Berlin. Den Kommunen steht ein „sehr düsteres Jahr“ bevor, fürchtet Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Im Interview mit der WAZ-Mediengruppe fordert er Schwarz-Gelb auf, Städte und Gemeinden nicht weiter finanziell zu belasten.
Herr Articus, die Haushalte der Ruhrgebiets-Kommunen brechen zusammen. Gewerbesteuereinnahmen in zweistelliger Größenordnung bleiben aus. Gleichzeitig steigen Sozialausgaben, sinken die Zuschüsse des Bundes. Welche Entwicklung der Kommunalfinanzen erwarten Sie 2010?
Stephan Articus: 2010 wird voraussichtlich ein sehr düsteres Jahr für die Kommunalfinanzen. Nach den bisherigen Prognosen müssen die Kommunen mit einem Defizit von mehr als zehn Milliarden Euro rechnen. Durch sinkende Steuereinnahmen und steigende Sozialausgaben stehen die städtischen Haushalte vor einer Zerreißprobe. Vor allem in strukturschwachen Städten mit hoher Arbeitslosigkeit und Verschuldung – wie im Ruhrgebiet – drohen die Haushalte zerrieben zu werden. Die Kassen sind leer und die Schuldenberge hoch. Die kurzfristigen Kassenkredite der Kommunen liegen inzwischen bei 32,6 Milliarden Euro.
Die neue Koalition plant Steuerentlastungen von 24 Milliarden Euro ab 2011. Welche Auswirkungen hat das?
Articus: Die Städte wenden sich nicht generell gegen Steuerentlastungen. Aber es ist schwer vorzustellen, wie man die wichtigen öffentlichen Dienstleistungen für die Bürger, zum Beispiel den Ausbau der Kinderbetreuung, erfüllen und verbessern will und gleichzeitig so hohe steuerliche Entlastungen vornimmt. Viele Städte werden das finanziell nicht verkraften können. Der Bund muss Auskunft darüber geben, wie Länder und Kommunen ihre Leistungen für die Bürger und die Wirtschaft weiter finanzieren sollen.
„Wer bestellt, bezahlt“
Gibt es ein Patentrezept für Deutschlands Kommunalfinanzen?
Articus: Nein. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn uns nicht weitere Belastungen aufgehalst würden. Bund und Land müssen dem Grundsatz folgen „Wer bestellt, bezahlt“. Außerdem brauchen die Städte vor allem zweierlei: eine Entlastung bei den Sozialausgaben und eine Finanzausstattung, die ihren Aufgaben gerecht wird.
Die Große Koalition hat den Anteil des Bundes an den Betreuungskosten der Langzeitarbeitslosen gekürzt. Werden Sie Schwarz-Gelb in Berlin überzeugen können, die Kürzung zurück zu nehmen?
Articus: Wir hoffen das sehr. Gerade bei steigender Arbeitslosigkeit wäre es völlig unverständlich, die Beteiligung des Bundes an den Unterkunftskosten 2010 zu senken. Die Kommunen zahlen hierfür schon heute 10 Milliarden Euro. Nach Berechnungen des Bundes müssen wir 2010 auch durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit eine Mehrbelastung von weiteren zwei Milliarden Euro befürchten.
Die FDP hat im Koalitionsvertrag erzwungen, dass die Gewerbesteuer auf den Prüfstand kommt. Könnten Sie eine Abschaffung verkraften?
Articus: Die Gewerbesteuer ist und bleibt die wichtigste städtische Steuer. Daran ändern auch die Einbrüche durch die gegenwärtige ganz außergewöhnliche Krise nichts. Die Einnahmen werden sich eines Tages wieder besser entwickeln. Wir bauen auf die Zusage der Kanzlerin, dass die Gewerbesteuer unangetastet bleibt. Die Gewerbesteuer hat 2008 durch die Unternehmenssteuerreform stabilisierende Elemente erhalten. Alternative Modelle für Zuschläge auf die Einnahmen- und Körperschaftssteuer, wie sie die FDP fordert, sind vor wenigen Jahren bereits gründlich geprüft und als ungeeignet befunden worden.