Berlin. Große Teile der Welt schauen anders auf Donald Trump als die Europäer. Wissenschaftler ziehen einen Vergleich zum modernen Liebesleben.
Der Gedanke an die zweite Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident treibt vielen Europäern schon jetzt den Angstschweiß auf die Stirn. Kein Tag, an dem Politiker in Deutschland und der EU nicht über die bevorstehenden Risiken debattieren. Umso überraschender für viele EU-Bürger ist diese Nachricht kurz vor Trumps Inauguration am Montag: Mit den Sorgen wegen Trump steht Europa weitgehend allein da. In großen Teilen der Welt wird die zweite Amtszeit des US-Präsidenten als gut angesehen.
Von Indien und China über die Türkei bis Brasilien sind die Menschen überwiegend oder mehrheitlich der Meinung, dass Trumps Rückkehr eine „gute Sache“ für den Frieden in der Welt, für ihr Land und für das amerikanische Volk sei. Das ist das Ergebnis einer großen internationalen Umfrage. Befragt wurden für das European Council on Foreign Relations (ECFR), einer außenpolitischen Denkfabrik mit Hauptsitz in Berlin, und die Universität Oxford rund 30.000 Menschen in 24 Ländern, auch in Deutschland. Die Daten ausgewertet haben drei renommierte europäische Wissenschaftler, der preisgekrönte britische Historiker Timothy Garton Ash, der bulgarische Politologe Ivan Krastev und ECFR-Direktor Mark Leonhard.
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Umfrage zu Trump: 84 Prozent der Inder sehen ihn als gut für ihr Land an
Die Daten zeichnen ein klares Bild: Auf die Frage, ob die Wahl von Trump gut oder schlecht für ihr Land, entscheiden sich in Indien 84 Prozent der Befragten für die Perspektive „gut“. In Saudi-Arabien sind es 61 Prozent, in Russland antworten 49 Prozent mit gut und acht mit schlecht, in Brasilien ist das Verhältnis 43 zu 25, in der Türkei 35 zu 30. Und selbst in der Ukraine haben 26 Prozent positive Erwartungen für ihr Land gegenüber 20 Prozent mit negativer Einschätzung – der Rest ist unentschieden. In der EU aber schätzen nur 22 Prozent Trump als gut für ihr Land ein, 38 Prozent antworten mit „schlecht“.
Noch negativer ist die Einschätzung in Großbritannien – und in Südkorea, wo man sich große Sorgen macht, Trump könne den Schutzschirm gegen einen Angriff Nordkoreas wegziehen. Es sind also vor allem die engen Verbündeten, die wegen ihrer Abhängigkeit von den USA besorgt sind – während die Bürger in vielen anderen Regionen den Eindruck haben, mit Trump könne man sich zum eigenen Vorteil arrangieren. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei anderen Fragen, etwa der, ob Trumps Rückkehr gut für den Frieden in der Welt sei. In Indien bejahen das acht von zehn Befragten, in Saudi-Arabien sechs von zehn, jeder zweite in China.
Selbst in Russland halten 45 Prozent Trumps Präsidentschaft für gut für den Frieden in der Welt, nur zehn Prozent für schlecht. In Südafrika, der Türkei und Brasilien liegt das Verhältnis bei etwa 40 Prozent positiv zu rund 30 Prozent negativ. Nur in Europa und in Südkorea überwiegen wiederum die negativen Einschätzungen: In der EU halten lediglich 29 Prozent der Befragten Trumps Präsidentschaft für gut für den Frieden in der Welt, 40 Prozent für schlecht.
Trump als Friedensstifter – diese Einschätzung teilen offenbar viele
Studienautor Krastev sagt: „Europa steht mit seiner Angst vor Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ziemlich allein da. Während viele Europäer den designierten Präsidenten als Störenfried betrachten, sehen andere in der Welt in ihm einen Friedensstifter. Mit dieser Position befindet sich Europa in seinen Beziehungen zur neuen amerikanischen Regierung an einem Scheideweg“. Die Studienautoren warnen, durch den Pessimismus der Europäer drohe eine weitere Schwächung des geopolitischen Westens – in einer offenen Opposition gegen die neue US-Regierung würden es die Europäer schwer haben, zu innerer Einheit oder globaler Stärke zu finden.
Die Wissenschaftler glauben, es dürfte für Regierungen in Europa schwierig werden, interne Einigkeit zu schaffen oder internationale Verbündete zu finden, sollten sie einen weltweiten liberalen Widerstand gegen den US-Präsidenten anstreben. In den vergangenen zwei Jahren, in denen die USA bei der Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff an einem Strang mit Europa zog, habe man noch von einem „geeinten Westen“ in der Außenpolitik sprechen können. Doch mit Trumps Rückkehr gebe es nicht nur zwischen den USA und Europa sowie anderen wichtigen Verbündeten wie Südkorea tiefe Gräben, sondern auch innerhalb der EU selbst.
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Wissenschaftler: Viele Staaten haben heute „polyamore Beziehungen“
Die Studie spricht von der Entstehung einer „Welt à la carte“, in der Groß- und Mittelmächte Partner auf Geschäftsbasis suchen, um ihre eigenen nationalen Interessen zu verfolgen. Die Autoren illustrieren das mit einem Vergleich aus dem Liebesleben: „Die monogamen Ehen aus der Zeit des Kalten Krieges sind heute Geschichte, die Mittelmächte haben polyamore Beziehungen angenommen, bei denen sie für unterschiedliche Themen unterschiedliche Partner bevorzugen.“ So zeigten viele Länder eine bemerkenswert starke Akzeptanz Russlands als Verbündeten oder Partner. In vielen nichtwestlichen Ländern erwarte eine Mehrheit, dass Russlands globaler Einfluss noch wachsen wird.
Der Rat der Wissenschaftler an die EU: Statt sich als moralischer Schiedsrichter über das Verhalten aller anderen aufzuspielen, solle Europa seine innenpolitische Stärke ausbauen und neue bilaterale Partnerschaften anstreben, um seine eigenen Werte und Interessen zu verteidigen. ECFR-Direktor Mark Leonhard sagt: „Auch wenn viele Europäer bei der Aussicht auf Trump im Weißen Haus außer sich geraten, glaubt der Rest der Welt, dass seine Präsidentschaft gut für die USA, die Welt und den Frieden in der Ukraine und im Nahen Osten sein wird.“ Anstatt zu versuchen, einen globalen Widerstand gegen Trump anzuführen, sollten die Europäer die Verantwortung für ihre eigenen Interessen übernehmen – und Wege finden, neue Beziehungen in einer zunehmend transaktionalen Welt aufzubauen.
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