Düsseldorf. Seit Anfang Mai streiken Uniklinik-Beschäftigte. Verdi-Chef Frank Werneke sieht keine baldige Entspannung und bittet Patienten um Verständnis.
Seit Anfang Mai dauert der Streik an den sechs Unikliniken an. Am Freitag haben erneut rund 1500 Beschäftigte aus der Pflege und nicht-pflegerischen Bereichen ihre Arbeit niedergelegt. Viele von ihnen demonstrierten in Düsseldorf für einen Tarifvertrag, in dem konkrete Maßnahmen zur Entlastung festgeschrieben werden. Am Rand der Kundgebung sprach Stephanie Weltmann mit dem Verdi-Bundesvorsitzenden Frank Werneke über das nun vorliegende Angebot der Arbeitgeber, Nöte von Erkrankten und den Ausblick auf Erfolg.
Herr Werneke, infolge des Uniklinik-Streiks sind tausende Operationen verschoben worden, selbst Krebs-OPs und Kinderkliniken sind betroffen und vielen Patientinnen und Patienten vergeht die Geduld. Treiben Sie es zu weit?
Frank Werneke: Nein. Der Streik hätte vermieden werden können. Es gab ein 100-Tage-Ultimatum, das die Unikliniken und das Land tatenlos haben verstreichen lassen. Und das obwohl dies in NRW nicht die erste Auseinandersetzung dieser Art ist und wir inzwischen an 20 Standorten von Kiel bis Augsburg Tarifverträge zur Entlastung der Beschäftigten erfolgreich durchgesetzt haben. Das war hier in NRW eine krasse Fehleinschätzung seitens der Arbeitgeberseite.
In NRW haben die Unikliniken die Position vertreten, dass sie noch gar nicht tariffähig seien. Also nicht mit Ihnen verhandeln dürfen.
Das war auch ein Argument in den anderen 20 Fällen. Trotzdem ist es da zu Einigungen gekommen.
Hätten Sie erwartet, dass der Streik über solch einen langen Zeitraum nötig ist?
Nein. Wir haben erst seit Donnerstag ein erstes Angebot der Arbeitgeberseite vorliegen – da ist viel Zeit verspielt worden. Aber dass es nun dieses Angebot gibt, ist ein Erfolg der Streikenden.
Die Beschäftigten fordern nicht mehr Lohn, sondern mehr Kollegen. Personalmangel und Überlastung sind lange bekannte Probleme in den Kliniken – wer hat hier geschlafen?
Die gesamte Finanzierung des Gesundheitssystems ist darauf ausgerichtet, Operationen zu bezahlen. Alles, was danach kommt, wird bei dieser Finanzierung vernachlässigt, die Pflege und noch mehr alle anderen Bereiche. Das ist eine Fehlkonstruktion. Die zweite: Wenn es jetzt durch unseren erstrittenen Tarifvertrag dazu kommt, dass nach und nach mehr Personal eingestellt wird, wird das nur zum Teil von den Krankenkassen refinanziert. Alle nicht-pflegerischen Bereiche sind außen vor – Radiologie-Assistenten oder Physiotherapeuten, die aber genauso Überlastung erfahren und mehr Kolleginnen und Kollegen benötigen.
Wer soll diese Kosten dann tragen?
CDU und Grüne haben beide vor der Landtagswahl ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht, damit die Unikliniken mehr Personal auch außerhalb der Pflege einstellen können. Wir erwarten deshalb eine klare Finanzierungszusage der nächsten Landesregierung.
Seit Donnerstag liegt nun ein Angebot der Arbeitgeberseite vor. Ist es ein Angebot, das befriedet?
Durch das Angebot zieht sich wie ein roter Faden, dass es Entlastungen für Pflegekräfte, aber nicht für die anderen Bereiche geben soll. Ich kann Ihnen sagen: Die Streikenden sind nicht bereit, das mitzumachen und sich spalten zu lassen. Es gibt keinen Anlass, den Streik abzuflachen oder auszusetzen. Wir werden ihn so lange fortführen, bis es ein Ergebnis gibt, das von den Streikenden akzeptiert wird.
