Washington. Der Ex-Präsident sitzt beim Gipfel-Treffen nicht mit am Tisch, ist aber allgegenwärtig. Gerade jetzt, wo Amtsinhaber Joe Biden schwächelt.

Er sitzt nicht mit am Tisch, und ist doch allgegenwärtig im Walter E. Washington-Kongress-Zentrum der amerikanischen Hauptstadt, wo die Nato seit Dienstagabend ihr 75-jähriges Bestehen feiert: Donald Trump, Ex-Präsident und aussichtsreicher republikanischer Kandidat für die Wahl im November.

Die Sorge vor der möglichen Rückkehr des 78-Jährigen ins Weiße Haus ist unter den 32 Mitgliedsstaaten im westlichen Verteidigungsbündnis noch größer geworden, seit Amtsinhaber Joe Biden durch einen komplett misslungenen TV-Auftritt mit dem Republikaner vor fast zwei Wochen Zweifel an seiner Amtsfähigkeit ausgelöst hatte. 

Biden wird als Gastgeber bis zu einer für Donnerstag geplanten Pressekonferenz im Rampenlicht stehen. Sein Auftritt bei diesem Gipfel wird mit darüber entscheiden, ob der aufkeimende Protest bei den US-Demokraten wirksam eingedämmt werden kann oder nicht, denn: Viele seiner Parteikollegen wollen einen Alternativkandidaten für die Wahl ins Rennen schicken. Doch es steht noch mehr auf dem Spiel, nämlich: „Das Vertrauen, das die Staats- und Regierungschef der Nato-Länder noch für Joe Biden aufbringen“, wie ein osteuropäischer Diplomat auf Anfrage sagt.

Partner im Gleichklang: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Joe Biden vor wenigen Tagen im Weißen Haus bei der Vorbereitung des Nato-Gipfels. Bei einem Wahlsieg Trumps müsste Stoltenbergs Nachfolger Mark Rutte die Bündnis-Strategie neu aufstellen.
Partner im Gleichklang: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Joe Biden vor wenigen Tagen im Weißen Haus bei der Vorbereitung des Nato-Gipfels. Bei einem Wahlsieg Trumps müsste Stoltenbergs Nachfolger Mark Rutte die Bündnis-Strategie neu aufstellen. © IMAGO/ABACAPRESS | IMAGO/Pool/ABACA

Für die allermeisten Akteure im Bündnis, Ungarns Viktor Orban ausgenommen, ist die Ausgangslage laut EU-Strategen in Washington klar: Lieber eine zweite Amtszeit für Joe Biden, dem „Garanten für Stabilität, ohne den das Bündnis für die Ukraine und gegen Russland nie zustandekommen wäre”, als „wieder vier Jahre Chaos, Unberechenbarkeit und Zittern mit Donald Trump”. 

Ex-Nato-Oberkommandierender Clark: „Die Europäer trauen Trump nicht“

Käme Trump nach einem Wahlsieg im November im kommenden Januar wieder an die Macht, würden die „alten Debatten wieder aufflammen, die unter Biden ad acta gelegt wurden“, sagen Militär-Experten bei der Denkfabrik Brookings. Beispiel: Nato-Ausstieg

Trump hatte damit bereits 2017 geliebäugelt. Heute, so sein ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater John Bolton, würde den militärischen Isolationismus propagierenden Unternehmer „wohl nichts mehr aufhalten“. Bolton glaubt, dass Trump sich selbst davon nicht beeindrucken ließe, wenn die von ihm als Trittbrettfahrer betrachteten West-Europäer künftig noch mehr als die bislang vereinbarten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben würden. 

Trump wolle die Lasten „komplett auf die Europäer verlagern“, etwa im Fall Ukraine/Russland. In diesem Kontext schwingt für die Ohren vieler EU-Nato-Länder noch immer unheilvoll mit, was Trump Anfang des Jahres über seiner Ansicht nach säumige Nato-Mitglieder sagte: dass er ihnen im Falle eines russischen Angriffs die im Artikel 5 des Nordatlantikvertrags festgeschriebene Beistandsgarantie versagen würde. Und dass er Moskau, sprich: Wladimir Putin, geradezu ermutigen würde, mit diesen Ländern „zu tun, was immer es will“.

Dass Trump diese Drohung später als Verhandlungstaktik abtat, glauben viele Nato-Partner nicht. „Die Europäer trauen Trump nicht“, sagt der ehemalige Nato-Oberkommandierende General Wesley Clark.

„Wir sagen den Ukrainern, ihr müsst an den Verhandlungstisch kommen“

Er und viele andere haben ausgiebig die von der erzkonservativen Heritage-Stiftung produzierte Blaupause für eine zweite Amtszeit Trumps studiert. Dort wird einem umfassenden Umbau der Nato das Wort geredet, der Europa künftig die Alleinverantwortung zuweist, um Russland mit konventionellen Streitkräften in Schach zu halten. Während sich die USA ganz auf die globale Dauerfehde mit China konzentrieren sollen.

Seit ihrem Treffen im Juli 2018 in Helsinki gilt das Verhältnis zwischen Donald Trump und Wladimir Putin vielen Amerikanern als suspekt. Damals nahm der US-Präsident den Kreml-Herrscher massiv in Schutz. Bis heute versagt er sich deutliche Kritik.
Seit ihrem Treffen im Juli 2018 in Helsinki gilt das Verhältnis zwischen Donald Trump und Wladimir Putin vielen Amerikanern als suspekt. Damals nahm der US-Präsident den Kreml-Herrscher massiv in Schutz. Bis heute versagt er sich deutliche Kritik. © DOUG MILLS/The NewYorkTimes/Redux/laif | DOUG MILLS/The NewYorkTimes/Redu

Am meisten Sorgen bereitet innerhalb der Nato Trumps mehrfach wiederholte Ankündigung, er werde den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine noch vor seiner etwaige Vereidigung „binnen eines Tages” beenden. Wie?

Sein ehemaliger Sicherheitsberater Keith Kellog hat den Plan vereinfacht so ausgedrückt. „Wir sagen den Ukrainern, ihr müsst an den Verhandlungstisch kommen. Andernfalls stellen wir unsere Hilfe ein.” Parallel dazu laute die Botschaft an Wladimir Putin: „Wenn du nicht verhandelst, dann geben wir den Ukrainern militärisch alles, was sie brauchen, um dich auf dem Schlachtfeld zu töten.“ Endziel: Waffenstillstand. Einrichtung einer remilitarisierten Pufferzone. Verzicht der Ukraine auf Nato-Mitgliedschaft. Verzicht auf Rückeroberung russisch besetzter Territorien. „Mit anderen Worten”, so ein Verteidigungspolitiker aus dem Baltikum: „Kiew soll kapitulieren. Das kann es nicht sein.”