Berlin. Im Ramstein bittet Selenskyj um mehr Waffen – auch um Ziele in Russland anzugreifen. Warum der Westen nicht zurückschrecken sollte.
Es sieht nicht gut aus für die Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland. Die Eroberung von rund hundert russischen Dörfern in der Region Kursk ist zwar für die Moral der ukrainischen Truppe wichtig gewesen – ob die Gebietsgewinne zu halten sind, ist aber fraglich.
Viel entscheidender: Das Kalkül, Russland würde größere Truppen von der Front im Donbass abziehen und zur Verteidigung ins eigene Territorium um Kursk verlegen, ist nicht aufgegangen. Stattdessen machen jetzt Moskaus Soldaten im Osten der Ukraine verstärkt Druck und rücken weiter vor, während die Terrorangriffe auf die Energieversorgung in der Ukraine mit neuer Härte weitergehen. Kremlherrscher Putin bombardiert das Land gezielt in einen beispiellosen Katastrophen-Winter, der für Millionen Menschen extrem hart werden wird und sogar eine neue Flüchtlingswelle Richtung Westen befürchten lässt.
Selenskyj will stärker Ziele in Russland angreifen – und so den Druck erhöhen
Beim Treffen mit den westlichen Verteidigungsministern in Ramstein hat Präsident Selenskyj die Lage schonungslos geschildert. Er braucht jetzt alles: Eine bessere Luftverteidigung vor allem, Munition, Artillerie. Genauso attraktiv wären für die Ukraine aber auch Offensivwaffen, Kampfjets, Raketen für Angriffe auf das russische Hinterland. Selenskyj drängt auf die Erlaubnis, mit westlichen Waffen Ziele weit auf russischem Territorium anzugreifen. Denn sind dort erst Flugplätze, Depots und Kommandozentralen zerstört, fehlen Ressourcen für Luftangriffe und den Nachschub.
Das könnte Putin wohl am ehesten dazu zwingen, Friedensverhandlungen ohne Bedingungen zuzustimmen, und Kiew für diese Gespräche in eine bessere Position bringen als bisher. Auffallend oft hat Selenskyj in Ramstein die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen unterstrichen – in einem Moment, in dem auch Putin plötzlich wieder von Verhandlungen spricht.
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Putins Vorteile reichen nicht ewig – wenn der Westen unterstützt
Ob daraus in den nächsten Monaten mehr wird, wie einige Militäranalysten schon spekulieren, ist offen. Aber es wäre nicht der erste Krieg, der nach einer längeren Pattsituation endet, weil auch für den Angreifer ein Ende militärisch und politisch vorteilhafter ist als die Fortsetzung. Putin kann sich ausrechnen, dass seine Vorteile bei Soldaten und Rüstung nur noch ein, zwei Jahr lang Bestand haben – jedenfalls dann, wenn der Westen seine Unterstützung für die Ukraine fortsetzt und die Rüstungsproduktion wie geplant hochfährt.
Es sieht allerdings nicht so aus, als ob die USA und ihre Verbündeten den Druck auf Putin jetzt beschleunigen wollten und bereit wären, Selenskyj Angriffe auf russisches Hinterland mit ihren Waffen zu erlauben: Im Weißen Haus und anderen Regierungszentralen fürchtet man weiter, dass Putin, gerät er auf eigenem Boden in Bedrängnis, den Konflikt doch noch eskalieren könnte.
Ukraine braucht jetzt mehr Waffen – auch von Deutschland
Das Risiko besteht. Doch für den Westen wäre es mittelfristig nicht minder riskant, eine ukrainische Niederlage in Kauf zu nehmen – die russische Bedrohung dürfte sich dann bald auch gegen den Westen richten. Es liegt im größten Sicherheitsinteresse auch Deutschlands, alles zu tun, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine in diesen schwierigen Monaten zu stärken.
Sie ist jetzt zum Überleben auf mehr und nicht weniger Waffenhilfe angewiesen. Doch in vielen westlichen Hauptstädten wird der Ernst der Lage ignoriert, auch deshalb, weil es kein gemeinsames strategisches Ziel im Ukraine-Krieg gibt. Aber eines sollte schon klar sein: Je länger der Westen jetzt zögert mit der weiteren Hilfe, desto teurer könnte es ihn später kommen.