Düsseldorf. Der NRW-Ministerpräsident will im Untersuchungsausschuss dem Eindruck begegnen, man wäre nicht angemessen mit Unwetterwarnungen umgegangen

Hendrik Wüst muss mehr als zweieinhalb Stunden warten, bis er am Mittwochnachmittag in den Landtagssaal E3A02 gerufen wird. Der neue Ministerpräsident ist als Zeuge vor den Untersuchungsausschuss „ Hochwasser“ geladen und achtet sehr genau darauf, nicht mit einem Angeklagten verwechselt zu werden. Solange noch Kameras im Raum sind, bleibt Wüst minutenlang mit durchgedrücktem Kreuz, ernster Miene und vor dem Bauch verschränkten Händen stehen. Ein Untersuchungsausschuss ist eben auch immer ein Kampf um Bilder.

Die Zeugenaussage des Regierungschefs kurz vor Weihnachten ist der erste Höhepunkt der parlamentarischen Aufarbeitung der verheerende Flut vom Juli, bei der allein in NRW 49 Menschen ums Leben gekommen sind. Das Gremium will analysieren, warum Alarmketten trotz eindeutiger Wetterprognosen nicht funktionierten und die Bewohner in fast 190 NRW-Kommunen von den Wassermassen überrascht wurden. Außerdem steht die Landesregierung seit Monaten schwer in der Kritik, weil nicht der für solche Katastrophen vorgesehene Krisenstab des Landes aktiviert wurde.

Hochrangige Mitarbeiter rieten zum Krisenstab

Man beließ es stattdessen bei einer „Koordinierungsgruppe“ im Innenministerium. Und das, obwohl internen Dokumenten zufolge hochrangige Mitarbeiter von Innenminister Herbert Reul (CDU) zum Krisenstab rieten und der engste Laschet-Vertraute, Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski (CDU), früh genau mit dieser Frage befasst war. Hat man die Lage in Ferien- und Bundestagswahlkampf-Zeit unterschätzt? Wollte man keinen Krisenstab zur Flut, weil es bis heute nicht einmal einen zur Corona-Pandemie gibt? Für die Opposition aus SPD und Grünen bieten sich in den inzwischen zugeleiteten mehr als eine Million Dokumentenseiten aus Behördenakten wenige Monate vor der Landtagswahl einige Angriffsflächen.

Aber ob der Nachweis gelingt, dass frühe Expertenwarnungen vor einem Jahrhundert-Regen nicht ernst genug genommen wurden und in der Krisenbewältigung fahrlässig nur das kleine Besteck gewählt wurde, erscheint fraglich. Der Zeuge „Hendrik Josef Wüst, 46 Jahre alt, von Beruf Ministerpräsident“ steht eigentlich nicht im Zentrum der Aufarbeitung. Zum Zeitpunkt des Hochwassers war er Verkehrsminister und damit weder enger mit Wetterprognosen noch mit Gefahrenabwehr beschäftigt.

Wüst: "Ich war zuständig, ich habe mich gekümmert“

Wüst macht gleich zu Beginn der Befragung deutlich, dass er damals trotz seines Nordsee-Urlaubs früh aktiv geworden sei. Schon am 14. Juli, als die ersten Großschäden in Südwestfalen zu beklagen waren, habe er sich „fortwährend informieren lassen“, ein Lagebild über Infrastruktur-Schäden angefordert und dem Landrat des zunächst besonders betroffenen Märkischen Kreises noch am selben Abend Hilfe angeboten.

Am 15. Juli habe er den Bundesverkehrsminister kontaktiert und das Sonn- und Feiertagsverbot für Hilfskonvois ausgesetzt. Am 16. Juli habe er dann an einer digitalen Sondersitzung des Kabinetts unter Leitung seines Vorgängers Armin Laschet (CDU) teilgenommen. „Ich war zuständig, ich habe mich gekümmert“, resümiert Wüst. Auch die Entscheidung der Landesregierung, der Großlage nur mit einer Koordinierungsgruppe zu begegnen, habe er für „nachvollziehbar“ gehalten. Dort sei nach seiner Kenntnis sehr „kollegial“ gearbeitet worden.

Ralf Jäger und Johannes Remmel bringen Wüst in die Defensive

Damit liegt Wüst auf der bisherigen Argumentationslinie der Regierung Laschet, nach der man in der bereits angelaufenen Katastrophenhilfe nicht die Strukturen ändern wollte. Innenminister Herbert Reul (CDU) hat bereits eingeräumt, dass die Einberufung eines Krisenstabes den Ernst der Lage besser symbolisiert hätte. Ausgerechnet zwei Altmeistern gelingt es im Laufe der Befragung immer wieder, Wüst in die Defensive zu bringen. Ralf Jäger (SPD) und Johannes Remmel (Grüne), krisenerfahrene Ex-Minister in der früheren rot-grünen Landesregierung, haben die Akten offenbar genau studiert.

NRW-Innenminister Reul dazu, für den Notfall zuhause gerüstet zu sein.

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    Sie wollen wissen, warum Wüsts frühe Flut-Aktivitäten nicht in den Einzelverbindungsnachweisen seines Mobiltelefons zu rekonstruieren seien. Sie fragen, warum Mitarbeiter des Verkehrsministeriums in der „kollegialen“ Koordinierungsgruppe zunächst gar nicht mitgearbeitet hätten. Sie hinterfragen Wüsts damalige Urlaubsvertretung und seinen fachlichen Beitrag zur Flut-Sondersitzung des Kabinetts am 16. Juli. Nach zwei Stunden ist der Zeuge Wüst entlassen mit der Frage nach der Erstattung seiner „ Auslagen“. Da sich die Anreise auf einen 200 Meter-Fußweg von der Staatskanzlei beschränkt, sind keine Spesen angefallen. Die SPD macht noch rasch deutlich, dass man Wüst noch einmal vorladen werde.