Essen. . Rekordverschuldung für einen guten Zweck: SPD und Grüne rechtfertigen ihren Haushalt mit den hohen Investitionen in das Erziehungs- und Bildungssystem. Das mache sich später bezahlt. Doch kann die Frühförderung wirklich die Armut verringern? Ein Faktencheck.

Darf eine Regierung das? Ist es redlich, wenn die rot-grüne Landesregierung die geplante Neuverschuldung mit dem Schlagwort „Prävention“ rechtfertigt? Die rot-grüne Koalition will jetzt mehr Schulden in Kauf nehmen, um dieses Geld in die Kinder, die Jugend, die Familien zu investieren. In zehn, zwanzig und noch in fünfzig Jahren werde diese Investition Früchte tragen, glaubt Rot-Grün. Die Frage ist nun, ob sich mit Präventionspolitik überhaupt die Ausgaben von morgen beeinflussen lassen – und ob die angekündigten Aktionen den Titel „Prävention“ verdienen.

Was Prävention in Euro und Cent bringen kann, darüber ließ sich die Koalition vom Wirtschaftsforschungs-Unternehmen Prognos ein Gutachten erstellen. Ermittelt wurden die sogenannten sozialen Folgekosten und deren Einsparpotenzial. Soziale Folgekosten treten auf in der Jugend­hilfe (Inobhutnahmen, Heimunterbringungen), Jugendkriminalität (Maßregelvollzug), Hartz-IV-Leistungen, Förderklassen für Jugendliche ohne Schulabschluss oder Gesundheit. Ergebnis des Gutachtens: Setzt die Hilfe bereits in der frühen Kindheit ein, lassen sich am ehesten soziale Folgekosten wegen Kriminalität, Arbeitslosigkeit und schlechter Gesundheit vermeiden.

„Frühkindliche Bildung ist der Schlüssel“

Auf die frühe Kindheit setzt die Landespolitik in der Tat; der Ausbau der Betreuungsplätze für Kleinkinder unter drei Jahren steht ganz oben auf der Tagesordnung: 100 Millionen Euro will Rot-Grün 2011 investieren, weitere 80 Millionen für mehr Personal in Gruppen mit Kleinkindern.

„Frühkindliche Bildung ist der Schlüssel“, lobt Heinz ­Hil­gers. Als Vorsitzender des Kinderschutzbundes wird er nicht müde, die Dynamik der Kinderarmut zu beschreiben: Vor elf Jahren sei jedes 15. Kind arm gewesen, heute sei es grob jedes sechste, in 25 Jahren werde jedes zweite bis dritte Kind arm sein – „wenn wir jetzt nicht die Kurve kriegen“.

Keine Kita-Gebühren mehr

Dass Prävention sich auszahlt, hat Hilgers, der bis 2009 Bürgermeister von Dormagen war, vorgemacht. Die Stadt setzt mit Hausbesuchen auf den regen Kontakt zwischen Familie und Jugendamt. Inzwischen hat Dormagen „die kostengünstigste Jugendhilfe in ganz NRW“, sagt Hilgers, der sich auf Untersuchungen der Gemeindeprüfungsanstalt NRW beruft.

Um anderen Kommunen Aktionen wie in Dormagen zu ermöglichen, hat die Landesregierung die Kinder- und Jugendhilfe um 20 auf 100 Millionen Euro aufgestockt.

Neu ist auch die Gebühren­freiheit für das letzte Kindergartenjahr: Ab August zahlen Eltern von Vorschulkindern dafür nichts mehr – egal, wie viel sie verdienen, egal, ob das Kind 25, 35 oder 45 Stunden wöchentlich die Kita besucht. Das kostet in diesem Jahr 62 Millionen Euro, 2012 bereits 150 Millionen Euro.

Dient dies der Prävention, oder ist es lediglich ein Geschenk? Schließlich besuchen fast alle Vorschulkinder bereits einen Kindergarten.

Verwahrung statt Bildung

Wichtiger, sagen die Experten, wäre die Qualitätsverbesserung; viel zu oft werde in Kitas verwahrt statt gebildet. Peter Wenzel, Geschäfts­führer des Kita-Zweckverbandes im Bistum Essen, wischt die Einwände vom Tisch. Man dürfe das eine nicht gegen das andere ausspielen. Marita Haude vom Caritas-Verband ergänzt: „Wir verlangen ja auch keine Schulgebühren.“ Heinz Hilgers ist ohnehin der Meinung: „Je selbstverständ­licher der Kita-Besuch ist, ­desto besser für die Bildung.“

Fazit: Rot-Grün plant eine Menge Aktionen, durch die sich nachweislich soziale Folgekosten einsparen lassen. Ein nennenswerter Haushalts­posten ist allerdings die Kita-Gebührenfreiheit – eine familienpolitische Maßnahme, die sicher großen Anklang findet, von der aber benachteiligte Kinder nichts haben. Weil ihre Eltern ohnehin von den Gebühren befreit sind.