Berlin. . Drei Bundeswehrsoldaten sind nach einem Anschlag tot, zwei weitere schweben noch in Lebensgefahr. Die Tragödie von Baghlan zeigt, wie gefährlich das „Partnering“-Modell der Bundeswehr in Afghanistan ist.

Bundeswehrsoldaten in Afghanistan haben sich daran gewöhnt, dass in diesem Land oft nichts so ist, wie es scheint. Der Landarbeiter drüben auf dem Acker könnte im nächsten Augenblick seine Schaufel wegwerfen und eine Panzerfaust aus der Furche holen. Der alte Mann, der im Schatten unter dem Baum döst, könnte per Handy eine selbstgebastelte Bombe unter der Schotterpiste zünden, wenn der nächste Konvoi aus Fuchs-Spürpanzern vorbeifährt. Und unter die verschleierten Frauen, die an der Bushaltestelle warten, könnte sich ein Selbstmordattentäter gemischt haben, der sich in die Luft sprengt, wenn die Patrouille naht. Alles in Afghanistan schon passiert. Mehr als einmal. Der Tod ist ein regelmäßiger Begleiter, wenn man als Soldat die schützenden Wälle der Truppenlager verlässt.

Diesmal aber ist alles anders. Diesmal hat der Feind in den eigenen Reihen zugeschlagen. So grausam, wie es sich kaum vorstellen lässt. Ein offenbar von Hass und Tötungswut zerfressener Soldat der afghanischen Armee (ANA) hat am Freitag aus nächster Nähe das Feuer auf jene eröffnet, die ihn ausbilden, schulen und begleiten sollten; solange, bis er und seine Kameraden selbst für die Sicherheit in ihrem Land sorgen können. Solange, bis auch die deutschen Soldaten aus Afghanistan abziehen können.

Verletzte werden nach Deutschland geflogen

Die Bilanz der Geschehnisse auf einem umkämpften Außenposten (OP North) in der Unruheprovinz Baghlan 70 Kilometer südlich von Kundus ist verheerend. Ein 30-jähriger Hauptfeldwebel, ein 22-jähriger Stabsgefreiter und ein 21-jähriger Hauptgefreiten sind tot. Zwei weitere Soldaten des dort stationierten Ausbildungs- und Schutzbataillons (ASB), das für das Training der afghanischen Armee im Einsatz gebildet wurde, sind lebensgefährlich verletzt. Sie sollen im Laufe des Sonntags im „fliegenden Krankenhaus“ der Luftwaffe, im Medevac-Airbus, nach Deutschland gebracht werden. Vier weitere Soldaten trugen leichtere Blessuren davon.

Wie sehr der Zwischenfall aus dem Rahmen fällt und die Verantwortlichen alarmiert, zeigen die Reaktionen. Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat am Wochenende Bundeskanzlerin Angela Merkel angerufen, sein tiefes Bedauern bekundet und eine intensive Untersuchung angekündigt. Ein Versuch, das wachsende Misstrauen im Zaum zu halten. Ein Versuch, die Lunte auszutreten, bevor die Sache explodiert. Denn getroffen ist das Herzstück der neuen Afghanistan-Strategie der Bundeswehr.

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„Partnering“ heißt das Modell

„Partnering“ nennen die Militärs das Modell, das die Zahl der deutschen gefallenen Soldaten in Afghanistan jetzt auf 48 ansteigen ließ. Die Amerikaner praktizieren es seit langem schon. Die Deutschen de facto nicht mal ein halbes Jahr. „Partnering“, damit ist eine Schulter-an-Schulter-Verzahnung von internationalen und einheimischen Streitkräften gemeint. Nicht im geschützten Lager. Sondern draußen, wo der Tod lauert.

