Paris/Kiew/Moskau/Rom/London/Ankara. Wen wünscht sich Macron? Was befürchtet die ukrainische Regierung? Wem ist alles egal? So schauen andere Länder auf die Bundestagswahl.
Selten war eine Abstimmung so spannend, selten war die Debatte so hitzig. Wie geht es weiter mit Deutschland nach der Bundestagswahl am 23. Februar? Wohin steuert das Land? Wer kommt ans Ruder? Heißt der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz? Wie stark wird die AfD? Welches Ergebnis, welche Koalitionen fürchten die Regierungen in Paris, Rom, Moskau, Kiew, London und Ankara? Ein Überblick.
Frankreich: Zwei Albtraumszenarien
Der blanke Horror wäre es für Frankreich, wenn AfD-Kandidatin Alice Weidel die Wahlen gewinnen und ins Kanzleramt einziehen würde. Präsident Emmanuel Macron wüsste schlicht nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Die sakrosankte deutsch-französische Beziehung aufgeben und die Regierung in Berlin boykottieren? Oder mit der in Frankreich weitgehend unbekannten Kanzlerin Weidel ein Auskommen suchen? Beides wären für Paris Albtraumszenarien. Kaum denkbar wäre für Macron aber auch die Kooperation mit einer CDU-Regierung, in der die AfD Juniorpartnerin oder auch nur Stürze von außen wäre. Denn der Einsturz der Brandmauer in Berlin würde auch das Pariser Bollwerk gegen Marine Le Pen gefährden. Beide Varianten sind aber nahezu ausgeschlossen, weil derzeit niemand mit der AfD koalieren würde.
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Ukraine: Sorge vor einer Annäherung der Union an die AfD
In unsicheren Zeiten etwa durch US-Präsident Trump hofft die Ukraine auf grundsätzliche Sicherheit der enorm wichtigen deutschen Unterstützung. Deshalb wäre jegliche Regierungsbeteiligung der AfD, des BSW sowie der Linken eine äußerst schlechte Nachricht für Kiew. Auf Expertenebene macht man sich in der Ukraine längerfristige Sorgen über eine mögliche Annäherung der CDU/CSU an die AfD. Denn auf dem Papier scheint die CDU die Partei neben den Grünen zu sein, die Kiew am meisten unterstützen möchte.
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Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl wird die Ukraine mit der recht wahrscheinlichen Großen Koalition, angeführt von Friedrich Merz, leben können. Längerfristig existiert aber auch die Befürchtung, dass eine Neuauflage der GroKo russlandfreundliche radikal rechte und linke Parteien stärker macht.
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Russland: Putin scheint der Ausgang der Wahlen ziemlich egal zu sein
Wen fürchtet Russlands Präsident Wladimir Putin mehr als künftigen Bundeskanzler? Merz oder Scholz? Die Antwort: Keinen von beiden. Offiziell scheint dem Kreml der Ausgang der Bundestagswahl ziemlich egal zu sein. Zumindest kommentiert man den Wahlkampf in Deutschland nicht. Mit einer Ausnahme: Außenminister Sergej Lawrow lobt – wenig überraschend – die AfD. In der russischen Presse wird vor allem Friedrich Merz kritisch wahrgenommen. Er habe sich „wiederholt für den Transfer von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine ausgesprochen“, so etwa die Zeitung „Kommersant“. Merz müsse aber in eine Koalition, „was die künftige Regierung zu neuen Streitereien verurteilt“, vermutet die Zeitung.
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Italien: Meloni tut sich schwer mit den Positionen von SPD und Grünen
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihre Regierungspartei, Fratelli d‘Italia, vertreten rechtspopulistische und nationalistische Positionen. Am schwersten tut sich Meloni mit progressiven und sozialdemokratischen Positionen, wie sie von den Grünen oder der SPD vertreten werden. In Bezug auf die deutsche Politik und die Bundestagswahl zeigt Meloni keine Sympathien für Kandidaten und Parteien, die die europäische Integration und multikulturelle Gesellschaften forcieren – oder die für eine offene Flüchtlingspolitik stehen.
Meloni hat das Recht von Tech-Milliardär Elon Musk auf freie Meinungsäußerung verteidigt, als dieser die AfD-Vorsitzende Alice Weidel zu einer Diskussion über seine X-Plattform einlud, sie hat aber bisher keine deutsche Partei aktiv unterstützt. Der andere große Koalitionspartner in Melonis Regierung, die Lega um Matteo Salvini, hat in der Vergangenheit Unterstützung für die AfD bekundet.
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Großbritannien: Eine starke AfD wäre dem Premier eine Warnung
Der britische Premier Keir Starmer wird Olaf Scholz vermissen, sollte er in einigen Wochen als Bundeskanzler abtreten. Als Vorsitzende von sozialdemokratischen Parteien haben die beiden viele Gemeinsamkeiten. Einst diente Scholz‘ SPD der Labour-Partei sogar als Vorbild. Umso nervöser ist man in Labour-Kreisen jetzt angesichts des steilen Niedergangs der SPD – und des Vormarsches der AfD. Wenn die extrem Rechten am 23. Februar gut abschneiden, wäre das eine Warnung an Großbritannien, wo mit Nigel Farages Reform UK ebenfalls eine Rechtsaußen-Partei Furore macht und den großen Parteien zunehmend zur Konkurrenz wird. Auch würde eine Rechtsregierung mit Beteiligung der EU-feindlichen AfD in Berlin eine Annäherung zwischen Großbritannien und der EU erschweren.
Türkei: Erdogan sieht den Wahlen gelassen entgegen
Keiner kann die Gedanken von Recep Tayyip Erdogan lesen, aber der türkische Präsident sieht den Wahlen in Deutschland vermutlich sehr gelassen entgegen. Schon 22 Jahre führt Erdogan die Türkei. Gerhard Schröder, Angela Merkel und Olaf Scholz hat er kommen und gehen sehen. Viel wird sich nicht ändern. Die Konstanten sind gesetzt. Dazu gehört vor allem das Thema Migration, bei dem Erdogan sich am längeren Hebel sieht. Bei der Begrenzung der Zuwanderung ist Deutschland ebenso auf die Türkei angewiesen wie bei Rückführungen.
Erdogan wird sich eine Zusammenarbeit möglichst teuer abkaufen lassen. Dabei geht es ebenso um Finanzhilfen wie auch um Zugeständnisse der EU. Und bei Themen wie Menschenrechte und Meinungsfreiheit, seiner Kumpanei mit Kremlchef Putin und seiner Nähe zur Terrororganisation Hamas wird sich Erdogan auch vom nächsten Kanzler nicht reinreden lassen.