Berlin. . Thilo Sarrazin bleibt SPD-Mitglied. Darauf einigte sich die Schiedskommission des SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, sagt die Vorsitzende Sybille Uken. Die Anträge für den Parteiausschluss waren zurückgezogen worden.

Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbanker Thilo Sarrazin bleibt Mitglied der SPD. Darauf einigte sich nach Angaben der Vorsitzenden Sybille Uken am Donnerstagabend die Schiedskommission des Berliner SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf gütlich. Zuvor waren die Anträge für einen Parteiausschluss zurückgezogen worden.

Einen Antrag auf das Parteiordnungsverfahren hatten neben dem Kreisverband, die Berliner Landes-, aber auch die Bundespartei sowie ein SPD-Kreisverband aus Frankfurt am Main gestellt. Die Sozialdemokraten warfen Sarrazin wegen provokanter Thesen zur Integration parteischädigendes Verhalten vor. Hintergrund ist sein Buch „Deutschland schafft sich ab“. Sarrazin gehört seit 1973 der SPD an.

Sarrazin gibt Erklärung ab

Uken zufolge zogen die Antragsteller ihre Anträge auf der Basis einer Erklärung Sarrazins zurück. In dem drei Punkte umfassenden Papier betont der frühere Politiker, er habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit seinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Darüber hinaus habe er in seinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Alle Kinder seien als Menschen gleich viel wert.

Er habe im Buch auch keine „selektive Bevölkerungspolitik“ verlangt, betonte Sarrazin. Auf keinen Fall habe er die Vorstellungen vertreten, lediglich Frauen mit akademischen Berufen und anderen gesellschaftlich hervorgehobenen Positionen und einer bestimmten Nationalität oder Religion eine Prämie für die Geburt von Kindern zu gewähren.

Des Weiteren schreibt Sarrazin in der Erklärung wörtlich: „Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren.“ Er werde künftig bei öffentlichen Veranstaltungen und Auftritten darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht sein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder stellen zu lassen. Mit der Erklärung ging Sarrazin detailliert auf die einzelnen Vorwürfe der Antragsteller ein.

Sarrazins Sprüche

Mit seinen Äußerungen provoziert Bundesbank-Chef Thilo Sarrazin immer wieder die Öffentlichkeit - DerWesten dokumentiert zwölf seiner streitbaren Zitate.
Mit seinen Äußerungen provoziert Bundesbank-Chef Thilo Sarrazin immer wieder die Öffentlichkeit - DerWesten dokumentiert zwölf seiner streitbaren Zitate. © ddp
Februar 2002 über Berliner Beamte:
Februar 2002 über Berliner Beamte: "Die Beamten laufen bleich und übelriechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist." © ddp
November 2002 zur Debatte über höhere Kita-Gebühren:
November 2002 zur Debatte über höhere Kita-Gebühren: "Es wird ja so getan, als ob der Senat die Kinder ins Konzentrationslager schicken wollte." © ddp
März 2002 zum Berliner Stadtbild:
März 2002 zum Berliner Stadtbild: "Nirgendwo schlurfen so viele Menschen in Trainingsanzügen durch die Straßen wie in Berlin."
November 2003 über Studenten, die sein Berliner Büro besetzten:
November 2003 über Studenten, die sein Berliner Büro besetzten: "Ihr seid alle Arschlöcher." © REUTERS
Januar 2005 zur geplanten Länderfusion:
Januar 2005 zur geplanten Länderfusion: "Das vereinte Land Berlin-Brandenburg ist natürlich immer eine Stadt Berlin mit angeschlossener landwirtschaftlicher Fläche." © ddp
August 2006 zur Berliner Finanzlage:
August 2006 zur Berliner Finanzlage: "Lassen Sie mich mal so sagen: Der Schutt ist abgeräumt. Wir leben nicht mehr im Jahr 1945, sondern wir leben im Jahr 1947." © ddp
Februar 2008 zum Thema Schwarzarbeit:
Februar 2008 zum Thema Schwarzarbeit: "Ehe jetzt einer im 20. Stock sitzt und den ganzen Tag nur fernsieht, bin ich schon fast erleichtert, wenn er ein bisschen schwarz arbeitet." © AP
Februar 2008 zu seinem Speiseplan für
Februar 2008 zu seinem Speiseplan für "Hartz IV"-Empfänger: Für 4,25 Euro könne man sich "vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren". Auf Kritik konterte er: "Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von "Hartz IV"-Empfängern das Untergewicht." © imago stock&people
Februar 2008 zum Berliner Bildungssystem:
Februar 2008 zum Berliner Bildungssystem: "Bayerische Schüler können aber mehr ohne Abschluss als unsere in Berlin mit Abschluss." © AP
Juni 2008 zur Mindestlohn-Debatte:
Juni 2008 zur Mindestlohn-Debatte: "Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag." © imago stock&people
September 2009 in der Zeitschrift
September 2009 in der Zeitschrift "Lettre International": "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert." © ddp
Ebenfalls dort:
Ebenfalls dort: "Je niedriger die Schicht, desto höher die Geburtenrate. Die Araber und die Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht." © ddp
Weiter:
Weiter: "Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung dieses Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun." © REUTERS
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Stegner wirft Sarrazin Rechtspopulismus vor

SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner reagierte enttäuscht auf die Entscheidung. Die gütliche Einigung sei zu akzeptieren. „Inakzeptabel bleibt der intolerante Stuss, mit dem Thilo Sarrazin neuerdings reichlich Geld verdient“, sagte Stegner „Spiegel Online“ „Seine kruden Erbtheorien und der bildungs- wie integrationspolitische Nonsens haben mit sozialdemokratischen Überzeugungen nichts gemein“. Die Thesen passten eher zu Rechtspopulisten.

Uken betonte, die Schiedskommission habe mit allen Beteiligten eine sehr konstruktive, respektvolle, ernsthafte und intensive Diskussion geführt. „Wir haben uns darauf verständigt, dass wir uns als SPD nicht auseinanderdividieren lassen - auch nicht durch Interpretationen von außen“, sagte sie. „Wir haben eine sehr gütliche und sehr konstruktive und abgestimmte Entscheidung gefällt.“

Die Sitzung der Schiedskommission dauerte fünf Stunden. Sarrazin wollte sich im Anschluss nicht selbst äußern. Als Rechtsbeistand war er unter anderem vom früheren Ersten Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, begleitet worden.

Ein erstes Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin war im März 2010 gescheitert. Damals hatten ein Kreis- und ein Ortsverband wegen „abfälliger Äußerungen“ Sarrazins über Zuwanderer den Antrag gestellt. Die Landesschiedskommission sah später jedoch keinen Verstoß gegen die Parteiordnung. (dapd)