Berlin/München. . In der Libyen-Debatte knöpft sich der grüne Ex-Außenminister in bewährter Rundumschlag-Manier die Regierung Merkel vor - und verschont auch die eigene Partei nicht.

Joschka Fischer hat sich zurückgemeldet. In der Libyen-Debatte attackiert der grüne Ex-Außenminister die Regierung ebenso wie die eigene Partei. Auch der Grüne Daniel Cohn-Bendit drischt verbal auf die eigenen Leute ein. Die Grünen in Berlin sind reichlich pikiert angesichts der Attacken der Alt-Vorderen.

Fischer geht in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung mit der Enthaltung der Bundesregierung, als im UN-Sicherheitsrat über ein militärisches Eingreifen in Libyen abgestimmt wurde, hart ins Gericht. „Die deutsche Politik hat in den Vereinten Nationen und im Nahen Osten ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt, der Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat wurde soeben endgültig in die Tonne getreten. Und um Europa muss einem angst und bange werden“, urteilt Fischer in bewährter Rundumschlag-Manier.

Fischer bemängelt, die Regierung Merkel/Westerwelle habe die Opposition in Libyen allein gelassen. Was Berlin den Menschen biete? „Nichts. Leere Worte. Und das wird man sich in der Region, in der Weltorganisation und bei unseren Freunden merken.“

Fischer: Westerwelle hat den "Schwanz" eingezogen

Auch seinen Nachfolger Guido Westerwelle geht Fischer frontal an. „Ich weiß nicht, was sich der deutsche Außenminister dabei gedacht hat, als er sich zu Recht erst auf die Seite der arabischen Freiheitsrevolutionen stellte, sich später Beifall auf dem Tahrir-Platz in Kairo abholte, nachdem die Sache entschieden war, dann den Sturz Gaddafis und dessen Überstellung an den internationalen Strafgerichtshof forderte – um schließlich, als es im Sicherheitsrat zum Schwur kam, den Schwanz einzuziehen.“

Auch die Opposition nimmt sich Fischer zur Brust. Ihm bleibe nur „Scham für das Versagen auch jener roten und grünen Oppositionsführer, die diesem skandalösen Fehler anfänglich auch noch Beifall spendeten“. Außenpolitik be­deute nicht, „vor allem bella figura auf internationalem Parkett zu machen“, sondern vielmehr „harte strategische Entscheidungen zu verantworten, selbst wenn sie in der Innenpolitik alles andere als populär sind“.

Ähnlich kritisch äußerte sich der Grünen-Fraktionschef im Europa-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, Richtung Merkel, aber auch an die Adresse der deutschen Grünen. Die Partei sei zu spät auf Abstand zur Regierung und ihrer Enthaltung im Sicherheitsrat gegangen: Erst „im letzten Moment“, so Cohn-Bendit im Spiegel, hätten „die gestandenen Realos und einige andere“ die Notbremse gezogen.

Vor allem Fischers Brachialkritik hat, wenige Tage vor den wichtigen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, in der Führung der Berliner Grünen gestern reichlich Unwohlsein ausgelöst. „Das hat uns gerade noch gefehlt“, sagte ein Spitzen-Grüner. Dabei steht Fischer nicht allein mit seinem Kopfschütteln darüber, dass Top-Grüne wie Renate Künast und Jürgen Trittin dem Westerwelle-Kurs zunächst Gutes abgewinnen mochten.

Angezogene Bremse

Dagegen zu argumentieren, fällt der amtierenden Spitze schwer. Claudia Roth, die Parteivorsitzende, versucht den Spagat. Sie kritisiert ausdrücklich nicht, dass die Bundesregierung keine Soldaten nach Libyen entsenden will. Schließlich könne dies in einer militärischen Eskalation en­den und ergebe sich auch nicht zwangsläufig aus dem Be­schluss im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Was sie dagegen scharf kritisiert, ist, dass die Regierung die nicht militärischen Aspekte der UN-Resolution – Waffenembargo, Stopp des Ölhandels, humanitäre Hilfe – gleichsam nur mit angezogener Handbremse verfechte.