Düsseldorf. „Die reden immer nur und tun nichts“, lautet ein Vorwurf nach der Todesfahrt von Magdeburg. Hier sind die Fakten.

Unter dem Eindruck der Todesfahrt von Magdeburg mit fünf Todesopfern und mehr als 200 Verletzten bricht sich in sozialen Netzwerken Empörung Bahn über die vermeintliche Tatenlosigkeit der Politik. Der Vorwurf, dass nach Terror-Anschlägen mitfühlenden Worten keine Maßnahmen folgen, führt allerdings in die Irre. Sowohl in NRW als auch im Bund geschieht in dieser Hinsicht einiges. Die Frage, ob es genug ist, bleibt offen.

Was der Bund unternimmt

Nach dem Messer-Attentat von Solingen mit drei Todesopfern wurde ein „Sicherheitspaket“ geschnürt. Das „Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ beinhaltet ein Messerverbot unter anderem auf Volksfesten, Märkten und im Nahverkehr sowie Regelverschärfungen für Asylbewerberinnen und -bewerber. Geflüchtete, für deren Asylverfahren ein anderes Land zuständig ist, sollen bis zu ihrer Ausreise in dieses Land keine Leistungen mehr bekommen. Wer in Deutschland einen Schutzstatus hat, aber ohne zwingenden Grund in sein Herkunftsland reist, soll seinen Schutz verlieren.

Abgelehnt hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Terrorbekämpfung. Staatsanwaltschaften, BKA und Bundespolizei sollen öffentlich zugängliche Daten aus dem Internet biometrisch mit Daten von Verdächtigen abgleichen können. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) soll intensiviert werden.

Die Maßnahmen in NRW

Nach dem Attentat von Solingen hat sich Schwarz-Grün laut Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf das „größte Sicherheitspaket der Landesgeschichte“ geeinigt. Dazu gehört der Einsatz von „virtuellen Ermittlern“, die in den Tiefen des Internets auf Streife gehen sowie das Nutzen von künstlicher Intelligenz beim Aufspüren gefährlicher Online-Beträge in „seltenen Sprachen“. Die NRW-Behörden sollen verstärkt Gesichtserkennungssoftware nutzen, und der Verfassungsschutz bekommt 2025 Rechte zur Überwachung von komplex verschlüsselten Messenger-Diensten, die Bundesbehörden schon haben. Der Verfassungsschutz wird die Daten von 14-Jährigen speichern und nutzen können. Bisher liegt die Altersgrenze bei 16 Jahren.

NRW hat der inneren Sicherheit zuletzt große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Zahl der Kommissaranwärterinnen und -anwärter wurde schrittweise erhöht auf zuletzt 3000 im Jahr. 2018 wurde das Polizeigesetz überarbeitet. Gefährder können seitdem bei Terrorverdacht 14 Tage und nicht mehr nur bis zum Folgetag festgehalten werden, wenn ein Richter dies erlaubt.  Ausgeweitet wurden auch die Möglichkeiten der Polizei bei der Überwachung von Massenger-Diensten sowie die Videoüberwachung. Mit der „strategischen Fahndung“ darf die Polizei ohne konkreten Verdacht Menschen kontrollieren. Einen Anlass muss es dafür aber geben, zum Beispiel eine Terrorgefahr.

Frühe Hinweise zum Täter von Magdeburg

Der Täter des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt war spätestens Anfang 2015 auch den zuständigen Bundesbehörden als potenziell Verdächtiger bekannt. Wie das Innenministerium in Schwerin auf Anfrage mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes.

Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden. (dpa)

Streit über die Vorratsdatenspeicherung

Nach Einschätzung der NRW-Landesregierung und der Polizeigewerkschaften geschieht an dieser Stelle viel zu wenig. Das Land fordert den Bund auf, die Möglichkeiten zur Speicherung von Verkehrsdaten bei Telekommunikationsunternehmen zu erweitern. Über die Verkehrsdaten ist zum Beispiel zu erkennen, wer mit wem telefoniert, SMS oder E-Mails austauscht. 

Polizei-Kontrolle mit künstlicher Intelligenz

Um die Sicherheit an gefährlichen Orten zu verbessern, experimentiert die Polizei mit Überwachungstechnologien, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten, auch in NRW. In Mönchengladbach läuft zum Beispiel ein Testprogramm, das im und am Hauptbahnhof automatisch vor gefährlichen Situationen warnen soll, allerdings ohne Gesichtserkennung.

Die Möglichkeiten der Gesichtserkennung sind groß. Allerdings schränkt das Recht sie bisher stark ein.
Die Möglichkeiten der Gesichtserkennung sind groß. Allerdings schränkt das Recht sie bisher stark ein. © dpa | Sven Hoppe

Die EU verbietet mit ihrem Gesetz über den Einsatz künstlicher Intelligenz die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Sollte sich diese Rechtslage einmal ändern, stünden der Polizei heute schon KI-gestützte Werkzeuge zur Verfügung, mit denen eine sehr weitgehende Kontrolle von Straßen und Plätzen möglich wäre. Polizistinnen und Polizisten trainieren und experimentieren schon längst mit einem Dutzend Programmen, die einer Science-Fiction-Erzählung entstammen könnten. Sie heißen zum Beispiel „X-Ways Forensics“ und „Digivod Investigator“. 

Zwänge für die deutschen Geheimdienste

Immer wieder werden deutsche Behörden von „ausländischen Nachrichtendiensten“ – gemeint sind meist US-amerikanische – über Terrorgefahren informiert, zum Beispiel im Herbst über den Anschlagsplan auf die israelische Botschaft in Berlin. Den deutschen Geheimdiensten setzen die Grundrechte von Bürgern enge Grenzen. Auch die bürokratischen Hürden sind hoch, die Kontrolle durch Richter streng. Es geht hier zum Beispiel um die Speicherung von Verkehrsdaten und die Online-Durchsuchung von Chatgruppen.

Chancen und Grenzen von Messerverbotszonen

Waffenverbote im öffentlichen Raum gelten in NRW zum Teil dauerhaft (in der Düsseldorfer Altstadt, in Teilen Kölns und auf einer Straße in Hamm). Die Bundespolizei hat in der Vorweihnachtszeit 26 Bahnhöfe in NRW zu Waffenverbotszonen gemacht. Allerdings beklagen Bundespolizisten, dass sie wegen der Ablehnung des Sicherheitspaketes im Bund durch unionsgeführte Länder immer noch kein Recht hätten, Menschen in Bahnhöfen anlasslos auf Waffen zu kontrollieren. Die Landespolizei hat dagegen diese Möglichkeit im Rahnen der „strategischen Fahndung“.

Messer-Verbot
Von der Polizei sichergestellte Messer. © DPA Images | Malte Christians

Das Verbot, Messer und andere gefährliche Gegenstände mitzuführen, gilt auch auf den Weihnachtsmärkten in NRW. Aber die Wirkung solcher Maßnahmen ist umstritten, und manchmal werden sie sogar von Veranstaltern unterlaufen: Eine Duisburgerin berichtete zum Beispiel von einem Messerverkaufsstand direkt neben dem Glühweinstand auf einem Weihnachtsmarkt in Grefrath. Hier hätten Kundinnen und Kunden Messer aller Klingenlängen in die Hand nehmen und natürlich auch erwerben dürfen.

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