Düsseldorf. Der Expertenrat von Ministerpräsident Laschet äußert ungewöhnlich kritisch Zweifel, ob bisherige Lockdown-Politik die Bürger noch erreichen kann.
Einen Tag vor den nächsten Bund-Länder-Beratungen über eine Verlängerung und Verschärfung des zunächst bis 31. Januar befristeten Corona-Lockdowns hat der von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) einberufene interdisziplinäre „Expertenrat“ die bisherige Strategie der Regierungen im Umgang mit der zweiten Welle der Pandemie ungewöhnlich kritisch hinterfragt.
„Die bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie haben nicht den von der Politik erwünschten Erfolg gebracht“, heißt es in der am Montag veröffentlichten vierten Stellungnahme des Gremiums. Die Verschärfung des Lockdowns habe zwar zu einer Stabilisierung der Neuinfektionszahlen geführt, doch die Sterblichkeit bei älteren Menschen sei mitunter sogar angestiegen.
„Die allgemeine, präventive Strategie des Lockdowns hat den vulnerablen Gruppen – Menschen in Alten- und Pflegeheimen sowie grundsätzlich im höheren Alter – nicht ausreichend geholfen. Zugleich stehen viele wirtschaftliche Existenzen in den geschlossenen Branchen vor der Aussichtslosigkeit“, lautet das bittere Fazit des „Expertenrats.“
In der Corona-Strategie sollen realistische Ziele in den Blick genommen werden
Bund und Länder werden in der Stellungnahme aufgerufen, realistische Ziele in den Blick zu nehmen und „die eigenen Zweifel und Spannungen nicht zu verbergen“. Die Wissenschaftler sehen die Gefahr, dass der Glaube an die Wirksamkeit immer neuer Einschränkungen schwinden könnte: „Diese Politik läuft Gefahr, die Bevölkerung als Ganzes nicht mehr zu erreichen und zu überzeugen“, heißt es weiter.
Kanzlerin und Ministerpräsidenten sollten ihre neuen Beschlüsse am Dienstag deshalb „aus einem Verständnis künftiger Normalität“ ableiten. „Die Politik sollte daher ihr Krisenmanagement nicht länger darauf beschränken, lediglich situativ auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Das ermüdende Narrativ, die Krise könnte diesmal durch diese, oftmals allzu unspezifische Maßnahme langfristig bewältigt werden, ist weder sachlich noch im Hinblick auf die gesellschaftliche Stimmung zielführend“, kritisieren die Autoren.
Laschet hatte bereits im Frühjahr zwölf renommierte Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen in seinen Expertenrat berufen, darunter den Virologen Hendrik Streeck, die Ökonomen Michael Hüther und Christoph M. Schmidt, den Soziologen Armin Nassehi oder die Medizinethikerin Christiane Woopen.
Laschet begrüßte die kritische Stellungnahme
Laschet berät an diesem Dienstag erstmals als neu gewählter CDU-Bundesvorsitzender über die künftige Corona-Strategie. Zuletzt hatte er sich betont hinter die strenge Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestellt. Vor der Sitzung gibt es aus verschiedenen Ländern und Parteien den Ruf nach einer Verlängerung der Maßnahmen um mindestens zwei Wochen sowie einer Verschärfung. Nächtliche Ausgangssperren, ein Recht auf Homeoffice und Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr werden diskutiert.
Laschet begrüßte dennoch die kritische Einlassung des unabhängigen Expertenrates: „Gerade in der jetzigen Situation, in der uns die Mutation des Virus und ein sehr dynamisches Infektionsgeschehen vor große Herausforderungen stellen, ist es umso mehr erforderlich, den Rat von Experten anzuhören und in die politischen Überlegungen einzubeziehen.“