Berlin. Die Debatte um einen Kurswechsel in der Atompolitik bringt die FDP in Wallung. Das FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis appellierte an Generalsekretär Christian Lindner, die Parteiführung zu übernehmen.
FDP-Chef Guido Westerwelle gerät nach dem Wahldebakel seiner Partei schwer in Bedrängnis. Das FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis verlangte am Mittwoch offen den Rückzug des Ober-Liberalen.
Das FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis hat Generalsekretär Christian Lindner aufgefordert, das Amt des FDP-Parteivorsitzenden zu übernehmen. „Lindner traut sich gegen den Strich zu bürsten und die Wahrheit auszusprechen. Er kettet sich nicht sklavisch an die Union, wie es Westerwelle getan hat. Ich sehe ihn als natürlichen Nachfolger“, sagt Chatzimarkakis dem Hamburger Magazin „Stern“.
Chatzimarkakis forderte, Westerwelle solle bereits vor dem offiziellen Parteitag im Mai seinen Rückzug vom Amt des Parteichefs ankündigen: „Wer als Parteivorsitzender Schicksalswahlen verliert, muss als Parteivorsitzender die Konsequenzen ziehen.“ Westerwelle habe die Doppelbelastung als Außenminister und Parteivorsitzender nicht überzeugend bewältigt.
Der niedersächsische FDP-Landesvorsitzende und Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hat von seiner Partei eine inhaltliche Neuorientierung gefordert. „Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das können wir nur beseitigen, wenn wir unsere liberalen Positionen klar definieren und sie überzeugend vertreten“, sagte Rösler der in Hannover erscheinenden „Neuen Presse“ (Mittwochausgabe). Übereinstimmung erntet Rösler auch bei Jung-Liberalen in NRW. Johannes Vogel (28), Bundestagsabgeordneter aus Lüdenscheid, Marcel Hafke (29), Landtagsabgeordneter aus Wuppertal und Henning Höne (24), Juli-Chef in NRW fordern:„Die FDP muss menschlicher und sympathischer sein.“
In der Atompolitik distanziert sich Rösler vorsichtig von FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Der hatte gefordert, die sieben Kernkraftwerke, die im Zuge des Moratoriums der Bundesregierung für drei Monate vom Netz genommen wurden, dauerhaft abzuschalten. „Christian Lindner hat im Zusammenhang mit der inhaltlichen Neuausrichtung einen Vorschlag gemacht, der ein wichtiger Diskussionspunkt ist“, sagte Rösler. Die Koalition habe sich aber ganz bewusst für ein dreimonatiges Moratorium entschieden, um die Sachlage neu bewerten zu können.
Verzicht auf Steuersenkung für Atomausstieg
In der FDP gibt es nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeigers“ Überlegungen, auf die Forderung nach Senkung der Einkommenssteuer in dieser Wahlperiode zu verzichten, um den beschleunigten Atomausstieg zu finanzieren. Wenn man mit den Energiekonzernen eine Vereinbarung treffen wolle, die sieben ältesten Meiler nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums nicht mehr anzufahren, müsse man ihnen finanziell entgegen kommen, heißt es in Führungskreisen der Liberalen.
Deshalb müsse über Wegfall oder Ermäßigung der auf 2,3 Milliarden Euro pro Jahr kalkulierten Brennelemente-Steuer verhandelt werden. Zur Finanzierung biete sich auch der Verzicht auf das Betreuungsgeld mit Kosten von 1,5 Milliarden an.
FDP-Justizministerin für Kurswechsel bei Kernkraft
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) steht voll hinter der Forderung von FDP-Generalsekretär Lindner zur dauerhaften Abschaltung der acht älteren Atommeiler. Notfalls will sie dafür das Atomgesetz ändern. „Die acht älteren Kernkraftwerke dürfen nicht wieder ans Netz gehen“, sagte die FDP-Politikerin der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwochausgabe). Der Umweltminister müsse die geeigneten Wege dazu suchen.
Leutheusser-Schnarrenberger wies darauf hin, dass das Moratorium eine politische Entscheidung gewesen sei, keine rechtlich verbindliche. Ein geltendes Gesetz könne nicht durch eine politische Meinungsbekundung außer Kraft gesetzt werden. Für die Justizministerin ist klar: „Wir wollen den eingeschlagenen Kurs bei der Laufzeitverlängerung verändern, schneller aussteigen.“ Dabei müsse die Frage, ob es zu Schadenersatzforderungen kommen kann, berücksichtigt werden. „Wenn man mit den Betreibern keine Vereinbarung schließen kann, muss notfalls das Atomgesetz für einen schnelleren Ausstieg geändert werden“, kündigte sie an.
"Es kann nicht so bleiben, wie es ist"
FDP-Vorstandsmitglied Daniel Bahr hat seine Partei in der Debatte über die künftige Führung zu mehr Anstand aufgerufen. Mit Blick auf die Rücktrittsforderungen gegen den Vorsitzenden Guido Westerwelle, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger sagte Bahr der Tageszeitung „Die Welt“ (Mittwochausgabe): „Es tut der FDP gut, wenn wir diese Debatte mit Ruhe und Anstand führen – und nicht nur nach einem Schuldigen suchen.“
Westerwelle habe die Erfolge der FDP in den vergangenen Jahren erst ermöglicht, deshalb müsse die Debatte über die Konsequenzen aus den Niederlagen bei den Landtagswahlen jetzt unter seiner Führung stattfinden. Ob der Parteichef seinen Posten behalten werde, ließ Bahr allerdings offen: „Wir gehen offen in die Beratungen. Klar ist: Es kann nicht so bleiben, wie es ist. Wir brauchen eine neue Aufstellung: inhaltlich, strategisch und personell.“ (dapd/WE)