Berlin. Vor dem Aufeinandertreffen von Scholz und Merz erklärt ein Medientrainer, wo die Angriffspunkte der beiden Kontrahenten liegen.

Seit 2000 arbeitet Volker Siegert vom Bundesverband für Medientraining in Deutschland (BMTD) als Kommunikationsberater und hat in dieser Rolle schon viele TV-Duelle vor Wahlen begleitet und beobachtet. Vor dem ersten direkten Aufeinandertreffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Herausforderer Friedrich Merz (CDU) spricht er über fehlende Narrative, Angriffspunkte der beiden Kandidaten und die zuletzt hitzige Debattenkultur. Weder er noch ein Mitglied seines Teams ist dieses Jahr direkt involviert.

Herr Siegert, nehmen Sie uns mit hinter die Kulissen. Was ist in den letzten Tagen rund um die Kanzlerkandidaten passiert? Wie läuft so eine Vorbereitung auf ein TV-Duell ab?

Volker Siegert: Hinter jedem Kandidaten steht ein Team von einer mindestens zweistelligen Personenanzahl, die sich verschiedene Bereiche aufteilen. Wichtig ist natürlich die Konkurrenzbeobachtung: Was macht der jeweils Andere gerade? Wo bietet sich eine Möglichkeit, ihn anzugreifen? Gleichzeitig muss man aber auch tagesaktuell seine eigene Botschaft nachschärfen.

Wie funktioniert das?

Siegert: Beide sind ja aktuell im Wahlkampf unterwegs und erproben dabei auf den lokalen Veranstaltungen, welche Botschaften verfangen, welche gut ankommen. Das Besondere an diesem Wahlkampf ist die Kürze, da bleibt wenig Zeit zum Nachjustieren. Und ich vermisse bei beiden noch das prägende Narrativ. Olaf Scholz war 2021 mit der Überschrift „Respekt“ unterwegs, Angela Merkel hat 2013 im TV-Duell ihr berühmtes „Sie kennen mich“ formuliert. Das sind Dinge, an die sich jeder erinnert. Das geht in den Schulbüchern zurück bis hin zu Konrad Adenauer und „Keine Experimente!“ Dieses Jahr haben beide so etwas noch nicht liefern können. Und wenn es am Sonntag nicht kommt, wird es auch langsam knapp.

Medientrainer Volker Siegert
Medientrainer Volker Siegert wird das erste TV-Duell zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Herausforderer Friedrich Merz (CDU) am Sonntag aus professioneller Perspektive betrachten. © privat | Sascha Hoecker

Welche Relevanz hat ein TV-Duell heutzutage noch? Das Mediennutzungsverhalten der Leute hat sich verändert, hin zu kürzeren, schnelleren Formaten.

Siegert: Das Duell ist aber nach wie vor der Klassiker zur Kampagnenvermittlung. Es hat eine ganz zentrale Bedeutung, weil es das erste direkte Aufeinandertreffen ist. Und dann ist es ja auch längst nicht mehr ein singuläres Ereignis im TV. In der Mediathek kann es jederzeit nachgeschaut werden und die sozialen Medien werden ganz entscheidend sein.

Inwiefern?

Siegert: Beide Teams werden ihre Kanäle im Nachgang sofort bespielen. Direkt um 21.45 Uhr, mit dem Ende der Übertragung, beginnt der Kampf um die Deutungshoheit. Das ist wie nach einem Boxkampf, wo beide Kämpfer durch den Ring laufen und die Arme hochreißen. Mit Clips vom Eingangs- oder Schlussstatement und immer wieder zwischendurch eingestreuten 15 Sekunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass kleine Reaktionen oder ähnliches bewusst vorher trainiert und dann von den Kandidaten eingebracht werden, sobald sich die Chance ergibt. Es ist mindestens so wichtig wie das Duell selbst, mit kleinen Snippets die Nachbetrachtung zu gewinnen. Außerdem erreichen die Parteien über die sozialen Medien eine jüngere Altersgruppe, die sich nicht das gesamte Duell im TV anschaut.

Wie viel können die Kandidaten im Duell durch Vorbereitung beeinflussen und was geschieht spontan?

Siegert: Beide kennen sich gut. Ich denke, dass ungefähr 90 Prozent dessen, was da ausgetauscht wird, vorher bekannt ist. Die wirklich spannenden Dinge sind die übrigen zehn Prozent. Gelingt es mir, einen inhaltlichen Punkt zu platzieren, den der Andere in der Vorbereitung übersehen hat? Kann ich etwas sagen, womit der Andere an diesem Abend nicht rechnet? Das sind die großen Herausforderungen im Vorfeld, solche Punkte zu identifizieren.

Wie wichtig sind menschliche Faktoren, wie zum Beispiel Körpersprache, im Vergleich zu fachlichen Inhalten?

Siegert: Enorm. Dafür findet das Duell im TV statt. Wenn es nur um Inhalte ginge, könnte der Wähler ja auch einfach das Wahlprogramm lesen. Es ist aber ganz entscheidend, glaubwürdig zu sein, in dem man das Gesagte auch verkörpert. Wenn mein wichtigster Satz kommt und ich gucke dabei nach unten, verpufft alles. Das gilt auch für die Stimmlage: Scholz spricht sehr gleichmäßig und wirkt häufig unemotional. Merz hat ein größeres Temperament, was sich in der Art und Weise niederschlägt, wie er spricht. Es ist bekannt, dass er manchmal impulsiv sein kann. Wenn die Kandidaten aber von ihren typischen Verhaltensweisen abweichen, kann das auch eine Botschaft sein.

194657_1325_194657_cover.jpg

#7 Daniel Günther über guten Stil in der Politik - und Markus Söder

Meine schwerste Entscheidung

Was ist konkret vom Duell am Sonntag zu erwarten, worauf kommt es an?

Siegert: Ich bin mir sicher, dass es intensiv und heftig wird. Beide müssen eigentlich auf Angriff spielen, weil beide eine enorme Bürde mit ins Duell bringen. Merz hat gerade gezeigt, dass er einen strategisch nicht so klugen Zug getan hat und wird sich mit dem Vorwurf des Wortbruchs auseinandersetzen müssen. Scholz steht da als gescheiterter Kanzler und liegt in den Umfragen weit zurück. Da ist es wichtig, dass man sich nicht zu sehr vom Anderen auf dessen Thema ziehen lässt. Man muss die eigenen Kompetenzfelder herausstellen und einen positiven Ton finden.

Die jüngsten Bundestagsdebatten waren eher hitzig und aggressiv.

Siegert: Ich glaube, dass die Menschen genau davon genervt sind. Immer werfen die Politiker den Anderen vor, was sie für einen Mist bauen. Ich denke, auch das Duell am Sonntag wird nicht frei sein von persönlichen Spitzen. Aber wenn die beiden es schaffen, in einer angemessenen Diskussionskultur zu bleiben, kann es ein gutes Zeichen für die Demokratie sein. Dass man kontrovers und heftig in der Sache diskutieren kann, ohne Unwahrheiten und Diffamierungen zu verbreiten. Wenn das gelingt, ist das eine ganz grandiose Chance für die Debattenkultur.