Rahmspinat ohne Rahm, Erdbeer-Joghurt ohne Erdbeeren: Bald schon sollen sich Verbraucher im Internet über Etikettenschwindel bei Lebensmitteln beschweren können. So jedenfalls plant es Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) . Doch die Verbraucherorganisation Foodwatch befürchtet, dass die Ministerin ihren eigenen Vorstoß auf Druck von Lobbyverbänden der Wirtschaft abschwächt.

In Aigners geplantem Internet-Beschwerdeportal „Klarheit und Wahrheit“ sollen nur noch im Ausnahmefall Namen der Hersteller genannt und Fotos von Verpackungen veröffentlicht werden, kritisiert Foodwatch. Die Organisation beruft sich auf interne Konzeptpapiere des Verbraucherministeriums, die dieser Zeitung vorliegen. „Die Politik wird zum Erfüllungsgehilfen und Dienstleister der Lebensmittelindustrie, anstatt den Markt zugunsten der Verbraucher zu regulieren“, sagte Thilo Bode, Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch, der WAZ.

Der Hintergrund: Spitzenverbände der Lebensmittelwirtschaft ziehen seit Monaten mit Rechtsgutachten gegen die Pläne von Ministerin Aigner zu Felde. Sie befürchten einen „Internet-Pranger“. Foodwatch wirft dem Ministerium nun vor, in einem entscheidenden Punkt eingeknickt zu sein: Produkte, die als Täuschung empfunden werden, aber rechtlich zulässig gekennzeichnet sind, sollen nicht mit Namen und Bild ins Netz gestellt werden. Diese Grauzone aber macht laut Verbraucherschützer den Großteil der Beschwerden aus.

Das Verbraucherministerium bestritt, auf Druck der Unternehmen gehandelt zu haben. Das Konzept sei immer schon so geplant gewesen. „Es wird und wurde nichts geändert“, sagte Ministeriumssprecher Holger Eichele. Namen würden genannt. Die Lobby der Lebensmittelwirtschaft indes sieht sich am Ziel: Das jüngste Papier des Ministeriums halte „nunmehr ausdrücklich und erstmals“ fest, dass keine Veröffentlichung erfolgen soll, schreibt der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde an seine Mitglieder.

Das Tricksen und Täuschen der Lebensmittelwirtschaft hat Methode. So jedenfalls lesen sich die Prüfberichte von Stiftung Warentest aus den letzten drei Jahren. Von 750 Lebensmitteln beschrieben die Tester knapp 200 als irreführend. „Etiketten, Aufmachung oder Werbung täuschten den Verbraucher über die wahre Qualität“, schreiben die Prüfer in einer aktuellen Erhebung.

Ahnungslose Verbraucher

Seit vielen Jahren fördern Verbraucherschützer immer wieder Erstaunliches zutage. Auf der Suche nach dem „Blubb“, dem Rahm im Rahmspinat, fand Stiftung Warentest (test 4/10) eine Mischung aus Wasser, Milch und Xanthangummi. Letzteres kommt auch in WC-Reinigern vor. Oder der Ananas-Kokos-Bananen-Smoothie, auf dessen Etikett der Hersteller mit „hochwertigen Früchten“ wirbt. In Wirklichkeit besteht das Fruchtpüree hauptsächlich aus Äpfeln, die im Einkauf billiger sind. Und da ist die Geflügelwurst, die so heißen darf, obwohl sie knapp zur Hälfte aus Schweinefleisch besteht. Dumm, wenn ein Verbraucher aus religiösen Gründen das vermeiden möchte.

Es ist der tägliche Kampf um Kleingedrucktes und um die Fälle aus den Grauzonen, den Verbraucherzentralen oder die Organisation Foodwatch auf Internet-Seiten führen: Juristisch korrekt, doch in die Irre führend. Manches aber könne der Verbraucher nicht selbst entdecken, sagt Stiftung Warentest. Lebensmittelimitate etwa: In Form gepresstes Eiweiß, das wie Frischfleisch aussieht. Aus Fleischresten zusammengesetzte Putenstücke. Oder aber der Analogkäse, der kein Käse ist, sondern aus Wasser, Fett und Geschmacksverstärkern hergestellt wird. Von all dem erfährt der Supermarktkunde nichts: Die Imitate müssen in der Zutatenliste nicht extra gekennzeichnet werden

Eine Kampfansage

Auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat den „irreführenden und täuschenden Praktiken“ der Lebensmittelhersteller den Kampf angesagt. Mit 700 000 Euro unterstützt ihr Ministerium den Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) und die Verbraucherzentrale Hessen. Federführend sollen sie das Internetportal „Klarheit und Wahrheit“ aufbauen. Im Sommer könnte es an den Start gehen.

Aigner bezeichnet das Internetportal als zentrales Element ihrer Aufklärungskampagne. Auf der Seite sollen sich Verbraucher nicht nur über das komplizierte Lebensmittelrecht informieren können. Bürger könnten dort auch Fotos von Produkten hochladen, von denen sie sich getäuscht fühlen, hieß es zunächst. Hersteller könnten zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Die aus dem Portal gewonnenen Erkenntnisse sollen als Entscheidungsgrundlage für mögliche Gesetzesänderungen dienen.

Doch unklar ist, wie viel Klarheit im Konzept enthalten sein wird. Foodwatch befürchtet, dass das Konzept an einem entscheidenden Punkt geändert wird: Ist das von Verbrauchern beanstandete Produkt rechtlich zulässig gekennzeichnet, würden weder der Name genannt noch das Produkt gezeigt, zitiert Foodwatch aus einem Konzeptpapier des Ministeriums. Statt dessen sollen lediglich „Produkt-Dummys“ abgebildet werden. „Hierbei werden weder Marken-/Herstellernamen oder Verpackungsaufmachungen verwendet, die Rückschluss auf einen konkreten Anbieter geben könnten“, heißt es in dem Papier.

„Absurde Änderung“

„Die Änderung des Konzeptes ist absurd“, sagt Foodwatch-Chef Thilo Bode. „Wie kann denn die Diskussion über gesetzliche Maßnahmen geführt werden, wenn die Produkte, die sich an die Gesetze halten und dennoch als Täuschung empfunden werden, von der öffentlichen Debatte ausgenommen werden?“, fragt er.

Dass jedoch Öffentlichkeit etwas bewirkt, weiß die Verbraucherzentrale Hamburg. Sie stellt seit Jahren kritisierte – und legal gekennzeichnete – Produkte ins Internet. „Viele der Firmen, deren Produkte wir veröffentlichten, haben inzwischen ihre Etiketten geändert“, sagte Abteilungsleiterin Silke Schwartau dieser Zeitung.

Das endgültige Konzept des Internet-Portals wird am kommenden Mittwoch den Spitzenverbänden der Lebensmittelwirtschaft vorgestellt. Die Presse ist nicht eingeladen.