzerhaubitzen nach Masar-I-Scharif geflogen. So doof wie manche taten, waren meine Forderungen offensichtlich doch nicht.

Hat Ex-Verteidigungsminister Guttenberg Ihnen die Arbeit erschwert? Er tat oft so, als sei er selbst der allerbeste Anwalt der Soldaten.

Königshaus:Das Verhältnis war zugegebenermaßen immer sportlich. Aber er war offen und hat auch für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz einiges bewegt.

Den Kommandanten der Gorch Fock hat er vom Dienst suspendiert. Das Skandal-Schiff ist wieder da. Wird es ausgemustert?

Königshaus:Es gibt allgemein eine starke Neigung im Parlament, das Schiff weiter zu betreiben. Auch ich habe mich davon überzeugen lassen, dass bestimmte Ausbildungsziele auf einem Segler auf hoher See intensiver einzuüben und schneller zu erreichen sind. Zum Beispiel die Fähigkeit, auf engstem Raum auch unter Extrembedingungen zu funktionieren. Dann allerdings muss sichergestellt sein, dass alle vermeidbaren Risiken für die Soldaten auch wirklich vermieden werden. Das war bisher nicht der Fall.

„Es gibt Dinge, die darf man nicht mehr in dieser Form fortsetzen“

Hellmut Königshaus

Hellmut Königshaus, der vor 25 Jahren in die FDP eintrat, gilt als solider, fleißiger, unauffälliger Politiker, der sich in jedes Thema einarbeiten kann. Seit 2004 ist er Bundestags-Mitglied. Damals rückte er nach dem Tod des Abgeordneten Günter Rexrodt nach. Der Jurist arbeitete im BND- und Visa-Untersuchungsausschuss mit.

Königshaus, der am 28. Juli 1950 in Berlin geboren wurde, studierte nach seinem Wehrdienst von 1972 bis 1977 Rechtswissenschaften in Freiburg und Berlin. In den 80er Jahren arbeitete er zunächst als Richter, dann als Justizsprecher in Berlin. Von 1993 bis 2004 war er Generalbevollmächtigter des Entsorgungsunternehmens Alba. Bei der Bundeswehr war Königshaus Personaloffizier bei der Luftwaffe. Er hat den Dienstgrad eines Oberleutnants der Reserve. Am 19. Mai 2010 trat er sein Amt als Wehrbeauftragter des Bundestages an.

Der Wehrbeauftragte versteht sich als Kummerkasten der Bundeswehr. Jeder Soldat kann sich direkt an den Wehrbeauftragten wenden, wenn ihn irgendetwas stört - sei es Ärger mit Vorgesetzten, Frust über schlechte Ausrüstung, Bezahlung oder Not im Einzelfall. Ziel ist es vor allem, Grundrechtsverletzungen bei Soldaten und Verletzungen der Grundsätze der Inneren Führung aufzudecken.

Pro Jahr erreichen zwischen 5000 und 6000 Eingaben das Büro des Wehrbeauftragten. Außerdem besucht dieser regelmäßig die Truppe. Seine Erkenntnisse führt er in einem Jahresbericht zusammen, der als an die Abgeordneten weiter geleitet wird. Die Amtszeit des Wehrbeauftragten beträgt fünf Jahre. In dieser Zeit darf er weder dem Bundestag angehören noch irgendein anderes besoldetes Amt oder Gewerbe ausüben. (diha)

Todessturz, Ekel-Rituale, schlechtes Führungsverhalten. Die Baustellen auf der Gorch Fock sind üppig. Gibt es schon Verbesserungen?

Königshaus:Ja, erste Verbesserungen gibt es: Es soll einen Übungsmast an Land geben. Dort können Rekruten künftig gesichert das Aufentern in die Takelage lernen. Es fehlen dagegen zum Beispiel noch Rettungswesten mit GPS-Transpondern. Damit kann jemand schnell geortet werden, der über Bord gegangen ist. Es kann ja nicht richtig sein, dass überall in Deutschland im Berufsleben Unfallverhütungsvorschriften akribisch befolgt werden, nur bei der Deutschen Marine nicht.

Es gab viel Kritik an den Führungsfähigkeiten der Offiziere auf der Gorch Fock. Zu Recht?

Königshaus:Das ist bisher nicht abschließend geklärt, aber offenbar waren einige Dinge nicht klar definiert. Deshalb müssen wir das Regelwerk an Bord klarer fassen. Wozu Kadetten verpflichtet sind und was sie freiwillig tun können, das muss glasklar formuliert werden. Außerdem dürfen die Kadetten nicht gleich am Anfang ihrer Ausbildung überfordert werden, wie das im Todesfall der Sarah S. möglicherweise der Fall war. Am ersten Tag gleich siebenmal hintereinander aufentern ist zu viel.

Was wird aus den Ritualen an Bord, zum Beispiel der berüchtigten Äquatortaufe?

Königshaus:Darüber muss man nachdenken. Rituale können Gemeinschaftssinn stiften, auch die Äquatortaufe. Aber wenn verschiedene Lebensmittel zu einer möglichst Ekel erregenden Pampe verrührt werden, in die man getunkt wird, ist der Unterschied zu der rohen Leber in der Kaserne von Mittenwald nicht mehr so weit.

Kann man Rituale unterbinden?

