Berlin. Vor wenigen Monaten lag die Linke am Boden, jetzt scheint ihr wider Erwarten der Einzug in den Bundestag zu gelingen. Wie ist das möglich?

  • Vor wenigen Monaten lag die Linke am Boden, nun ist sie wieder obenauf
  • Besonders in Westdeutschland verzeichnet sie einen enormen Mitgliederzuwachs
  • Lesen Sie hier die Gründe für den Wiederaufstieg und was der Spitzenkandidat Jan van Aken dazu sagt

Noch im November dürfte der Blick auf die Umfragewerte im Karl-Liebknecht-Haus Sorgenfalten hervorgerufen haben. Als die Ampelregierung zerbrach, lag die Linke bei drei bis vier Prozent. So aussichtslos erschien das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde, dass die Partei die „Mission Silberlocke“ ins Leben rief: Sie setzte darauf, über die Grundmandatsklausel in den Bundestag einziehen zu können, also drei Wahlkreise direkt zu gewinnen. Das war ihr schon 2021 gelungen, als sie an der Fünf-Prozent-Hürde knapp scheiterte, aber Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann drei Direktmandate gewannen und ihrer Partei so den Einzug ins Parlament sicherten.

Der langjährige Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, der ehemalige thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow und die erneute Linken-Galionsfigur Gregor Gysi, vereint als die „Silberlocken“, sollten dieses Mal die Direktmandate holen. So die Hoffnung der Partei, die erstmals in ihrer heutigen Form den Einzug ins Parlament zu verpassen drohte.

Warum das BSW für die Linke eine Chance ist

Doch womöglich braucht es die Drei gar nicht. Denn die Umfragekurve zeigt steil nach oben, das Umfrageinstitut YouGov sagt aktuell sogar 7,5 Prozent für die Partei voraus.

Bundesparteitag Linke zur Bundestagswahl
Gute Stimmung bei der Linken. Spitzenkandidaten Jan van Aken und Heidi Reichinnek neben „Silberlocken“ Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch (von links nach rechts). © DPA Images | Sebastian Gollnow

Wie kann das sein? Spätestens seit Sahra Wagenknecht, die vier Jahre lang die Fraktion der Linken geführt hatte, im Oktober 2023 die Partei verließ und zahlreiche prominente Vertreter mit zu ihrem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht nahm, schien die Linke am Ende. Die Landtagswahlen im Osten zementierten diesen Eindruck: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg verlor die Partei massiv Stimmen an das BSW, das in allen drei Bundesländern aus dem Stand vor der Linken lag – selbst in Thüringen, wo die Linke bis dahin mit Ramelow den Ministerpräsidenten gestellt hatte.

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#2 Sahra Wagenknecht über den Bruch mit der Linken

Meine schwerste Entscheidung

Im Nachhinein sei Wagenknechts Abgang aber eine Chance, glaubt Politikwissenschaftler Gero Neugebauer: „Nach dem Ausstieg von Sahra Wagenknecht wird das Bild der Partei nicht mehr von Auseinandersetzungen zwischen ihren Getreuen und ihren Gegnern, auch repräsentiert durch die ‚Silberlocken‘, geprägt.“ Stattdessen besinne sich die Linke darauf, ihren alten Status als Kümmerpartei zu restaurieren.

Der Fall der Brandmauer befeuerte die Linke

Neugebauer sieht dabei die neuen Parteivorsitzenden als wichtigen Faktor: „Jan van Aken und Ines Schwerdtner sind nicht durch die vorherigen Auseinandersetzungen in der Parteiführung belastet und symbolisieren das Ende der innerparteilichen Kämpfe.“ Die beiden besetzen erst seit Oktober die Parteispitze und mussten sich sofort darum kümmern, die Partei für den Wahlkampf aufzustellen.

Die Linke Launches Election Campaign As Party Lies Low In Polls
Ines Schwerdtner ist gemeinsam mit Jan van Aken Parteivorsitzende der Linken. © Getty Images | Christian Mang

Mit dem Bruch der Ampel ging es dann laut Neugebauer langsam wieder bergauf für die Linke. Die Brandmauerdiskussion, also die von Friedrich Merz initiierte gemeinsame Abstimmung von CDU/CSU, FDP und AfD über einen Fünf-Punkte-Plan zur Migration, sorgten für ein Momentum. „Sie war der Moment, der ihren rasanten Aufschwung beschleunigt hat, weil dadurch ihr Selbstverständnis als Partei, die gegen den Rechtsextremismus kämpft, gestärkt wurde“, erklärt Neugebauer.

