Rostock. Der scheidende Liberalen-Chef Guido Westerwelle gibt sich ungewohnt wehmütig und selbstkritisch. Der Parteitag verabschiedet ihn mit stehenden Ovationen. Auch sein Nachfolger Rösler zollte ihm zum Schluss Respekt.

. Als Guido Westerwelle, der monatelang Zielscheibe bitterster Vorwürfe aus den eigenen Reihen war, in Rostock nach 60 Minuten mit seiner Abschiedsrede nach zehn Jahren an der FDP-Spitze durch war, brandete Beifall auf.

Nicht pflichtschuldig. Sondern imposant. Sieben Minuten lang, vielleicht acht. So imposant, dass sich eigentlich niemand hätte wundern dürfen, wenn in einem Dringlichkeitsantrag Westerwelles sofortige Wiederwahl beschlossen worden wäre.

Von Vorstößen, ihm wegen der Existenz bedrohenden FDP-Krise nach dem Parteivorsitz auch noch das Amt des Außenministers zu nehmen, wie sie in den letzten Tagen in der FDP offen und versteckt unternommen wurden, war auch in der anschließenden Aussprache keine Spur mehr.

Dauer-Nörgler hielten still

Selbst routinierte Dauer-Nörgler wie der schleswig­-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki oder Lasse Becker, Vorsitzender der ­„Jungen Liberalen“, hatten hinreichend Kreide gefressen und sich der inoffiziellen ­Parteitags-Regie unterworfen, die da lauten sollte: Festspiele statt Scherbengericht.

