Stockholm. Die Klimaschutz-Ikone macht Stimmung gegen Israel – auch im Namen von Fridays for Future. Das gefällt in der Bewegung nicht jedem.
An einem sonnigen Morgen im Mai liegt das Protestcamp an der Universität Stockholm ruhig da. Ein paar Dutzend Zelte stehen unter Bäumen vor dem Gebäude, in dem die Universitätsleitung untergebracht ist. Schaulustige schlendern durch die Reihen, begutachten das große Transparent, das ein Ende der „zionistischen Besetzung Palästinas“ fordert. Unter einem Pavillon sitzt eine Gruppe von jungen Aktivistinnen und Aktivisten und berät die Pläne für den Tag. In ihrer Mitte: Greta Thunberg.
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Die weltberühmte Klimaaktivistin studiert seit Kurzem an der Universität Stockholm. Die Haare hat sie im Nacken zusammengebunden, um ein Handgelenk ist eine Kufiya gewickelt – auch Palästinensertuch genannt. Das Tuch wirkt als Symbol einer Veränderung: Thunberg, bekannt geworden als Gründerin von Fridays for Future und jugendliche Ikone der Klimabewegung, hat inzwischen einen anderen Fokus: Seit der Attacke der Hamas am 7. Oktober und dem Beginn des Kriegs im Gazastreifen konzentriert sich ein großer Teil der öffentlichen Aktivitäten der 21-Jährigen auf den Konflikt im Nahen Osten.
Ein Kurswechsel, der ihr viel Kritik und Antisemitismusvorwürfe eingebracht hat – und der die Schlagkraft ihrer Bewegung bedroht. Schon im Oktober postete sie auf Instagram Solidaritätsbekundungen mit Gaza, schon damals warf FFF Schweden Israel „ethnische Säuberungen“ vor. Als Tausende vor dem ESC in Malmö gegen die Teilnahme Israels protestierten, war auch Thunberg dabei, wurde vorübergehend festgenommen.
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Protestforscher: „Aktivismus für Palästina kommt nicht aus dem Nichts“
Der Weg vom Klimaaktivismus zum Protest für Gaza sei nicht so weit, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sagt Mattias Wahlström, Protestforscher an der Universität Göteborg. Er beobachtet Fridays for Future schon seit mehreren Jahren. „Der Aktivismus für Palästina kommt nicht aus dem Nichts“, sagt er. FFF habe sich schon in der Vergangenheit mit anderen Bewegungen verbündet, etwa der Black-Lives-Matter-Bewegung für Bürgerrechte schwarzer Menschen in den USA.
Darauf verweist auch FFF Schweden selbst. In einem Beitrag für den britischen „Guardian“ erklärten Thunberg und drei Mitstreiter, die Bewegung habe sich nicht radikalisiert – der Einsatz für den Klimaschutz sei immer in Fürsorge für Menschen und Menschenrechte begründet gewesen. In dem Text und anderen Statements verurteilt die Gruppe Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit als „inakzeptabel“.
Doch man müsse nicht bewusst Juden hassen, um antisemitische Konzepte weiterzuverbreiten, sagt Christer Mattsson, Experte für Radikalisierungsprozesse und Antisemitismus von der Universität Göteborg. Ein großer Teil des Antisemitismus auf den Palästina-Demos sei Judenhass, der als Antizionismus verkauft werde, sagt er. „Über Zionisten wird als homogene Gruppe gesprochen, die in den Schatten lauert und die Medien kontrolliert“, sagt Mattsson. „Das ist nur neu verpackter Antisemitismus, auch wenn die Leute sich dessen vielleicht nicht bewusst sind.“
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Thunberg selbst beantwortet keine Fragen zu Antisemitismusvorwürfen
Er sieht auch eine Gefahr, dass Demonstrationen wie jene in Malmö Antisemitismus nicht nur sichtbar machen, sondern auch produzieren. „Dinge werden gesagt, und wenn diejenigen, die sie sagen, dafür als antisemitisch kritisierte werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich tatsächlich in die Richtung entwickeln, antisemitisch zu werden.“ Teilnehmer hätten deshalb eine Verantwortung, darüber nachzudenken, wie sie zum Ausschluss jüdischer Menschen aus der Gesellschaft beitragen. „Und je größer der Einfluss, umso größer ist die Verantwortung, über die Folgen des eigenen Handelns nachzudenken.“
Man würde Thunberg gern selbst fragen, ob sie Vorwürfe ernst nimmt, antisemitische Muster zu verbreiten und bei Israel mit anderen Maßstäben zu messen als bei anderen Ländern. Doch die Aktivistin will dazu keine Fragen beantworten. Medien hätten in der Vergangenheit ihre Antworten aus dem Kontext gerissen, sagt sie, und verweist für alles Weitere an die Pressesprecher des Protestcamps.
Daten zu der Frage, ob der neue Fokus den Zustimmungswerten der Bewegung geschadet hat, gibt es bislang nicht. In Schweden polarisiert Thunbergs Kurs nach Einschätzung von Experten, wird aber nicht so einhellig verurteilt wie in Deutschland. Unumstritten ist der Kurs aber auch in der Bewegung nicht. Bei einer Klimademonstration in Amsterdam entriss der niederländische Teilnehmer Erjan Dam Thunberg das Mikro, als es um Palästina ging, weil er sich nach eigener Aussage „missbraucht“ fühlte.
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Nächster Klimastreik in Deutschland findet wohl ohne Greta Thunberg statt
Mit dem deutschen Ableger von Fridays for Future, einem der zahlenmäßig größten und einflussreichsten, hat Thunbergs Kurs sogar zum Bruch geführt. FFF Deutschland und Luisa Neubauer als dessen prominenteste Vertreterin haben sich von der Position der schwedischen Gruppe und ihrer Gründerin bereits distanziert. Auf der organisatorischen Ebene gibt es derzeit offenbar keine Zusammenarbeit mehr.
Zum Klimastreik am 31. Mai ruft FFF Deutschland auf, nicht aber die internationale Ebene der Bewegung. „Im Moment können sie nicht als komplett geschlossene internationale Gruppe sprechen“, sagt Protestforscher Wahlström. Das könne zum Problem werden, wenn es etwa um Proteste auf der nächsten Klimakonferenz geht. Der letzte große Klimastreik in Schweden hatte im April stattgefunden. Damals waren die Temperaturen noch einstellig, die Kufiya trug Thunberg als Schal um den Hals. In der ersten Reihe liefen andere.
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