„Die Linke zeigt, dass nicht nur rechte Parteien auf Social-Media-Plattformen erfolgreich sind.“

Dennis Steffan
Wahlkampfforscher

Es war auch der Moment, an dem Heidi Reichinnek, gemeinsam mit van Aken Spitzenkandidatin der Linken, ihren großen Auftritt hatte. Ihre „Brandmauerrede“, die sie im Bundestag hielt, ging in den sozialen Medien viral. Dort fühlen sich Reichinnek und ihre Partei besonders wohl. „Die Linke zeigt, dass nicht nur rechte Parteien auf Social-Media-Plattformen erfolgreich sind“, so Dennis Steffan, Wahlkampfforscher an der Freien Universität Berlin.

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Die Erfolgsfaktoren der Linken im Wahlkampf

„Reichinnek versteht die Logik von Social-Media-Plattformen, insbesondere von TikTok. Sie arbeitet mit Humor, Musik, schnellen Schnitten, Einspielern und Attacken auf politische Gegner“, erklärt Steffan. Aber auch die „Silberlocken“ setzen laut Steffan auf die sozialen Medien: „Sie bedienen sich Social Media und wollen damit jüngeren Menschen zeigen, dass nicht alle alten weißen Männer ‚weird‘ sein müssen.“ Mit Erfolg.

Die eindeutige Abgrenzung nach rechts ist für Steffan ein weiterer Faktor für das Wiederaufleben der Linken. „Die Partei und ihre Spitzenkandidaten zeigen klare Kante gegen die AfD und profitieren damit von der Polarisierung in der Gesellschaft.“ Sie müsse, im Gegensatz zu SPD und Grüne, keine Kompromisse eingehen. Dieser Redaktion sagt Spitzenkandidat van Aken: „Wir sind die konsequenteste Kraft gegen Rechts.“

Dazu kommen Angebote an die Wähler wie eine Mietberatung und einen Heizkostencheck. Die Abgrenzung vom BSW, das inzwischen schwächelt, gelingt laut Neugebauer aber durch andere Themen: „Die Linke hat den Ukraine-Krieg als völkerrechtswidrigen Angriff benannt, will ihn aber durch Diplomatie beenden.“ Das komme gerade bei der jüngeren Bevölkerung gut an, die Frieden wolle, aber nicht durch eine Unterwerfung der Ukraine.

Wie geht es für die Linke weiter?

Und tatsächlich strömen die Menschen in die Partei. Vorläufige Zahlen, die dieser Redaktion exklusiv vorliegen, zeigen einen enormen Mitgliederanstieg vom 1. Januar bis zum 18. Februar. Alleine in Nordrhein-Westfalen sollen in dieser Zeit 7000 Menschen in die Partei eingetreten sein, der Landesverband hat sich damit fast verdoppelt. Insgesamt stieg die Mitgliederzahl von rund 57.000 am 31. Dezember 2024 auf etwa 91.000 am 18. Februar 2025. „Ich freue mich riesig darüber, dass jetzt viele Menschen, die sich politisch organisieren wollen, bei der Linken eine neue politische Heimat finden“, sagt van Aken. „Wir merken, dass wir gerade sehr attraktiv sind, weil sehr klar ist, wofür wir stehen und für wen wir kämpfen.“

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Kann die neue Strategie über die Bundestagswahl hinaus funktionieren? „Wie gut die Linke sich während der kommenden Legislaturperiode platzieren kann, hängt auch von der Koalitionsbildung ab“, erklärt Steffan. „Wenn SPD und Grüne erneut in Regierungsverantwortung kommen, kann die Linke sich leichter von ihnen abgrenzen und als Partei für linke, sozialistische, antifaschistische Werte darstellen.“ Bis dahin dürften sich die „Silberlocken“ und Co. erst einmal an ihrer neu gewonnen Beliebtheit erfreuen.