Sinai. . Ägyptens Präsident hat auf Druck der andauernden Proteste angeblich den Vorsitz der Regierungspartei abgegeben. Ein Anschlag auf eine Gaspipeline in Nord-Sinai sorgt für zusätzliche Unruhe. Stecken Islamisten dahinter?

Ist das der Anfang vom Ende? Unter dem Druck der tagelangen Massenproteste hat Ägyptens Präsident Husni Mubarak nach einem Fernsehbericht den Vorsitz der Regierungspartei abgegeben. Mubarak trete als Chef der National-Demokratischen Partei zurück, berichtete ein Sender am Samstag. Auch sein Sohn Gamal Mubarak habe sein Amt im Vorstand abgegeben und sich damit einem Rückzug der gesamten Führungsriege angeschlossen, hieß es im staatlichen Fernsehen. Als neuer Generalsekretär der Partei wurde demnach Hossam Badrawi ernannt, der als Vertreter des liberalen Flügels gilt.

Ein Anschlag auf eine Gaspipeline im Nord-Sinai hat die Spannungen im Land weiter verschärft. Die Situation sei sehr gefährlich, zitierte das Staatsfernsehen am Samstag einen Behördensprecher. Die Explosionen an der Leitung im Nord-Sinai hätten noch nicht gestoppt werden können. Die Armee half bei den Löscharbeiten. Ein Korrespondent des staatlichen Fernsehsenders bezeichnete den Anschlag als „große terroristische Operation“. Die betroffene Pipeline versorgt Israel wie Jordanien mit Gas. Islamisten Gruppen hatten in den vergangenen Tagen dazu aufgerufen, die Proteste gegen Präsident Husni Mubarak in eine islamische Revolution auszuweiten.

Die ägyptische Armee schloss am Samstag Sicherheitskreisen zufolge die Hauptleitung. Von der Explosion sei die Abzweigung nach Jordanien betroffen, hieß es. Die Leitung nach Israel sei nicht betroffen. Aus dem israelischen Verkehrsministerium erfuhr Reuters, dass Israel aus Sicherheitsgründen trotzdem die Leitung sperrte. Wie lange diese Maßnahme beibehalten werde, sei noch unklar.

Israel bezieht 40 Prozent seiner Gaslieferungen aus Ägypten. Laut der US-Gruppe Site, die Al-Kaida und islamistische Internetseiten beobachtet, haben einige Gruppen dazu aufgerufen, die Pipeline nach Israel anzugreifen. Ägypten hat mit Israel ein Friedensabkommen. Der 82-jährige Mubarak hatte stets für das Friedensabkommen von 1979 garantiert.

Anführer der ägyptischen Proteste verhandeln mit Ministerpräsidenten

Die Lage in Ägypten war am Samstag ruhig. Auf dem Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt Kairo harrten Hunderttausende Ägypter aus. Sie kündigten an, solange zu bleiben, bis Mubarak abtrete. Banken sollten am Samstag, dem Beginn der Woche in Ägypten, wieder öffnen. Für Montag plant die Börse, den Aktienhandel wieder aufzunehmen. Am Samstag wollte sich eine Gruppe einflussreicher ägyptischer Persönlichkeiten mit dem Vizepräsidenten Omar Suleiman treffen. Der sogenannte „Rat der Weisen“ hatte vorgeschlagen, Suleiman solle die Amtsgeschäfte übernehmen.

Anführer der Proteste in Kairo haben eigenen Angaben zufolge mit dem ägyptischen Ministerpräsidenten Ahmed Schafi über Möglichkeiten einer Absetzung von Präsident Husni Mubarak gesprochen. Die Gespräche hätten dazu gedient, Verhandlungen über die Zukunft des Landes vorzubereiten, sagte der Aktivist Abdel-Rahman Jussef. Das Treffen habe bereits am Freitag stattgefunden. Er und seine Mitstreiter hätten dabei erneut betont, dass die Demonstrationen nicht aufhören würden, bevor Mubarak die Macht tatsächlich abgegeben habe. Besprochen worden sei unter anderem die Möglichkeit einer Übernahme der Amtsgeschäfte durch den Vizepräsidenten Omar Suleiman.