Bei gemeinsamen Patrouillen sollen die afghanischen Soldaten Schritt für Schritt lernen, wie man wirksam Aufständische bekämpft und einmal eroberte Gebiete so sichert, dass die Taliban nicht anderntags wiederkommen und all jene bestrafen, die mit den westlichen Truppen kollaboriert haben. Nur auf diese Weise, hat der US-Oberkommandierende General David Petraeus im Herbst 2010 dieser Zeitung gesagt, „kann die afghanische Bevölkerung Vertrauen in unsere Arbeit fassen“.

Gemeinsam „mitten in der Pampa“

Dazu fahren die deutschen Soldaten abends nicht mehr in ihre Hochsicherheits-Feldlager zurück. Sie bleiben zusammen mit den afghanischen Einheiten „mitten in der Pampa“, wie es ein einfacher Soldat einmal formulierte. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sagt natürlich nicht „mitten in der Pampa“. Er sagt „in der Fläche“. Dass das Risiko für die deutschen Soldaten hier steigt, in Hinterhalte und offene Feuergefechte zu geraten, leuchtet jedem ein. Die Tragödie von Baghlan jedoch geschah auf sicherem Terrain - sozusagen auf Bundeswehrboden. Der Täter genoss das Vertrauen der Männer, die er tötete.

Ein singuläres Ereignis. Im deutschen Einflussbereich. Die Briten erlitten ähnliche Katastrophen bereits im vergangenen Sommer und Ende 2009. Einmal zielte ein afghanischer Soldat, einmal ein afghanischer Polizist auf die Falschen: Acht Särge mussten nach England geflogen werden. Auch die Amerikaner verzeichneten solche Verluste, bei denen hinter niemand so recht wusste, ob der Täter ein in Soldaten-Uniform getarnter Taliban war oder ein Psychopath.

Taliban-Offensive droht

Wie die Bundeswehr nach diesem Vorfall, wie der in seiner ureigenen Glaubwürdigkeit tief beschädigte Verteidigungsminister nach dem Rückschlag von Baghlan dem „Partnering“ weiter das Wort reden will, erscheint fraglich. Wie sollen deutsche Soldaten den afghanischen Kollegen künftig noch ihr Leben anvertrauen, wenn, wovon alle Experten ausgehen, im Frühjahr die nächste große Offensive der Taliban droht?

Der Spalt zwischen Vertrauen und Vorsicht wurde zuletzt ohnehin immer breiter. Mutig, lernbegierig und loyal - mit diesen Etiketten belobigen meist nur obere Bundeswehrränge und Bundestagsabgeordnete die Mitglieder der afghanischen Armee. Eine taktische Aussage, die gewogen machen soll für die Hoffnung: Bald können wir raus aus Afghanistan, bald machen die Afghanen den Job allein.

Betrunken, bekifft, unpünktlich

Wer jedoch darunter nachfragt, auf der Ebene derer, die etwa im Großraum Kundus im Feld stehen, hört oft Geschichten, die nur noch Kopfschütteln auslösen. „Die beklauen uns, die verprügeln die Zivilbevölkerung, die sind einfach völlig unberechenbar“, erzählte schon im vergangenen Herbst ein Unteroffizier im vertraulichen Gespräch. „Die“ - damit sind afghanische Soldaten gemeint. Keine Einzelmeinung. Betrunken, bekifft, unpünktlich, schlecht vorbereitet oder gar nicht, heißt es unter deutschen Ausbildern, erschienen in der Vergangenheit etliche afghanische Soldaten zu vereinbarten Team-Einsätzen. Ihnen die Leviten zu lesen, ist nicht einfach. 80 % der afghanischen Soldaten können weder Lesen noch Schreiben. Kann es sein, dass „Partnering“ nicht funktioniert, weil sich ein „Partner“ kulturell und mental dafür nicht eignet?

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warnte in einer ersten Reaktion davor, das „Partnering“ grundsätzlich infrage zu stellen. Das, so seine Argumentation, spiele dem Feind in die Hände. Welchem Feind? Den Angehörigen der toten Soldaten von Baghlan wird dieser Satz noch sehr lange im Kopf umhergehen.