Kann ein NRW-Tarifvertrag Blaupause für eine Bundesregelung sein?
Im Moment denkt die Tarifgemeinschaft deutscher Länder nicht im Ansatz daran, mit uns über Entlastung und Personalausstattung in allen Kliniken der Länder bundesweit zu sprechen. Deshalb bleibt uns nur, auf Landesebene zu verhandeln. Wir haben Regelungen an 20 Standorten in allen Bundesländern. Wir fechten diesen Streit also nicht nur in NRW aus. Aber: Wenn es hier zu einer Regelung für alle Unikliniken im Land kommt, hat das eine bundesweite Strahlkraft.
Eigentlich fordern Sie aber gesetzlich verankerte Personalbemessungsgrenzen, oder?
Wir wären einen großen Schritt weiter, wenn es das gäbe, ja. Wir haben dazu etliche Vorschläge vorgelegt und konstruktive Reaktionen erwartet, aber alles ist immer wieder abgelehnt worden. Das ist auch ein Grund, warum sich die Beschäftigten in der Pflege so hintergangen fühlen.
Was ist die Alternative, wenn es hier nun nicht zum Erfolg kommt?
Für die Pflege kann man sagen: Dann wird der Notstand zunehmen. 40 Prozent der Pflegekräfte spielen inzwischen mit dem Gedanken, ihren Beruf zu verlassen. Das darf nicht passieren. Deshalb brauchen wir sowohl beim Einkommen als auch bei der Arbeitssituation deutliche Fortschritte. Dann wächst auch die Attraktivität dieses eigentlich ja tollen Berufs.
Wie lange wird der Arbeitskampf noch dauern?
Ich bin stolz auf das Engagement der Beschäftigten hier in NRW. Viele von ihnen sind über sich hinausgewachsen. Und deshalb habe ich keinen Zweifel, dass es zu einem erfolgreichen Tarifabschluss kommen wird. Wie lange es noch dauert, liegt in den Händen der Arbeitgeber. Ich bitte alle Betroffenen um Verständnis. Letztlich geht es hier um eine tarifliche Regelung, von der künftig auch alle Patientinnen und Patienten profitieren werden.
>>> PERSONALSCHLÜSSEL UND AUSGLEICH GEFORDERT
Die Beschäftigten der sechs NRW-Unikliniken fordern konkrete Personalschlüssel für ihre Arbeitsbereiche, einen Ausgleich fürs Arbeiten in unterbesetzten Schichten und mehr Anleitung von Azubis. 2018 haben ähnliche Forderungen an den Unikliniken Essen und Düsseldorf zu Vereinbarungen geführt, mit denen Personal aufgebaut worden ist. Bis heute ist das nicht vollständig refinanziert. Dabei hat es sich nicht um Tarifverträge gehandelt.
Im nun vorliegenden ersten Angebot der Arbeitgeberseite haben die Unikliniken mehr Personal und bis zu fünf freie Tag zur Entlastung in Aussicht gestellt.
Im Kern heißt es in dem Vorschlag: „Danach würden ausnahmslos alle Kolleginnen und Kollegen, die in der Pflege am Patienten arbeiten, Entlastungstage bekommen. Diese können als freie Tage genommen werden.“ Gleichzeitig wollen die Kliniken das Personal in mehrere Stufen aufstocken. So sollen den Pflegekräften im Schichtdienst in der ersten Entlastungsstufe fünf zusätzliche freie Tage ermöglicht werden. Wenn der geplante Personalaufbau und damit auch die Entlastung in der täglichen Arbeit der Beschäftigten gelingt, soll die Anzahl der freien Tage stufenweise wieder reduziert werden. (mit dpa)