Muslimbruderschaft fordert Neubeginn

Die Muslimbruderschaft in Ägypten hat einen politischen Neubeginn unter Einbeziehung aller Oppositionsgruppen in dem nordafrikanischen Land gefordert. „Dies ist ein Volksaufstand aller Ägypter“, sagte der stellvertretende Führer der Bruderschaft in Ägypten, Raschad el Bajumi, dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ laut Vorabbericht vom Samstag.

Seine Gruppierung trete für eine Übergangsregierung „sämtlicher Oppositionsgruppen“, Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen ein. „Nach 30 Jahren der Unterdrückung, Korruption und Diktatur stehen wir definitiv an einem Scheideweg“, sagte Bajumi und fügte hinzu: „Die Revolution wird so lange weitergehen, bis unsere Forderungen erfüllt sind.“

Zugleich bekräftigte er, die Muslimbrüder stünden für Toleranz und respektierten Andersgläubige. Von der ägyptischen Regierung werde die Muslimbruderschaft falsch dargestellt: „Wir sind keine Teufel. Unsere Religion ist keine teuflische Religion“, sagte Bajumi. Wie viele Anhänger seine Vereinigung derzeit in Ägypten zähle, wisse er nicht. „Die Regierung sagt, wir sind drei Millionen und mehr, ich weiß nur, wir sind überall“, sagte er. Er betonte, seine Vereinigung habe im Zusammenhang mit den Protesten nicht zu Gewalt aufgerufen und werde dies auch nicht tun.

Der US-Senator John McCain warnte vor einer Beteiligung der Bruderschaft an einer Übergangsregierung in Ägypten. „Die Muslimbruderschaft ist eine radikale Gruppe, der es in erster Linie darum geht, die Scharia anzuwenden“, sagte McCain dem „Spiegel“ mit Blick auf das islamische Recht. „Sie ist durch und durch antidemokratisch, vor allem in Bezug auf die Rechte von Frauen“, sagte der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat. Die religiöse Gruppierung arbeite mit Terrororganisationen zusammen und sollte seiner Ansicht nach von jeglicher Regierungsverantwortung ausgeschlossen werden.

Deutsche in Ägypten waren vorübergehend festgenommen

Mehrere deutsche Staatsangehörige sind nach einem Fernsehbericht während der Massenproteste in Ägypten vorübergehend festgenommen worden. Das berichtete das MDR-Magazin „Fakt“ vorab am Samstag. Inzwischen sollen diese Personen, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und deutsche Studenten, wieder auf freiem Fuß sein. Das Auswärtige Amt erklärte dazu, nach Erkenntnissen des Hauses befänden sich derzeit im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in Ägypten keine deutschen Staatsangehörigen in Haft.

„Fakt“ bezog sich auf ein auf den 4. Februar datiertes „vertrauliches Papier“ des Auswärtigen Amtes, in dem von mindestens sieben Verhaftungen die Rede sein soll. Eine Sprecherin des Außenamtes sagte, zu Berichten über angeblich vertrauliche Berichte äußere sich das Haus grundsätzlich nicht.

Laut „Fakt“ ist von willkürlichen Verhaftungen von Ausländern die Rede. Aus Grund für die Verhaftungen nenne das Papier Äußerungen des ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman sowie eine anti-westliche Berichterstattung staatlich kontrollierter Medien. Dies werde von einigen als „Freibrief für Jagd auf Ausländer“ verstanden. Außerdem habe die ägyptische Regierung den Polizeischutz für westliche Botschaften vorübergehend abgezogen, was eine Protestnote der EU zur Folge gehabt habe.

