Essen. .
Ein grüner Kanzlerkandidat ist keine Überheblichkeit, sondern eine Notwendigkeit. Nur: Wer? Warum Claudia Roth, Cem Özdemir und Renate Künast nicht in Frage kommen, und was Jürgen Trittin qualifiziert.
Die Grünen brauchen einen Kanzlerkandidaten. Wer in Baden-Württemberg einen Regierungschef stellen kann, der darf schon einmal damit rechnen, dass ihm das in ganz Deutschland gleichfalls widerfährt. Niemand würde bestreiten, dass die SPD einen Kanzlerkandidaten braucht. Wenn nun aber die Grünen zu vergleichbarer Stärke aufholen oder sogar die SPD überrunden, dann ist ein grüner Kanzlerkandidat keine Überheblichkeit, sondern eine Notwendigkeit.
Joschka Fischer ist ein geborener Kanzlerkandidat
Nur: Wer? In Deutschland werden Wahlen in der Mitte gewonnen. Das hat der frühere Kanzler Gerhard Schröder gesagt, aber nicht nur deshalb stimmt es. Es ist im übrigen ein schönes Zeichen von Stabilität, dass bei uns Flügelleute keine Chance bekommen, das Land zu führen. Die Grünen haben in ihren Reihen einen geborenen Kanzlerkandidaten, dem die Deutschen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zutrauen würden, tatsächlich auch Bundeskanzler sein zu können. Joschka Fischer hat als Bundesaußenminister die pazifistischen Grünen mit der Notwendigkeit von Militäreinsätzen versöhnt, er hat sie erfolgreich zur Regierungspartei gemacht. In der ersten rot-grünen Koalition regierten die Grünen über weite Strecken berechenbarer als der sozialdemokratische Partner. Das war zum großen Teil das Verdienst von Joschka Fischer.
Mit ihm wäre die deutsche Außenpolitik berechenbarer als unter dem derzeitigen liberalen Amtsinhaber Guido Westerwelle. Einen diplomatischen Alleingang wie in der Libyen-Frage hätte es unter Fischer nie gegeben. Denn der Mann hat seine Prinzipien. Und Fischer ist ein überzeugter Europäer, der sich nicht davor scheut, sich in eine Tradition mit dem CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl zu stellen, der aus dem Europa der Nationalstaaten die Vereinigten Staaten von Europa machen wollte.
Könnten die Deutschen über den Kanzlerkandidaten der Grünen bestimmen, sie würden sich für Fischer entscheiden. Aber bei uns gib es nun einmal keine Vorwahlen wie in den Vereinigten Staaten. Bei uns entscheidet nicht das Volk über seine Spitzenpolitiker, sondern die Parteien. Und die Grünen würden Fischer wohl kaum zu ihrem Anwärter für das Kanzleramt machen. Das ist jedenfalls Fischers eigene Einschätzung. Sie ist realistisch. Auffallend, dass Jürgen Trittin gerade eben in einem Interview ausdrücklich betonte, dass sein Ex-Rivale Fischer sich unwiderruflich aus der aktiven Politik verabschiedet habe.
Fischer also nicht. Claudia Roth auch nicht. Sie ist eine Flügelfrau. Cem Özdemir dürften die Grünen dieses Amt kaum zutrauen. Renate Künast hat sich für die Kandidatur in der Stadt Berlin entschieden. bleibt nur noch einer: Jürgen Trittin.
Niemand kennt die Partei so gut wie er. Niemand hat so viel Machbewusstsein wie er. Niemand bei den Grünen hat einen vergleichsweise glaubhaften Weg vom Rand der Partei in deren Mitte hinter sich. Inzwischen macht Trittin sich sogar für einen Bundeswehr-Einsatz auf libyschem Boden stark und überholt damit staatsmännisch die SPD, die hier noch skeptisch ist. Wenn die Grünen also einen Kanzlerkandidaten brauchen, dann heißt der: Jürgen Trittin.