Berlin. In der Vorweihnachtszeit gibt es immer wieder Drohungen, meist von Islamisten. Was die Einschätzung der Behörden bedeutet.

  • Am 19. Dezember 2016 raste der Islamist Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz
  • 13 Menschen starben, mehr als 60 wurden verletzt
  • Immer wieder gibt es in der Vorweihnachtszeit Drohungen gegen Weihnachtsmärkte
  • Oftmals haben sie einen islamistischen Hintergrund
  • Doch was bedeutet die Einschätzung der Behörden, es liege eine „abstrakte Gefährdung“ vor?

Ein 37-jähriger Iraker sitzt seit Anfang Dezember in Abschiebehaft, seit er verdächtige Fotos vom Augsburger „Christkindlesmarkt“ gemacht haben soll. Der Tatvorwurf: Anfangsverdacht der Terrorismusfinanzierung sowie der Verbreitung von gewaltverherrlichenden Videos der Terrororganisation „Islamischer Staat“.

Der Fall lenkt den Blick auf eine Frage, die sich mit jedem Medienbericht über mutmaßliche Terrorpläne immer wieder stellen: Wie sicher sind die deutschen Weihnachtsmärkte? 2016 erschütterte Berlin der Anschlag auf den Breitscheidplatz. Im Sommer tötete ein Islamist mehrere Menschen auf einem Stadtfest in Solingen. Der islamistische Terrorismus ist wieder auf der Agenda der Politik.

Wie groß ist aktuell die Bedrohungslage für Weihnachtsmärkte?

Die Sicherheitsbehörden sprechen von einer „abstrakt hohen Gefahr“. Das bedeutet: Es gibt im Moment keine konkreten Hinweise auf einen geplanten Anschlag. Gleichzeitig sind die Behörden alarmiert, denn sie müssen aufpassen, dass sie rechtzeitig von mutmaßlichen Terrorplänen Wind bekommen. Von Fällen wie dem in Augsburg erfahren deutsche Ermittler meist durch Hinweise ausländischer Nachrichtendienste, die Social-Media-Profile großflächig überwachen.

Auch interessant

Der Iraker soll im Kontakt mit IS-Mitgliedern gestanden haben, postete islamistische Propagandavideos, in Chatgruppen sprach er laut Medienberichten von Fahrzeugen, die er mit Sprengstoff beladen wollte – als tödliche Waffe. Nach Informationen der „Augsburger Allgemeine“ soll sich der Mann zwischenzeitlich im Augsburger Bezirkskrankenhaus zur psychiatrischen Behandlung befunden haben. Oftmals mischen sich ideologische Radikalisierung und psychische Erkrankungen bei islamistischen Attentätern.

Weihnachtsmärkte sind in der Ideologie von Dschihadisten potenzielle Terrorziele, so wie auch Stadtfeste, Einkaufszentren oder Konzerthallen. Es sind sogenannte „weiche Ziele“, sie sollen vor allem Zivilisten treffen. Rund 480 „islamistische Gefährder“ zählt das Bundeskriminalamt aktuell. Etwa 100 befinden sich in Haft, manche sind nicht in Deutschland. Aber etwa 200 leben hier auf freiem Fuß. Ihnen traut die Polizei eine schwere Gewalttat zu. Nachrichtendienste und Staatsschützer müssen gewichten, wen sie observieren. Und wann sie zugreifen können. Der Iraker in Augsburg soll seit Oktober auf dem Schirm der Behörden gewesen sein.

Wie bewertet die Politik die Lage für Besucherinnen und Besucher von Weihnachtsmärkten?

Nach der Festnahme in Augsburg sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer Mitteilung: „Es gibt keinen Grund, aus Sicherheitssorgen auf einen Christkindlmarktbesuch zu verzichten.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte unlängst, dass die Behörden in „großer Wachsamkeit“ seien. Es ist eine Gratwanderung der Politik. Sie will warnen und nichts verharmlosen, zugleich keine Panik schüren. Denn Angst bedient vor allem das Geschäft der Terroristen.

Der folgenschwerste islamistische Terroranschlag in Deutschland wurde im Dezember 2016 in Berlin verübt, wo ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien einen gestohlenen Lastwagen in die Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt lenkte.
Der folgenschwerste islamistische Terroranschlag in Deutschland wurde im Dezember 2016 in Berlin verübt, wo ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien einen gestohlenen Lastwagen in die Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt lenkte. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Mit Rückendeckung der Politik verfolgt die Polizei seit einigen Jahren eine neue Strategie im Kampf gegen Terrorismus: Sie greifen schneller zu, setzen die Gefahrenabwehr vor die Ermittlung von Beweisen für konkrete Taten. Im Augsburger Fall ist unklar, wie weit fortgeschritten die Anschlagspläne überhaupt waren. Für die Polizei war aber klar: Die Hinweise sind so gravierend, dass sie den Mann festnimmt – in diesem Fall allerdings in Abschiebehaft, um ihn in den Irak zurückzuführen. Ein Haftrichter muss dem genauso stattgeben wie einem strafrechtlichen Haftbefehl.

Welche Sicherheitsmaßnahmen hat die Politik zum Schutz der Märkte unternommen?

Seit der erhöhten Terrorgefahr und dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 schützen Städte und Kommunen die Weihnachtsmärkte deutlich stärker als früher. Für Besucherinnen und Besucher wird das vor allem durch die Poller und Betonklötze an den Einfahrten sichtbar. Sie sollen gegen Attentäter schützen, die mit einem Fahrzeug in die Menge rasen wollen, so wie in Berlin oder beim Anschlag auf der Promenade im französischen Nizza 2016. Zugleich erhöhen viele Ämter die Polizeipräsenz auf diesen Großveranstaltungen. Immer wieder sind die Polizisten auch mit Schnellfeuerwaffen ausgerüstet – eine Reaktion auf die Terroranschläge in Paris 2015.

Szenario Weihnachtsmarkt-Anschlag: Polizei im Elsass probt Ernstfall

weitere Videos

    In Städten wie Augsburg setzen die Behörden vermehrt auch auf „Waffenverbotszonen“ im Kampf gegen Gewalttäter. Wie gut diese Maßnahmen Terror verhindern, ist unter Fachleuten jedoch stark umstritten. Selbst erfahrene Kriminalbeamte sind skeptisch. Denn ein Messerverbot ist nur wirksam, wenn dies flächendeckend kontrolliert wird.

    Wie gehen die Behörden mit islamistischen Terrorverdächtigen um?

    Polizei und Nachrichtendienste haben eine Vielzahl an Instrumenten, mit denen sie islamistische Gefährder überwachen und kontrollieren können, darunter die Observation und die Telekommunikationsüberwachung. Die Ermittler wollen zugleich weitere Befugnisse, vor allem beim Speichern und Auswerten von Internetdaten. Sind islamistische Attentäter Deutsche, greift allein das Strafrecht. Ist der mutmaßliche Täter Ausländer, können die Behörden „zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit“ oder „einer terroristischen Gefahr“ eine Abschiebungsanordnung erlassen. Das sieht das Aufenthaltsrecht vor.

    Lesen Sie auch: Nicht nur heiße Luft im Kampf gegen islamistische Terroristen