Westerwelles Weg

1985: Ein neues Gesicht in der Politik. Der damals 23-jährige Guido Westerwelle hält als Vorsitzender der Jungen Liberalen eine Rede anlässlich des fünfjährigen Bestehens des FDP-Jugendverbandes. 1983...
1985: Ein neues Gesicht in der Politik. Der damals 23-jährige Guido Westerwelle hält als Vorsitzender der Jungen Liberalen eine Rede anlässlich des fünfjährigen Bestehens des FDP-Jugendverbandes. 1983... © WNM
...war der Jurastudent zum Bundesvorsitzenden der
...war der Jurastudent zum Bundesvorsitzenden der "Julis" gewählt worden. In dieser Funktion... © imago stock&people WNM
...hatte er früh Kontakt zu den führenden Köpfen der Partei. Hier spricht er mit dem damaligen FDP-Vorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher beim Parteitag 1986. Westerwelle rückte 1988 in den Bundesvorstand auf und...
...hatte er früh Kontakt zu den führenden Köpfen der Partei. Hier spricht er mit dem damaligen FDP-Vorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher beim Parteitag 1986. Westerwelle rückte 1988 in den Bundesvorstand auf und... © imago stock&people WNM
...bekleidete ab 1994 den Posten des Generalsekretärs. In dieser Funktion...
...bekleidete ab 1994 den Posten des Generalsekretärs. In dieser Funktion... © WNM
...musste Westerwelle die Wahlniederlage 1998 und das Ende der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl akzeptieren. Seinem persönlichen Aufstieg tat dies keinen Abbruch. 2001...
...musste Westerwelle die Wahlniederlage 1998 und das Ende der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl akzeptieren. Seinem persönlichen Aufstieg tat dies keinen Abbruch. 2001... © WNM
...wurde er als Nachfolger von Wolfgang Gerhardt (l.) zum bis dato jüngsten Parteivorsitzenden der FDP gewählt. Westerwelle machte sich daran,...
...wurde er als Nachfolger von Wolfgang Gerhardt (l.) zum bis dato jüngsten Parteivorsitzenden der FDP gewählt. Westerwelle machte sich daran,... © WNM
...den Liberalen neue Schlagkraft zu verleihen. Im Wahlkampf 2002...
...den Liberalen neue Schlagkraft zu verleihen. Im Wahlkampf 2002... © WNM
...wollte er der Partei ein junges, hippes, spaßiges Image verpassen. Zum Markenzeichen seiner Kampagne wurde sein Wahlkampfbus, das
...wollte er der Partei ein junges, hippes, spaßiges Image verpassen. Zum Markenzeichen seiner Kampagne wurde sein Wahlkampfbus, das "Guidomobil." Mit der ungewöhnlichen Strategie... © WNM
...peilte Westerwelle ein Wahlergebnis von 18 Prozent an. Doch der Plan ging nicht auf, die FDP erntete viel Hohn und Spott aber zu wenig Stimmen. Trotzdem hielt sich Westerwelle nicht nur im Amt sondern stellte klar,...
...peilte Westerwelle ein Wahlergebnis von 18 Prozent an. Doch der Plan ging nicht auf, die FDP erntete viel Hohn und Spott aber zu wenig Stimmen. Trotzdem hielt sich Westerwelle nicht nur im Amt sondern stellte klar,... © WNM
...wer Koch und wer Kellner in der FDP ist. Im parteiinternen Machtkampf setzte er sich erneut gegen Wolfgang Gerhardt durch und übernahm von ihm Anfang 2006 auch das Amt als Fraktionsvorsitzender. Sein Status...
...wer Koch und wer Kellner in der FDP ist. Im parteiinternen Machtkampf setzte er sich erneut gegen Wolfgang Gerhardt durch und übernahm von ihm Anfang 2006 auch das Amt als Fraktionsvorsitzender. Sein Status... © WNM
...als Alleinherrscher über die FDP stieß innerhalb der Partei auf überraschend wenig Widerstand. Die verbliebenen Kritiker verstummten,...
...als Alleinherrscher über die FDP stieß innerhalb der Partei auf überraschend wenig Widerstand. Die verbliebenen Kritiker verstummten,... © ddp
...als die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Westerwelles großes Vorbild...
...als die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Westerwelles großes Vorbild... © ddp
...Hans-Dietrich Genscher (l.) gratulierte zu dem historischen Erfolg, der die Liberalen...
...Hans-Dietrich Genscher (l.) gratulierte zu dem historischen Erfolg, der die Liberalen... © ddp
...zurück auf die Regierungsbank beförderte. In der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel übernimmt Westerwelle das Amt des Vizekanzlers...
...zurück auf die Regierungsbank beförderte. In der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel übernimmt Westerwelle das Amt des Vizekanzlers... © ddp
...sowie das des Außenministers. Hier verabschiedet er seinen SPD-Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (r.). Westerwelles Ambition ist es, in die Fußstapfen großer FDP-Außenminister wie Walter Scheel und eben Genscher zu treten. Zum ersten Schaulaufen...
...sowie das des Außenministers. Hier verabschiedet er seinen SPD-Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (r.). Westerwelles Ambition ist es, in die Fußstapfen großer FDP-Außenminister wie Walter Scheel und eben Genscher zu treten. Zum ersten Schaulaufen... © ddp
...ging es für ihn zum EU-Gipfel nach Brüssel - sein erster Auftritt auf internationalem Parkett in seinem neuen Amt. Im Anschluss begab er sich...
...ging es für ihn zum EU-Gipfel nach Brüssel - sein erster Auftritt auf internationalem Parkett in seinem neuen Amt. Im Anschluss begab er sich... © AFP
...auf seine Vorstellungsrunde quer durch Europa. Westerwelle traf sich in Paris mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (m.) und...
...auf seine Vorstellungsrunde quer durch Europa. Westerwelle traf sich in Paris mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (m.) und... © AP
...Außenminister Bernard Kouchner (r.), in den Niederlanden...
...Außenminister Bernard Kouchner (r.), in den Niederlanden... © AP
...mit Premierminister Jan Peter Balkenende (r.) und...
...mit Premierminister Jan Peter Balkenende (r.) und... © AFP
...in Polen mit Präsident Lech Kaczynski (r.). Während sich Westerwelle als deutscher Chefdiplomat zunächst Anerkennung erarbeiten muss,...
...in Polen mit Präsident Lech Kaczynski (r.). Während sich Westerwelle als deutscher Chefdiplomat zunächst Anerkennung erarbeiten muss,... © AFP
...ist seine Homosexualität längst akzeptiert. 2001 outete sich Westerwelle (hier mit Lebensgefährte Michael Mronz, r.) als zweiter deutscher Spitzenpolitiker nach Klaus Wowereit.
...ist seine Homosexualität längst akzeptiert. 2001 outete sich Westerwelle (hier mit Lebensgefährte Michael Mronz, r.) als zweiter deutscher Spitzenpolitiker nach Klaus Wowereit. © ddp
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Den Boden dafür hatte ­Alt-Hoffnungsträger Rainer Brüderle (65) bereitet. Nach kurzer, aber klarer Manöverkritik – schwere Krise, viel versprochen, zu wenig geliefert – gab der neue Fraktionsvorsitzende im Bundestag mit einem Extra-Lob für Westerwelle („Der bislang größte Erfolg bei einer Bundestagswahl wird immer mit deinem Namen ­verbunden sein“) und gefüh­ligen Umarmungen aller Parteiströmungen am Morgen die Tonalität vor: Liberale hacken nicht mehr aufeinander ein. Liberale nehmen sich in schwerer Stunde bei der Hand und arbeiten für die freidemokratische Sache; und zwar unverzagt und fröhlich.