USA und Europa fordern Reformen

Die USA und Europa dringen auf Reformen in Ägypten, warnen aber vor sofortigen Neuwahlen in dem Land. US-Außenministerin Hillary Clinton habe in ihren Gesprächen mit europäischen Kollegen und Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, dass Washington nicht auf einen schnellen Rücktritt des umstrittenen Präsidenten Husni Mubarak drängen werde, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Samstag aus Diplomatenkreisen. Auch Merkel und der britische Premierminister David Cameron warnten bei der Münchener Sicherheitskonferenz vor überstürztem Vorgehen.

„Die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch“, sagte Merkel mit Blick auf ihre eigene Erfahrung bei der deutschen Einheit. Neue Strukturen brauchten Zeit sich zu entwickeln. „Wenn als erstes gewählt wird, haben neue Strukturen keine Chance“, warnte Merkel. In EU-Kreisen wurde darauf verwiesen, dass die ägyptische Verfassung vorsehe, dass 60 Tage nach einem Rücktritt Mubaraks gewählt werden müsse - das erklärt die Vorsicht, den Präsidenten zu einem sehr raschen Rücktritt zu drängen. Die US-Vertreter betonten in ihren Gesprächen in München, man brauche Zeit, um mit Personen an wichtigen Machtstellen einen friedlichen Übergang zu organisieren. „Ich glaube nicht, dass wir die Weltprobleme lösen, wenn wir einen Schalter umlegen oder Wahlen abhalten“, sagte der britische Premierminister.

„Der Status Quo ist einfach nicht zu halten“

Clinton mahnte die von den USA unterstützten Regierungen in der Region, Reformen anzugehen. Dies sei kein Idealismus, sondern eine „strategische Notwendigkeit“. Ansonsten drohten die Führer in der Region von einem Wirbelsturm hinweggefegt zu werden. „Der Status Quo ist einfach nicht zu halten.“

Die Forderungen der Bevölkerung müsste gehört werden. Wahlen seien dabei aber nicht alles, betonte auch Clinton. Es müssten auch die Institutionen gestärkt, ein unabhängiges Rechtssystem aufgebaut und eine freie Presse erlaubt werden. Die Regierungen müssten einen möglichst breiten Dialog führen. Platz am Verhandlungstisch hätten aber nur Kräfte, die auf Gewalt verzichteten und Toleranz auch gegenüber Minderheiten zeigten.

Die USA würden an ihren Zielen in der Region festhalten. Dazu gehörten starke Sicherheitspartnerschaften, eine Sicherung des Friedens mit Israel, die Eindämmung des Einflusses Irans, wirtschaftliche Entwicklung und der Kampf gegen den Terrorismus. „Diese Ziele sind essenziell für diese Länder, für uns und Europa und wir werden an ihnen festhalten.“

Frankreich stellt Waffenlieferungen an Ägypten vorerst ein

Wegen der anhaltenden Unruhen in Ägypten hat Frankreich seine Waffenlieferungen an das nordafrikanische Land vorerst eingestellt. Die Entscheidung sei am 27. Januar getroffen und einen Tag später den zuständigen Unternehmen mitgeteilt worden, erklärte das Büro des französischen Premierministers François Fillon am Samstag und bestätigte damit Informationen des Onlineportals der Tageszeitung „Le Monde“. Die Zollbehörden, die für den Export explosiver Produkte zuständig seien, hätten die Lieferung von Materialien wie Tränengasbomben bereits am 25. Januar gestoppt.

Auch Deutschland hatte seine Rüstungsexporte nach Ägypten angesichts der Unruhen vorerst eingestellt. Die heftigen Proteste gegen den langjährigen ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak hatten am 25. Januar begonnen. Bei den Ausschreitungen kamen nach UN-Angaben bislang mindestens 300 Menschen ums Leben. Das ägyptische Gesundheitsministerium spricht von 5000 Verletzten seit dem 28. Januar. (rtr/dapd/afp)