Ruhrgebiet.
Mit Erleichterung reagierte die Wissenschaft auf den Rücktritt des Verteidigungsministers. In einem offenen Brief hatten zuvor zehntausende Doktoranden und Professoren Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeworfen, alle wissenschaftlichen Mitarbeiter zu verhöhnen, indem sie die Plagiatsaffäre kleinrede. Sie sorgten sich um die Standards in der Wissenschaft.
„Vielleicht ist nun klarer geworden, dass der Diebstahl geistigen Eigentums eben auch ein Diebstahl ist“, sagte Ulrich Radtke, Rektor der Universität Duisburg-Essen zum Fall Guttenberg. „Dass sich die Wissenschaft so deutlich positionierte, hat auch zu seinem Rücktritt beigetragen“, meint Radtke. „Wenn er damit durchgekommen wäre, wäre es ein Schlag ins Gesicht für alle gewesen, die sich wissenschaftlich redlich verhalten.“
Fall aus akademischer Sicht noch nicht erledigt
Elmar Weiler, Rektor der Ruhr-Universität Bochum, sagte: „Fatal wäre es gewesen, wenn man die Sache als Kavaliersdelikt begraben hätte.“ Die Affäre sei eine „Generalwarnung an alle Beteiligten“, die Frage des geistigen Eigentums ernst zu nehmen. Für seinen Kollegen, Professor Gereon Wolters, Studiendekan der Juristischen Fakultät Bochum, hätte Guttenberg dagegen durchaus Chancen gehabt, sein Amt zu behalten: „Aber nur, wenn er seine Fehler nicht scheibchenweise zugegeben hätte, sondern sofort eine Reue-Rede gehalten hätte. Gerade die Art seines Verhaltens hat dazu geführt, dass er wund geschossen wurde. Jetzt ist es an der Zeit gewesen, dass er zurücktritt.“ Wolters glaubt außerdem, dass Guttenberg einen Ghost-Writer bemüht hat: „Wenn es stimmt, dass 76 Prozent der Dissertation abgeschrieben sind, dann vermute ich, dass er die Arbeit gar nicht selbst geschrieben hat. So blöd kann keiner sein.“
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Ursula Gather, Rektorin der TU Dortmund, sieht den Fall aus akademischer Sicht noch nicht als erledigt an: „Trotz des Rücktritts müssen die erhobenen Plagiatsvorwürfe umfassend geprüft werden und es müssen, falls sie sich als richtig herausstellen sollten, die entsprechenden Konsequenzen, die im wissenschaftlichen Bereich hierbei Anwendung finden, gezogen werden“, so Gather.
Dies sieht auch die betroffene Universität Bayreuth so. Denn noch ist der Verdacht, Guttenberg habe vorsätzlich getäuscht, nicht ausgeräumt. „Der Rücktritt hat nichts daran geändert, dass die Arbeit der Kommission zur Selbstkontrolle der Wissenschaft unabdingbar bleibt“, teilte Uni-Präsident Rüdiger Bormann mit. Die „notwendigen Prüfungen“ würden fortgeführt.
Professor Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), der die Interessen von 26 000 deutschen Wissenschaftlern vertritt, hatte zuvor bereits heftig protestiert: „Die Marginalisierung schwersten wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch höchste Repräsentanten unseres Staates ist empörend.“ Kempen weiter: „Wissenschaft ist kein Sandkasten, sondern ein elementar wichtiger Teil unserer Gesellschaft.“
Exzellenz, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit
Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft fordert ein eindeutiges Bekenntnis der Politik zu Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis. „Nur wenn Exzellenz, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit die Bewertungskriterien sind, sind junge Menschen bereit, das erhebliche berufliche, finanzielle und persönliche Risiko einer Karriere in Wissenschaft und Forschung einzugehen.“
Tatsächlich ist die Kritik – gerade von Seiten der Nachwuchswissenschaftler – gesalzen. Wie Guttenberg hat auch Dr. Friedhelm Kulmann sieben Jahre für seine Dissertation gebraucht. Und wie Guttenberg ist Kulmann Familienvater. „Zur Promotionszeit war gerade das vierte Kind unterwegs“, erzählt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Fernuniversität Hagen. Er ist auch Protokollant bei Disputationen, also der mündlichen Prüfung der Doktoranden. Den Umgang von Kanzlerin Merkel, das Vergehen sozusagen als Kavaliersdelikt darzustellen, beurteilt Kulmann als nicht nachvollziehbar. „Man kann nicht den Minister und die Doktorarbeit voneinander trennen. Wissenschaftliche Leistung hat etwas mit der Persönlichkeit zu tun.“
Studenten zu Guttenberg
Arnim Kolat findet, dass der Rücktritt von Guttenberg zwingend war. Er promoviert seit zweieinhalb Jahren an der Universität Bochum zum Kartellrecht. „Wenn sich jemand wie zu Guttenberg sozusagen den Titel erschleicht, dann muss er auch die Konsequenzen tragen“, sagt der 28-Jährige. Es sei eben nicht nur ein Abschreiben wie in der Schule gewesen, sondern in der Wissenschaft ein „Schwerstverbrechen“.