Abschied mit Wehmut, Stolz und Dankbarkeit

Eine Losung, der sich erkennbar zerknirscht auch der neue Vizefraktionschef Martin Lindner aus Berlin anschließen musste. Dessen maliziöser Plan, über Westerwelles Verbleib im Außen­ministeramt öffentlich abstimmen zu lassen, wurde von ­Brüderle persönlich am ­Vorabend im Keim erstickt.

Westerwelle nahm die ­versöhnliche Geste mit einer Erleichterung auf, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Nach einem Dutzend persönlicher Dankesworte für nahezu jeden im FDP-Führungs­zirkel räumte er, ein seltener Moment, sogar pauschal Fehler ein, ohne jedoch konkret zu werden. Er sprach mit feuchten Augen von Wehmut, Stolz und Dankbarkeit, die ihn nach zehn Jahren an der FDP-Spitze erfüllten. Er lobte die nachrückende, von ihm geförderte Führungsgene­ration fast schon sentimental über den grünen Klee. Er zog trotz rapiden Vertrauensverlusts der FDP in der Bevölkerung eine Bilanz, wie man sie von ihm kennt: „Wir haben mehr richtig als falsch gemacht.“ So sehr richtig, dass die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer heute „in Champagner baden würde“, könnte sie in punkto Beschäftigung und Wirtschaftskraft Kennzahlen vorweisen wie sie unter Schwarz-Gelb möglich geworden seien.

Respekt für Vorgänger

Der Applaus war programmiert. Er wurde noch lauter, als der Außenminister versprach, was manche Liberale intern bis zuletzt leise bezweifelten: „Ich werde meinem Nachfolger nicht ins Lenkrad greifen.“ Philipp Rösler (38), der am Abend zum jüngsten Vorsitzenden in der Geschichte der FDP gewählt werden soll, bedankte sich mit einer Bronzebüste („Europa und der Stier“) und dem Bekenntnis, dass die FDP ihrem scheidenden Vorsitzenden vor allem eines schulde: Respekt.

Philipp Rösler (38), der am frühen Abend mit 95,1 % der Stimmen zum jüngsten Vorsitzenden in der Geschichte der FDP gewählt wurde, bedankte sich mit einer Bronzebüste (“Europa und der Stier“) und dem Bekenntnis, dass die FDP ihrem scheidenden Vorsitzenden vor allem eines schulde: Respekt. (mit Reuters)