Königshaus:Es gibt Dinge, die darf man nicht mehr in dieser Form fortsetzen, auch wenn vielleicht 95 Prozent der Rekruten sagen, das mache ihnen nichts aus. Dort ist die Dienstaufsicht gefragt. Auch für die Marine gilt das Grundgesetz – und das wird nicht durch Tradition begrenzt, sondern umgekehrt.

Auf der Gorch Fock haben Soldaten nach Landgängen die Schlüpfer der von ihnen „eroberten Frauen“ wie Trophäen auf einer Leine aufgehängt. Geht das in Ordnung?

Königshaus:Nein. Das Menschen- und Frauenbild, das dahinter steht, das sind nicht die Werte, die man auf einem Schulschiff der Deutschen Marine künftigen Offizieren vermitteln sollte.

„Leib und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten ohne Not gefährdet“

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Wie steht es heute um die Ausrüstung der Truppe in Afghanistan?

Königshaus:Es hat sich viel getan. Die Ausstattung mit geschützten Fahrzeugen ist deutlich besser geworden. Aber es gibt immer noch zum Teil erhebliche Mängel.

Welche?

Königshaus:Es hapert vor allem bei der Ausbildung. Es kann doch nicht sein, dass Soldaten in Afghanistan im Einsatz zum ersten Mal mit einem Nachtsichtgerät klarkommen müssen. Das gefährdet Leib und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten ohne Not. Es darf auch nicht sein, dass sich die Einheiten für die Vorausbildung auf geschützten Fahrzeugen wie etwa vom Typ Dingo ihr Gerät erst in der ganzen Bundesrepublik zusammensuchen müssen.

Bundeswehrsoldaten sterben in Afghanistan. Es gibt Klagen über eine schlechte Versorgung der Hinterbliebenen.

Königshaus:Viele Paare sind heute nicht mehr verheiratet, wie das früher die Regel war. Im Todesfall hat der hinterbliebene Partner dann keine Versorgungsansprüche. Da kann es große Probleme geben. Ich fürchte, der Anteil der prekär Versorgten ist sehr groß. Wir müssen daher schnellstens etwas tun. Eine private Lebensversicherung für Soldaten im Einsatz, bei der die Bundeswehr die Prämien zahlt, würde beispielsweise eine Versorgung auch bei nicht verheirateten Paaren gewährleisten.

Zurück zur Mängelliste: Wo brennt es noch unter den Nägeln?

Königshaus:Bei den Flugstunden sind die Ausgaben soweit heruntergefahren worden, dass Piloten kaum mehr ausreichend in Übung gehalten werden können. Zudem ist das Fluggerät teilweise so veraltet und wartungsanfällig, dass man von einem Sicherheitsrisiko sprechen muss. Manches gehört ins Museum. Minister Thomas de Maizière ist neulich bei einem Truppenbesuch in einen Marder-Schützenpanzer gestiegen, den er schon aus seiner eigenen Rekrutenzeit vor bald 40 Jahren kannte. Für Nachwuchskräfte wird der Arbeitgeber Bundeswehr so nicht attraktiver.

„Die Kampfmittelbeseitiger sind regelrecht ausgelaugt“

Die Bundeswehr-Reform nimmt Konturen an. Sind Sie zufrieden?

Königshaus:Ich kenne noch zu wenige Details. Aber mir ist klar: Wenn ich eine Reform machen möchte mit dem Ziel langfristig zu sparen, muss ich zum Anschub erst einmal Geld in die Hand nehmen. Reformen sind zunächst nie kostenfrei.

Was erwarten die Soldaten?

Königshaus:Klarheit und Sicherheit. Das geht ja bis in die Familienplanung. Manche fragen sich: Können wir jetzt ein Kind kriegen, wenn ich bald versetzt werde oder nicht länger bei der Bundeswehr bleiben kann oder auch nur mein Standort geschlossen wird? Darüber hinaus erwartet die Truppe, dass Versäumnisse der Vergangenheit beseitigt werden.

Was meinen Sie konkret?

Königshaus:Es gibt Bereiche, da muss personell massiv aufgestockt und nicht abgebaut werden. Dazu zählt der Sanitätsdienst. Die Kampfmittelbeseitiger sind regelrecht ausgelaugt, weil es zu wenige gibt und sie zu häufig in die Einsätze müssen. Und auch die Infanterie ist durch den Afghanistan-Einsatz an der Leistungsgrenze.

Das wird schwierig. Auch der neue Minister muss einsparen.

Königshaus:Wir müssen einen Spagat schaffen zwischen der Haushaltslage und den militärischen Erfordernissen. Dass in der Vergangenheit frühzeitig eine Sparzusage gemacht wurde, ohne die Konsequenzen zu bedenken, war dabei nicht sonderlich hilfreich.

Es gibt viel Kritik an Ex-Minister Guttenberg, weil aufgrund seiner Initiative die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, ohne dass die Weichen für eine ausreichende Zahl von Freiwilligen rechtzeitig gestellt waren.

Königshaus:Ich will es dahin gestellt sein lassen, ob das wirklich weise war. Das ist vergossene Milch. Wir müssen jetzt mit der Lage klarkommen.

Und wie?

Königshaus:Wenn absehbar ist, dass Nachwuchskräfte nicht in ausreichender Zahl nachrücken, darf man ältere Jahrgänge nicht vorzeitig ausmustern. Wer länger bleiben will und geeignet ist, soll länger bleiben dürfen.