Berlin. Russische Agenten der „Einheit 29155“ sollen weltweit Attentate verüben. Das FBI warnt vor ihren Cyberangriffen. Was über die Gruppe bekannt ist.

Cyberattacken, Giftattentate, Putschversuche, Destabilisierung ganzer Staaten: In Russlands Reihen agieren laut Sicherheitsexperten Spezialeinheiten, die vor allem eines wollen: Chaos stiften im Ausland. Eine wichtige Rolle spielt dabei Putins „Einheit 29155“. Welche Cybergefahr von ihr ausgeht, zeigt ein aktueller Bericht internationaler Sicherheitsbehörden. Doch die Schneise der Skrupellosigkeit von „29155“ reicht mindestens bis in das Jahr 2009 zurück.

Putins Spezialeinheit weitet offenbar Operationen auf Cyberangriffe aus

Die Spezialeinheit ist Teil des russischen Militärgeheimdienstes „Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije“ (GRU). Nach einer investigativen Recherche der New York Times (NYT) von 2019 schreibt die US-Zeitung, dass „29155“ seit mindestens einer Dekade aktiv sei. Ihr Spezialgebiet: Mordanschläge im Ausland und die Destabilisierung von Staaten.

„29155 ist eine sehr große Einheit“ und umfasse 400 Personen, erklärt der bulgarische Journalist Christo Grosev im Interview mit „The Insider“. Er war maßgeblich daran beteiligt, die Existenz der russischen Gruppe aufzudecken. „Innerhalb der Einheit gibt es eine Untergruppe ohne Namen“, beschreibt Grosev. „Manchmal wird sie K2 genannt, manchmal K200, aber es ist eine Untereinheit von 29155, die internationale Operationen für den GRU durchführt.“

Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur sind dabei ebenfalls eine große Bedrohung. Das geht aus einem Bericht des Federal Bureau of Investigation (FBI) und anderen Sicherheitsbehörden hervor – auch beteiligt: der Deutsche Verfassungsschutz. In dem Bericht heißt es: „Einheit 29155 erweiterte ihr Handwerk, um mindestens seit 2020 offensive Cyber-Operationen durchzuführen.“

Russische Hacker nutzen unter anderem eine Malware namens „Whisper Gate“, die Daten unwiederruflich löscht. (Symbolbild)
Russische Hacker nutzen unter anderem eine Malware namens „Whisper Gate“, die Daten unwiederruflich löscht. (Symbolbild) © iStock | Sean Anthony Eddy

Kommandeur von „29155“ ist Oleg Grigorievich Kushnir. Nach Angaben der ukrainischen Sicherheitsagentur „Molfar“ wurde der 39-Jährige in Dresden geboren. Später soll er an der renommierten russischen Militärakademie „OAVS“ studiert haben, im September 2022 übernahm Kushnir die Leitung der Spezialeinheit, über deren Mitglieder wenig öffentlich bekannt ist.

Auch interessant

Kampferfahren mit Militärausbildung: Wer sind die Mitglieder von „29155“?

Kushnirs Untereinheit soll in zahlreiche internationale Konflikte verwickelt gewesen sein, oder diese ausgelöst haben. So auch beim Giftanschlag im Jahr 2018 auf den ehemaligen russischen Spion Sergej Skripal und dessen Tochter in Salisbury, Großbritannien. Nach dem Attentat wurden drei Mitglieder identifiziert: Denis Sergeev, Anatolij Tschepiga und Alexander Mishkin.

Und dennoch: Die Agenten der Gruppe reisen verdeckt. Unter falschen Namen. Mit tatsächlichen beruflichen Karrieren. Bewegen sich zwischen den Staaten. Das ist taktisches Kalkül, denn niemand weiß genau, wo sie als nächstes auftauchen. Oder wer sie wirklich sind.

Recherchen der „NYT“ aus dem Jahr 2019 zeigen, dass in den Reihen der 29155 hochrangige Offiziere aus „Russlands blutigsten Kriegen wie Afghanistan, Chechnya und der Ukraine“ agierten. Nur wenige Mitglieder der mutmaßlich kleinen Sondereinheit sind bekannt, heißt es wiederum im Sicherheits-Bericht.

Bei einem Giftanschlag der „Einheit 29155“ in Salisbury, Großbritannien, wurde der ehemalige russische Spion Sergej Skripal beinahe ermordet.
Bei einem Giftanschlag der „Einheit 29155“ in Salisbury, Großbritannien, wurde der ehemalige russische Spion Sergej Skripal beinahe ermordet. © picture alliance / empics | Andrew Matthews

Charakteristisch für die Agenten ist langjährige Erfahrung in Kampf, Spionage und Spezialoperationen. Cyberkriegsführung, Sabotage und eine militärische Ausbildung machen sie umso gefährlicher. Wie viele Mitglieder die Einheit tatsächlich hat, ist unbekannt.

In einer aufwendigen Recherche des Spiegel aus dem Jahr 2019 ist hingegen von einem „Team aus rund 20 ehemaligen Soldaten“ die Rede, die „hoch konspirativ“ arbeiten. Sie seien „Männer fürs Grobe“ oder „Schattenkrieger“, schreibt das Nachrichtenmagazin, „zwischen Ende dreißig und Mitte vierzig.“ Der bulgarische Journalist Grosev spricht von rund 70 Agenten, die „Brücken hochjagen und Munitionslager, Menschen töten und die Opposition inflitrieren“. Und sich an Weihnachten gegenseitig anrufen.

Neben dem Anschlag auf Skripal versuchten die Agenten die Republik Moldau zu destabilisieren, sollen den bulgarischen Rüstungsunternehmer Emilian Gebrev vergiftet haben und am gescheiterten Putschversuch in Montenegro (2016) beteiligt gewesen sein.

Malware „WhisperGate“ wird auch über die Plattform „Discord“ verbreitet

Der FBI-Bericht beschreibt eine konkrete Bedrohung durch die GRU-Einheit. Denn neben Mordanschlägen seien sie auch für Cyberangriffe zuständig. Hierfür nutzen sie verschiedene „TTPs“, also Taktiken, Techniken und Verfahren, schreiben die Sicherheitsdienste. Konkret bedeutet das: „29155“ verwendet öffentlich zugängliche Tools, nutzt Schwachstellen in digitalisierten Systemen aus und bewegen sich durch Netzwerke – unbemerkt.

Hervorzuheben ist eine ihrer Waffen: Die Malware „WhisperGate“, die speziell darauf ausgerichtet ist, Systeme zu beschädigen und Daten zu zerstören. Sie wurde erstmals im Januar 2022 gegen ukrainische Organisationen eingesetzt, kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges.

„Seit Anfang 2022 scheint die primäre Absicht des Akteurs darin zu bestehen, Hilfsleistungen für die Ukraine auszukundschaften und zu stören“, schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Insgesamt seien bereits mehr als 14.000 Fälle in den 28 NATO- und EU-Ländern bekannt, „darunter auch Deutschland“.