Düsseldorf. “Im Blindflug durch die Pandemie“, “Schulen sind Risikogebiete“: Die Sondersitzung des Landtags zur Coronakrise war voller Vorwürfe.

Sollte jemand gehofft haben, Regierung und Opposition könnten sich in NRW in dieser Krise zusammenraufen, der dürfte diese Hoffnung nach der Sondersitzung des Landtags am Freitag unter „Illusion“ ablegen. Der Streit um Schulschließungen verhärtet den Ton und die Fronten. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wurde selbst nicht Zeuge der Vorwürfe, die im Plenum an ihn gerichtet wurden, weil er gleich zu Beginn der Sitzung nach seiner Rede zum digitalen „Impfgipfel“ mit der Kanzlerin abrauschte. „Wo ist er denn?“, fragte Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) spöttisch Landtagspräsident André Kuper (CDU) nach Laschet, als Kutschaty zum Rednerpult ging.

Der Ministerpräsident hatte sich zuvor Dortmund, Duisburg und andere Städte vorgeknöpft, die versuchen, selbstständig Schulen zu schließen. Ein Satz von Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) hatte dem Ministerpräsidenten  die Laune verdorben: „Jeder Tag ohne Schule ist ein Gewinn“, meinte Westphal mit Blick auf die steigenden Infektionsrisiken in seiner Stadt. „Jeder Tag mit Schule ist ein Gewinn, auch für Kinder in Dortmund“, wetterte Laschet.

Laschet: Auch der Bundespräsident ist für geöffnete Schulen

Es sei „nicht akzeptabel“, dass fast alles geöffnet werde, aber ausgerechnet Schulen und Kitas zuerst dicht gemacht werden sollten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner und sämtliche Kultusminister der Länder seien sich darin einig, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten. „Lassen Sie uns zu dieser Position zurückkehren“, rief er Kutschaty zu.

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Dortmund bat Laschet, nicht mehr „per Twitter und Facebook“ Entscheidungen zu verkünden, sondern Anträge zu Schulschließungen ordentlich beim Land zu stellen. Örtliche Schul-Schließungen seien durchaus möglich, müssten aber Teil eines Gesamtkonzeptes gegen steigende Infektionszahlen sein.

SPD warnt Regierung vor "Kampf" gegen die Kommunen

Der SPD-Fraktionschef gab sich völlig unbeeindruckt und trat in Abwesenheit des Ministerpräsidenten als Anwalt vom Land gemaßregelter Städte auf. „Sie machen aus den Kommunen keine Verbündete, sondern Gegner“, wetterte der Essener gegen die Landesregierung. „Der Kampf gegen die Kommunen muss aufhören. Gewinnen werden Sie ihn sowieso nicht.“ Schulministerin Yvonne Gebauer und Familienminister Joachim Stamp (beide FDP) warf Kutschaty vor, „Märchen“ von Schulen und Kitas, die keine Treiber der Pandemie seien, zu erzählen. „Schulen und Kitas sind Risikogebiete“, rief er.

Die Regierung leiste sich einen gefährlichen „Blindflug durch die Pandemie“ und ignoriere geflissentlich die Empfehlungen des eigenen Expertenrates zum Testen: „Sie schirmen diesen Rat so ab wie die Area 51, weil ihnen die Ergebnisse nicht gefallen.“ Die vom Ministerpräsidenten Anfang März den Schulen und Kitas versprochenen Tests für die Schüler ließen auf sich warten: „Wo sind die Tests? Es ist nichts da!“

Vize-Ministerpräsident Stamp bietet den Städten einen "fairen Dialog" an

Sogar FDP-Fraktionschef Christof Rasche, der zu den Besonnenen im Landtag gehört, ließ sich von der hitzigen Atmosphäre anstecken und giftete Richtung SPD: Kutschaty und SPD-Oberbürgermeister wie Sören Link (Duisburg) und Thomas Westphal (Dortmund) wollten „Rabatz machen und die die Leute nervös machen“. Sein Landesparteichef und Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp versprach Städten, die Schulen schließen möchten, einen fairen Dialog. „Wir erwarten den fairen Dialog aber auch umgekehrt“, sagte er Richtung Dortmund.

Grünen-Fraktionschefin Paul: "Laschet ist ein Notbremsen-Relativierer"

Josefine Paul, Fraktionschefin der Grünen, warf der Regierung „fahrlässiges Handeln“, „Stochern im Nebel“ und ein „Organisations- und Kommunikationsdesaster“ vor. Noch immer fehle in NRW eine vernünftige Teststrategie, obwohl der Corona-Expertenrat die schon vor Monaten gefordert habe. „Berlin hat, bezogen auf die Bevölkerung, 15-mal so viele Tests beschafft wie NRW“, so Paul. Es verbiete sich, montags die Schulen zu öffnen und dienstags langsam mit dem Testen zu beginnen.

Details zur „Corona-Notbremse“ für den Fall einer Wocheninzidenz über 100 sei NRW bisher schuldig geblieben. Hamburg habe die Notbremse bereits gezogen, Ministerpräsident Laschet trete aber nach wie vor als „Notbremsen-Relativierer“ in Erscheinung, kritisierte Paul. Die Grünen fordern einen „Land-Kommunen-Gipfel“, um die Konflikte auszuräumen. Es könne auch nicht schaden, den Krisenstab des Landes zu aktivieren. Hintergrund: Mehrere Bundesländer haben Krisenstäbe eingerichtet, in denen Vertreter der Städte und Kreise mit am Tisch sitzen. In NRW sehen sich viele Kommunen außen vor.