Oldenburg. Isa Nowak pflegt ihre Tochter – eine lebenslange Aufgabe. Von der Politik fühlt sie sich alleingelassen. Jetzt stellt sie klare Forderungen.
Für Isa Nowak beginnen 48 Stunden nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Midi (Name geändert) die schlimmsten Minuten ihres Lebens: Das Neugeborene hat aufgehört zu atmen. Vier Wochen zu früh kam das Kind. „Ich habe sie gesehen und wusste sofort: Sie ist behindert.“ Doch die Ärzte sahen keinen Grund zur Sorge – auch nach dem Atemstillstand nicht. Das Kind wurde schnell behandelt, kam einige Tage auf die Intensivstation. Fazit der Ärzte: Anpassungsstörung.
Und so wurde die Familie nach Hause geschickt. „Ich hatte ganz große Angst, dass meine Tochter stirbt“, erzählt die 36-jährige Sonderpädagogin. Denn Midi atmete nach wie vor nicht richtig. Immer wieder drohte sie zu ersticken.
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Pflegende Angehörige: Eltern von der Politik kaum beachtet
Es war ein langer Weg, bis die Nowaks endlich wussten, wie sie ihre Tochter richtig fördern und versorgen. Immer wieder musste Midi mit schweren Lungenentzündungen ins Krankenhaus, doch erst einige Monate nach der Geburt im Mai 2017 schlug die Kinderärztin eine genetische Untersuchung vor.
Dafür braucht es aber eine Genehmigung der Krankenkasse. Und so erfuhr die Familie erstmals, wie das ist, mit Kostenträgern zu verhandeln: „Wir haben erst irgendwas in den Antrag geschrieben, der wurde natürlich abgelehnt.“ Der zweite Antrag ging dank Hilfe der Kinderärztin durch. Und tatsächlich: Bei der damals vier Monate alten Midi wurde ein „sehr, sehr seltener Gendefekt“ festgestellt. Welchen genau, möchte Nowak nicht sagen. Er soll aber nur fünfmal dokumentiert sein – weltweit.
Mit der Diagnose war klar: Midi benötigt ihr Leben lang Pflege. Laut Kinderpflege-Studie 2023 werden fast alle pflegebedürftigen Kinder zu Hause von ihren Eltern versorgt. Wie herausfordernd das ist, zeigt auch der Fall von Isa Nowak: Im Dezember 2017 brach sie zusammen. In den Monaten zuvor habe sie nie länger als zwei Stunden am Stück geschlafen, ihrer Tochter ging es immer schlechter.
Wieder ging es also ins Krankenhaus, und das erste Mal gab es Unterstützung vom sozialpsychiatrischen Dienst: „Die helfen zum Beispiel, einen Pflegegrad oder einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen.“ Eine richtig gute Einrichtung sei das. „Aber wir wussten vorher nichts davon.“ Hier sieht Nowak klaren Nachbesserungsbedarf: Hilfsangebote müssen sichtbarer, Zuständigkeiten klar geregelt sein.
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Das untermauert auch die Kinderpflege-Studie: rund 62 Prozent der pflegenden Eltern fühlen sich über Hilfsangebote schlecht informiert. Demnach können selbst Kinderärzte oft nicht weiterhelfen. Isa Nowak wünscht sich eine zentrale Beratungsstelle, in der pflegenden Eltern zum Beispiel bei Krankenkassenanträgen und Pflegegeld geholfen wird.
Pflegende Eltern brauchen frühe Aufklärung
Nach der Beratung durch den sozialpsychiatrischen Dienst bekamen die Nowaks zunächst eine 24-Stunden-Pflege. Die erwartete Entlastung blieb aber aus. Immer wieder mussten sie aufgrund des Fachkräftemangels neuen Menschen die Pflege ihrer Tochter erklären. Schnell war klar: Dieses Modell ist nicht das richtige.
„Wir sind dann ins Persönliche Budget gewechselt.“ Das ist eine Alternative zum 24/7-Pflegedienst, bringt aber viel Bürokratie mit sich. Am Ende hat die Familie Geld von der Krankenkasse zur Verfügung bekommen und konnte das Pflegepersonal für Midi je nach Bedarf selbst einstellen.
Neben Bürokratie sind auch Finanzen für pflegende Eltern ein großes Thema. Mindestens ein Elternteil kann nicht mehr Vollzeit arbeiten. Isa Nowak und ihr Mann wechseln sich mit Teilzeit ab, doch nicht jeder Arbeitgeber ist so flexibel. Dazu kommt: Ist das pflegebedürftige Kind länger als 28 Tage im Krankenhaus, wird das Pflegegeld ausgesetzt. Das gibt es erst dann wieder, wenn das Kind zu Hause ist. „Das ist nicht fair“, findet Nowak.
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330.000 pflegebedürftige Kinder gibt es in Deutschland
Auch deswegen entwickelt sie gerade mit ihrem Unternehmen „PLiX“ eine digitale Plattform. Ziel ist, Pflegemanagement und Kommunikation mit Ansprechpartnern zu erleichtern – „und Zeit für schöne Momente zu schaffen“. Zusätzlich engagiert sich Nowak im Verein „Wir pflegen“. Er setzt sich für pflegende Angehörige ein und hat vor der Bundestagswahl klare Forderungen an die Politik gestellt. Eine ist, nicht wie bisher nur an pflegebedürftige Erwachsene zu denken, sondern auch an die Kinder. „Politiker denken, wir sind ein Einzelfall. Aber das sind wir nicht.“
Tatsächlich gibt es rund 330.000 pflegebedürftige Kinder in Deutschland, so die Auskunft des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Mehr als die Hälfte habe eine anerkannte Schwerbehinderung. Isa Nowak: „Das haben viele nicht auf dem Schirm.“
Bundestagswahl 2025: Pflegende Eltern kommen in Wahlprogrammen nicht vor
Einen ersten Erfolg gab es immerhin: Zum 1. Januar 2024 trat das Pflege- und Entlastungsgesetz in Kraft. „Erstmalig wurden pflegebedürftige Kinder politisch mitgedacht.“ Im letzten Jahr konnten die Nowaks somit schon mehr Entlastungsleistungen aus der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen. Ein gutes Gefühl sei das, endlich gesehen zu werden. Jetzt müsse die Politik aber auch andere Forderungen umsetzen.

Doch ein Blick in die Wahlprogramme zur Bundestagswahl zeige: „Der große Wurf fehlt bei allen Parteien.“ Gerade der Abbau von Bürokratie und finanzielle Sicherheit – zum Beispiel durch die durchgehende Zahlung des Pflegegelds – seien aber dringend nötig.
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Was Isa Nowak trotz des ganzen Aufwands klarstellen will: Sie liebt ihr Leben, genau so, wie es ist. Sie will kein Mitleid – aber Mitgefühl. Und zwar auch von der Politik.