Berlin. Vor exakt 80 Jahren teilten die späteren Siegermächte des Zweiten Weltkriegs Europa unter sich auf. Passiert jetzt gerade das Gleiche?

Vor fast genau 80 Jahren trafen sich drei ältere Herren im Kurort Jalta auf der damals sowjetischen Halbinsel Krim und teilten innerhalb weniger Tage große Teile des östlichen Europas neu auf. Es waren dies der US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und ihr Gastgeber, der sowjetische Machthaber Josef Stalin.

Vom 4. bis zum 11. Februar 1945 berieten die Anführer der gegen Deutschland kämpfenden Alliierten in einem ehemaligen Sommerpalast der Zaren über die Ordnung, die nach der kurz bevorstehenden Niederlage von Hitlers Truppen in Europa herrschen sollte. Manche fühlen sich an diese Konferenz der „Großen Drei“ erinnert, wenn sich nun der russische Präsident Wladimir Putin und sein amerikanischer Kollege Donald Trump anschicken, über die Zukunft der Ukraine nach einem bald angestrebten Waffenstillstand zu beraten.

Winston Churchill, Franklin Roosevelt, Josef Stalin
Winston Churchill, Franklin Roosevelt und Josef Stalin in Jalta. © picture alliance / AP Photo | Uncredited

Die drei von Jalta entwarfen am Reißbrett, wie sie sich die künftige europäische Landkarte vorstellten. Es war eine echte Siegerkonferenz, auf der die Interessen des kurz vor der Kapitulation stehenden Aggressors Deutschland praktische keine Rolle spielten. Das Gleiche galt aber auch für zahlreiche osteuropäische Staaten, die von Deutschland überfallen worden waren und nun erleben mussten, wie ohne sie über ihre Zukunft entschieden wurde. Es handelte sich für sie um einen Diktatfrieden, ein Begriff, der auch heute in den Debatten um die Beendigung des Ukraine-Krieges fällt. Trotz mancher augenscheinlicher Parallelen zwischen den damaligen und den heutigen Entwicklungen im Osten Europas sind sie dennoch nicht wirklich zu vergleichen – außer der Tatsache, dass einige mächtige Männer beanspruchen, den Weg der Geschichte an einem entscheidenden Punkt zu bestimmen.  

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In Jalta trafen sich die Sieger über einen Aggressor, der ganz Europa mit Krieg, Verwüstung und der Vernichtung von Millionen Menschen überzogen hatte und schließlich mit militärischer Gewalt in die Knie gezwungen worden war. Mit Stalin saß der Führer des Landes am Tisch, das die weitaus meisten Opfer erlitten hatte. Es ging um ein schnelles Ende des Krieges, die Entmilitarisierung und Entnazifizierung Deutschlands.

Churchill und Roosevelt kamen den Wünschen Stalins weit entgegen

Heute beansprucht der Angreifer Putin nicht nur eine erhebliche Kriegsbeute, sondern auch, über die Zukunft des überfallenen Nachbarn Ukraine mitzubestimmen. Es soll eine Art Täter-Opfer-Umkehr stattfinden, während es 1945 zunächst einmal darum ging, das geschlagene Deutsche Reich in jeder Hinsicht zur Verantwortung für dessen Verbrechen zu ziehen und ein Wiedererstarken des großen Landes in der Mitte Europas langfristig zu verhindern. Dazu sollte vor allem die in Jalta letztlich beschlossene Aufteilung Deutschlands in vier den Alliierten unterstellte Besatzungszonen dienen, wobei Frankreich erst auf Druck der USA und Großbritanniens in diesen Kreis aufgenommen wurde, die Teile der ihnen zugesprochenen Zonen an die Franzosen abgaben.

Stalin lag vor allem daran, die von den Deutschen besetzten ost- und südosteuropäischen Länder als sowjetische Interessensphäre anerkennen zu lassen. Angesichts des kriegsentscheidenden Vorrückens der Roten Armee, die während jener Wochen den Angriff auf Berlin vorbereitete, kamen Churchill und Roosevelt den Wünschen Stalins weit entgegen. Dazu gehörte auch die Festlegung der neuen Grenzen Polens ohne Beteiligung polnischer Vertreter. Die Vereinbarungen sahen aber immerhin vor, dass nach dem Krieg „ein starkes, freies, unabhängiges und demokratisches Polen“ entstehen sollte. Auch den anderen europäischen Staaten sollte das Recht zugestanden werden, „sich die Regierungsform, unter der sie leben werden, selbst zu wählen“. Die Sowjetunion löste dieses Versprechen in den Ländern seines Einflussgebietes nach dem Krieg nicht ein. Die 1945 zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs getroffenen Festlegungen hinsichtlich ihrer Einflusszonen in Europa hielten aber auch während der Auseinandersetzungen des Kalten Krieges stand.

Die Siegermächte schufen damals eine Nachkriegsordnung für Europa,

Ein wesentliches Ergebnis der Konferenz war schließlich, dass Stalin dem Aufbau der Vereinten Nationen als internationale Friedensorganisation zustimmte. Er setzte dabei allerdings das Vetorecht der fünf Großmächte im Weltsicherheitsrat durch, was sich in den folgenden Jahrzehnten als fatales Blockadeinstrument vor allem der Sowjetunion und später Russlands erwies.

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Meine schwerste Entscheidung

Die Siegermächte schufen damals eine Nachkriegsordnung für Europa, die dem Kontinent achtzig überwiegend friedliche, wenn auch spannungsreiche Jahre beschert hat. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland nicht nur sein Nachbarland angegriffen. Sondern auch jene Ordnung, die sich nach dem Ende des Kalten Kriegs ab 1989 herausbildete.

Und hier liegt der eigentliche Zusammenhang zwischen den Beschlüssen von Jalta und der Lage nach dem möglichen Ende des Ukrainekriegs. Wladimir Putin hat das friedenssichernde Prinzip, dass die damals geschaffenen Grenzen in Europa nicht gewaltsam verrückt werden dürfen, gebrochen. Er trifft nun auf einen US-Präsidenten Donald Trump, der wenig Verständnis für regelbasierte, auf multilateralem Interessenausgleich beruhende Strukturen hat. Das Recht des Stärkeren gilt ihm als sinnvolles Prinzip. Dazu gehört die Vorstellung, dass im Zweifel mächtige Männer untereinander alles regeln, was zu regeln ist. So wie in einer historischen Ausnahmesituation vor fast genau 80 Jahren Churchill, Roosevelt und Stalin in Jalta (und wenige Monate später auf der Potsdamer Konferenz) vorgegangen sind.